Liebe Didonia,
deine Worte haben mich sehr berührt. Zeigen sie doch so viel von deinem Innenleben. Und davon, mit welchen Sorgen und Nöten wir uns alle plagen. Auch wenn es die kleinen Sorgen und Nöte sind, so zehren sie doch an uns. Und ich verstehe dich sehr gut in deinen Beweggründen. Es hat mich sehr gefreut, dass ich dir mit meinem Wunsch für dieses Jahr (weniger Ganz oder Gar nicht und weniger Alles oder Nichts) den Anstoß für deine Gedanken hier gegeben habe.
Bei mir kam der Wunsch auf, weniger Ganz oder Gar nicht in meinem Leben zu haben, durch einen äußeren Umstand. Die Ernährung: Das ist bei mir immer schon in Phasen mal so und mal so gewesen, und in den guten Phasen wurde dadurch auch das Gewicht geringer, in den schlechten Phasen mehr. Die letzte Zeit konnte ich nicht so sehr auf meine Ernährung achten, wie ich das gerne gewollt hätte. Weil ich zu viele Termine habe, und aus der Not heraus oft unterwegs was (natürlich nicht so gesundes) gegessen habe. War zeitlich anders einfach nicht möglich, und das wird auch noch eine Weile so bleiben, dass das immer mal wieder so ist. Aber vor allem auch, weil mein Körper hormonell durch die Schilddrüse komplett aus dem Takt gekommen ist. So hatte ich zeitweise solchen Hunger. Und vor allem auch muss ich morgens oft früher etwas essen, als es in meinen normalen Ablauf passt, weil mein Magen die vielen Medikamente einfach nicht mehr verträgt, und ich auch Magenprobleme bekommen habe. Und so konnte ich kaum noch einen Tag ernährungstechnisch so gestalten, wie ich es gerne wollte. Und dann stellt sich bei mir halt dieses "dann brauche ich jetzt auch auf nichts mehr achten" ein. Das hat sich aber als falsch herausgestellt. Denn dadurch wird es ja noch schlechter. Und warten auf die Phase, wo ich mich wieder über Wochen so richtig gut ernähren kann, macht im Moment aus den genannten Gründen wenig Sinn. So dachte ich mir dies mal: Iss einfach an einigen Tagen so gesund wie möglich. Das tat ich, und es stellten sich Erfolge ein. Beim Gewicht, und vor allem aber auch beim Wohlbefinden. Das hat mir richtig die Augen geöffnet, dass es gar nicht immer ALLES oder GANZ UND GAR sein muss. Sondern dass auch ein BISSCHEN oder ein MANCHMAL oder ein SO OFT WIE MÖGLICH reicht, um vieles zu verbessern. Das war für mich ein Aha-Erlebnis, und es motiviert mich für andere Bereiche dies weiter zu verfolgen.
Ich drücke dir fest die Daumen, dass es auch dir gelingt, in den für dich schwierigen Lebensbereichen, aus dem ALLES herauszukommen. Du erkennst selber, dass es dir nicht gut tut, dass du dich zum Schreiben zwingst. Und dass es dir sogar die Lust am Lesen schmälert. Ich kenne das von damals, als ich von Verlagen Verlagsexemplare bekommen habe. Die Erwartungshaltung an mich, dass ich dazu etwas schreibe, hat mich irgendwann erdrückt, und mir die Lust am Lesen geraubt. Ich habe mich davon komplett befreit, und habe bewusst keine Leseexemplare mehr erbeten, und die mir freiwillig zugesandten ignoriert. Die Verlage haben dann irgendwann gemerkt, dass von mir nichts mehr kommt, und Ruhe war. Und die tat so gut! Es war so befreiend!
Was ich auch aus deinen Gedanken herauslese, ist die Erwartungshaltung. Die Erwartungen anderer an dich. Aber manchmal spüren wir viel mehr Erwartung, als da ist. Dadurch, dass man die Erwartung immerzu erfüllt, merkt das Gegenüber gar nicht, dass man es gar nicht mehr so richtig freiwillig und freien Herzens tut. Oder die Erwartung an sich schon reicht, dass die Freiwilligkeit schwindet, weil sie überdeckt wird von der Erwartung. Was ich für mich festgestellt und gelernt habe ist, dass die Erwartung der anderen oft gar nicht so groß ist, wie die eigene, die ich an mich stelle. Und dass ich oft eine Erwartung von anderen verspüre, die gar nicht so da ist. An deinem Beispiel: Wenn du schreibst, dass du dir Buch X gekauft hast, und jemand schreibt, dass er gespannt ist, wie dir das Buch gefällt, dann passiert das vielleicht nur, weil angenommen wird, dass du es bald gerne lesen möchtest. Aber es wartet womöglich gar keiner darauf, dass das dann auch erfolgt. Wenn es kommt, weil du es tatsächlich bald liest, ist es schön. Und wenn nicht, wird auch nichts vermisst. Weißt du, wie ich es meine? Ich konnte mich ganz viel von solchen selbst gemachten Erwartungen lösen. Denn: Wer dich schätzt, und wem du wichtig bist, der erwartet nichts von dir! Der möchte, dass es dir gut geht. Sonst nichts. Und alle anderen solltest du nicht in ihren Erwartungen bedienen.
Ich weiß, leichter gesagt als getan! Für mich auch immer wieder ein Schauplatz, an dem ich mich tummel. Aber ich bin viel besser darin geworden.
Was uns hier in diesem Forum betrifft, so bin ich mir sicher, dass sich jeder freut, über alles was du schreibst. Egal ob es vollständig, ausführlich oder kurz und knapp ist. Und das ist auch etwas, was ich gelernt habe, da ich ja auch gerne ausführlich bin: Manchmal ist weniger auch mehr. Mein Gegenüber ist auch nicht immer bereit so einen langen Text von mir zu lesen. Mir gelingt es dennoch nicht immer kurz und knapp zu sein, aber - wenn ich es jetzt recht bedenke - bin ich auch hierin schon viel besser geworden. Mal ist mir etwas sehr wichtig (so wie hier jetzt gerade), oder ein Thema fasziniert mich. Dann möchte ich ausführlich sein. Aber oft auch nicht, und dann reicht es mir auch, wenn ich es kürzer fasse. Zu mehr müsste ich mich dann zwingen. Und das machte ich nicht mehr oft.
Somit: Auch im Weglassen, Auslassen und Kürzer fassen liegt ein Reiz und ein Gewinn! Und das nehme ich mir selbst noch mal zu Herzen, da es bei mir offenbar noch einige Lebensbereiche gibt, bei denen es mir in der Vergangenheit nicht so gut gelungen ist, wie beim Schreiben.
Alles Gute fürs neue Jahr, liebe Didonia! Und gutes Gelingen beim NIcht Tun, beim Weglassen und Auslassen und beim kürzer fassen, wo es für dich besser ist.

Edit: Noch ein Bereich, der mir einfällt, wo ich das Weg- und Auslassen gelernt habe, und mittlerweile mit Genuss praktiziere: Ich möchte nicht jede Bücher-Reihe oder Werke von mir geschätzter Autoren vollständig haben. Bei manchen reicht es mir, wenn ich ausgewählt Bände habe. Befreiend!