Hallo zusammen,
in den nächsten Tagen möchte ich zu euren Leseerlebnissen, die ich mit Interesse gelesen habe, das ein oder andere loswerden. Doch heute möchte ich erst mal über meinen Lesestoff der letzten Zeit berichten.
Derzeit lese ich “Mardi und eine Reise dorthin“. Dieser Roman von Herman Melville wurde erst vor ein paar Jahren erstmalig ins Deutsche übersetzt. Der Manesse Verlag hat in diesem Jahr eine Neuausgabe des (schon vergriffenen) Romans herausgegeben. Die Ausstattung ist toll. Die Kapitelnummern und -Anfänge, sowie die Seitenzahlen sind in Ozean-Türkis und in Schreibschrift gedruckt. Sorgfältige und zahlreiche Anmerkungen führen den Leser durch die Fachbegriffe der Schifffahrt und durch die unzähligen Anspielungen, die der belesene Herman Melville in seinem Roman eingebracht hat. Über den Roman selbst sagte Herman Melville, dass die Handlung sich ab einem gewissen Punkt selbst fortschrieb. Und bereits von Beginn an ist der Roman ein Kaleidoskop von Geschichten, Anekdoten und Betrachtungen, aus denen Melville diese Südsee-Abenteuergeschichte in feinstem Seemannsgarn spinnt. Jetzt schon (auf Seite 150 von 800) eine Wahnsinns-Geschichte. Wie dicht und wie fantastisch. Ein großer Spaß! Ich werde weiter berichten.
zuvor hatte ich “Snooker in Kairo“ von Waguih Ghali gelesen. Der Roman erschien 1964 in London, wo Waguih Ghali zeitweilig lebte und wo er sich 1969 in der Wohnung einer Freundin das Leben nahm. Diese Freundin hat ein Vorwort verfasst, durch das ich gleich empfindsamer für den nachfolgenden Roman wurde, in dem Waguih Ghali von dem Ägypten der 50er Jahre erzählt, das mir fremd ist. Durch Ram, die Hautpfigur des Romans, gewährt der Autor einen Blick in die obere Gesellschaftsschicht Ägyptens zu dieser Zeit. Er erzählt von den politischen Umbrüchen, von Annehmlichkeiten, die die obere Gesellschaftsschicht trotz der Umbrüche weiter genießt (eine Alternative zeigt sich auch nicht), doch die Ram (der ebenfalls dieser Gesellschaftsschicht angehört) auch gleichzeitig verachtet und gegen die er sich in seiner politischen Gesinnung (wenn auch zunächst leise) auch wendet. Vielmehr noch die jüdische Edna, Rams große Liebe. Der Roman bot mir interessante Einblicke.
Davor hatte ich ein intensives Leservergnügen mit „Fräulein Nettes kurzer Sommer“. Karen Duve erzählt darin von drei Sommern, in denen Annette von Droste Hülshoff zarte Band knüpft. Besonders zu dem unansehnlichen Heinrich Straube, der zudem ein Bürgerlicher ist, und somit nicht in Frage kommt. Doch die beiden verbindet ein geistiges inneres Band, das immer stärker wird. Das, doch vor allem auch Heinrich Straubes immer stärker werdende Bewunderung für Fräulein Nettes literarisches Talent, ist der Familie (die Haxthausens) ein Dorn im Auge. Als dann der schöne August von Arnswaldt auch noch für Nette entbrennt, kommt eine große Intrige in Gang, die Fräulein Nettes zartes Liebesglück jäh zerstört.
In diesem biografischen Roman werden wahre Ereignisse und reale Personen zu einer Romanhandlung und zu Figuren. Und das ist als Kompliment gemeint. Man vergisst bei diesem Roman,, dass es sich so (in etwa) ereignet hat, weil es so lebendig geschrieben ist. Karen Duve findet einen ganz eigenen Ton, der ganz modern daher kommt, und trotzdem nicht ganz die sprachlichen Gepflogenheiten der damaligen Zeit vermissen lässt. Das hätte gründlich schief gehen können, aber es macht den Roman seltsamer Weise nur noch authentischer. Sehr unterhaltsam und intelligent gemacht! Gründliche recherchiert scheint der Roman zudem. Karen Duve hat mich mehrfach veranlasst selbst Recherche im Internet zu betreiben. Ich hatte eine spannende und interessante (und unterhaltsame!) Zeit mit Annette von Droste-Hülshoff, ihrer Familie, Heinrich Straube, August von Arnswaldt, den Gebrüdern Grimm (welch ein Spaß!), Heinrich Heine, Hoffmann von Fallersleben und vielen weiteren Persönlichkeiten. Man könnte fast meinen, Karen Duve hätte die ein oder andere Person in ihren Roman eingeschmuggelt, um ihn noch interessanter zu machen. Doch die Familie von Annette von Droste-Hülshoff pflegte tatsächlich Umgang zu all diesen Größen ihrer Zeit.
Mit Erstaunen habe ich entdeckt, dass es weitere Romane aus dem Jahr 2015 gibt, die sich mit dieser Thematik befassen, die hier Karen Duve aufgreift Ich habe mir diese Bücher vermerkt. Vielleicht werde ich das noch durch den ein oder anderen biografischen Roman vertiefen:
Esther Grau: Grimms Albtraum: Annette von Droste-Hülshoff
Elke Weigel: Der Traum der Dichterin: Die Sehnsucht der Annette von Droste-Hülshoff
Auch die Biografie „Blamieren mag ich mich nicht: Das Leben der Annette von Droste-Hülshoff“ von Barbara Beuys interessiert mich