Aravind Adiga und die deutsche Literatur nach 1930

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Aravind Adiga und die deutsche Literatur nach 1930

Beitragvon JMaria » Mo 24. Nov 2008, 14:31

Hallo zusammen,

gestern las ich ein Interview mit dem Bookerpreis ausgezeichneten Autor Aravind Adiga und sein Buch "Der weiße Tiger".

hier zu finden:
Was soll ein Denker in Deutschland

was mich allerdings sehr bestürzte war die Aussage von ihm, dass für Literaten ein Deutschland nur bis Mitte der 30iger Jahre existierte, danach endete Deutschland als ein Land von Bedeutung für Gelehrte und Literaten.

„Für Gelehrte und Literaten in der ganzen Welt“, klärt mich Adiga auf, „existiert Deutschland bis in die Mitte der dreißiger Jahre ... Dann hört es für uns auf, ein Land von Bedeutung zu sein.“ Sein idealisiertes Deutschland (eine Art holzgetäfeltes Oxford-Deutschland) sei ihm einfach zu kostbar, um es dem Kontakt mit der Realität auszusetzen. Nein, er werde dieses Land nie wieder betreten.


das ist sowas von traurig zu lesen und viel zu allgemein gehalten! Weil viel zu undifferenziert abgeurteilt wird. Wieviele Bücher der Nachkriegszeit und der Neuzeit wurden bitte schön ins Hindi oder ins Englische übersetzt? Was ist mit Heinrich Böll, Uwe Johnson oder Wolfgang Koeppen? Autoren die für Deutschlands Literaturwelt unersetzbar sind. Doch sind sie übersetzt worden? Wie hält es England und andere Länder es mit der Übersetzung von zeitgenössischer deutscher Literatur? Da gäbe es noch so manche Fragen zu klären, bevor man eine solche Feststellung zum Besten gibt *seufz*

Was meint ihr dazu?

Überhaupt scheint mir der Autor in dem obigen Interview sehr verwirrt und widersprüchlich zu sein.

die Aussage erscheint mir genauso dumm, wie kürzlich die des Nobelpreis-Sekretärs, dass europäische Literatur der amerikanischen überlegen sei.

Liebe Güße
Maria
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Re: Aravind Adiga und die deutsche Literatur nach 1930

Beitragvon steffi » Mo 24. Nov 2008, 17:13

Hallo JMaria,

da kann ich ja nur den Kopf schütteln ! Vor allem das "..uns.." hört sich doch etwas sehr eingebildet an. Naja, ich denke, Grass könnte sicherlich auch in Indien bekannt sein, Siegfried Lenz hätte es verdient usw., viele wichtige hast du ja schon genannt. So Verallgemeinerungen finde ich auch immer schrecklich.

Ich glaube nicht, dass Deutschland in der Sicht von Literaten vor dem 2.Weltkrieg stehen geblieben ist. Und dass mehr indische Bücher ins Deutsche übersetzt wurden als andersrum spricht meines Erachtens nur für die Aufgeschlossenheit der deutschen Leser gegenüber fremden Kulturen.
Gruss von Steffi

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Re: Aravind Adiga und die deutsche Literatur nach 1930

Beitragvon Petra » Di 25. Nov 2008, 16:14

Hallo Maria,

ja, so verallgemeinernde und Aussagen sind meistens nicht gut. Und man kann das auch wirklich nur direkt vergleichen, wenn man weiß, wieviel deutsche Literatur in die entsprechenden Länder überhaupt übersetzt worden ist. Und ob Aravind Adiga das einschätzen kann, ist fraglich.

Aber leider sind Interviews auch oft verfälscht. Manchmal auch nicht zu knapp. Das sollte man auch berücksichtigen. Wer weiß, wie er das wirklich gesagt hat und in welchen Zusammenhang.

Ein wenig schmälert es aber schon meine Lust auf das Buch. Dennoch: Es steht auf meinem Wunschzettel! ;-)
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Aravind Adiga und die deutsche Literatur nach 1930

Beitragvon JMaria » Mi 26. Nov 2008, 16:32

Hallo zusammen,
hallo Petra und Steffi,

die Leserbriefe nahmen bei der FAZ überhand und es gibt nun eine weitere Stellungsnahme des Autors. Ihm zugute halten muß man, dass er sich sehr ehrlich und gerade heraus ist, da er angeblich schlechte Erfahrungen mit deutschen Behörden gemacht hat. Leider finde ich seine Pauschalierungen dennoch von einer Unerbittlichkeit und von einer Eitelkeit über die ich mich nur wundern kann.

Lieber umsonst bei .... als für viel Geld in Deutschland

und hier kann man Stellung nehmen und sich dazu äußern, was ein Intellektueller verpasst, der einen Bogen um Deutschland macht:

Ist Deutschland eine Reise wert


Petra hat geschrieben:Ein wenig schmälert es aber schon meine Lust auf das Buch. Dennoch: Es steht auf meinem Wunschzettel.


ja, das ist jetzt die Frage, wie geht man als deutscher Leser um mit solch einer Einstellung?
Ich bin geneigt, die Sache mit Abstand zu betrachten, denn soweit ich das in diversen Artikeln herauslesen konnte, ist A.A. ein junger Autor mit Idealismus und vielleicht auch mit einer gewissen Wut (?) in sich. Aus einer anderen Kultur das Schöne und das Nützliche heraus zufinden, finde ich immer erstrebenswert. Wenn er also deutsche Kultur meidet, ist es sein Irrtum, nicht meiner. Ich sehe in seiner Aussage hauptsächlich verletzte Eitelkeit.

Außerdem dient das Ganze auch der kommerzielle Werbung. Ich denke nicht, dass mit einem Einbruch der Verkaufszahlen seines Buches in Deutschland zu rechnen ist.

Wie geht ihr nun an das Buch "Der weiße Tiger" heran, falls vor der Berichterstattung bei euch Interesse vorhanden war? Oder ist die neugierde auf das Buch jetzt größer geworden?

Viele Grüße
Maria
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Re: Aravind Adiga und die deutsche Literatur nach 1930

Beitragvon steffi » Do 27. Nov 2008, 11:11

Hallo JMaria,

zumindest habe ich den Autor nun wahrgenommen, insofern war es eine gute Eigen-PR. Allerdings gibt es so viele Bücher, die sich zu lesen lohnen, dass ich nun ausgerechnet auf dieses gut verzichten kann. Ich haben nun nämlich die Befürchtung, dass in seinem Buch womöglich auch lauter solche pauschalen, provozierenden Urteile stehen. Dem möchte ich mich nicht aussetzen.

Ob er nun in der Sache recht hat, also dass in Deutschland intelektuell nichts mehr los ist ? Zumindest einige wichtige Schriftsteller haben wir ja schon genannt. Generell sehe ich das aber in vielen westlichen Ländern, wenn nämlich das Verlegen eines Buches mehr vom erwarteten Gewinn abhängt als vom Inhalt. Ob das in Indien anders ist, weiß ich nicht.

Durch den europäischen Gedanken und die vielen Verflechtungen zwischen den europäischen Ländern sehe ich aber immer mehr, dass Dinge, die uns heute kulturell bewegen, sich nicht nur auf Deutschland reduzieren lassen - bestes Beispiel ist für mich Orhan Pamuk.
Gruss von Steffi

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Re: Aravind Adiga und die deutsche Literatur nach 1930

Beitragvon Petra » Do 27. Nov 2008, 16:32

Hallo Maria,

ich habe die Aussagen von Aravind Adiga zwar jetzt im Hinterkopf, aber ich versuche mich davon in meiner Buchauswahl und meiner Art an das Buch heranzugehen nicht beeinflussen zu lassen.

Denn letztendlich weiß man ja nie, welche Löcher den Autor in den Bauch gefragt wurden (zu welchen Aussagen man ihn somit bringen wollte) und wie durchdacht seine Antworten waren (man muss bei einem Interview ja immer antworten. Manchmal ist das aber gar nicht gut. Es kommt viel spontanes Geblubbere dabei heraus).

Und wenn er doch ganz klar der Meinung ist, die in dem Interview geäußert wurde, so muss ich auch an unsere Diskussionen über die türkische Literatur im Allgemeinen und die von Orhan Pamuk insbesondere denken. Denn auch hier fanden wir ja heraus, dass man ein Bild hat. Und dass das ganz und gar nicht der Wahrheit entsprechen muss. So hat auch dieser indische Autor ein Bild von uns. Gemacht vielleicht nur dadurch, was er über uns weiß (so z. B. auch nur die übersetzten Bücher, die er kennt). Und vielleicht gehört dieser junge Autor ja zu den Menschen, die mutig genug sind, ihre Standpunkte im Laufe ihres Lebens zu überdenken und zu korrigieren.

Ich kann aber auch Steffis Befürchtung verstehen, in einem Buch von diesem Autor über ähnlich pauschale Aburteilungen zu stolpern. Und ich muss sagen, wenn so etwas in "Der weiße Tiger" vorkommt, werde ich sicherlich nun empfindlicher darauf reagieren und auch schneller drauf aufmerksam werden. Denn im Hinterkopf sitz seine Aussage aus dem Interview natürlich schon. Und solche Dinge treten dann gern aus dem Hinterkopf hervor und dringen an die Oberfläche, wenn man wieder daran erinnert wird.

Als wütend empfinde ich auch, was die Inhaltsangabe über "Der weiße Tiger" preis gibt. Somit könnten seine gesamten Gedanken und Aussagen von solch einer inneren Wut geprägt sein. Auch diesen Gedanken finde ich interessant.

Wie auch immer: Rachel hatte mich auf das Buch neugierig gemacht. Und ich würde es gern lesen. Genauso viel oder wenig wie vor diesem Interview auch. Wenn auch mit den Gedanken im Hinterkopf, die mir während des Lesens dann einfallen KÖNNTEN, je nachdem was ich das so zu lesen bekomme.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Aravind Adiga und die deutsche Literatur nach 1930

Beitragvon Rachel » Fr 28. Nov 2008, 13:48

Hallo Maria,

vorweg, ich finde Adigas Äußerungen auch ziemlich seltsam und sympathisch macht es mir den Autor auch nicht unbedingt, aber so schlimm, dass ich nichts mehr von ihm lesen möchte, obwohl mich "Der weiße Tiger" interessiert? Nein, da muss ein Autor schon deutlich Schlimmeres von sich geben.

Klar, ich habe diese Äußerungen im Hinterkopf, sicher auch, wenn ich in Zukunft etwas von ihm lese, aber ich kann den Autor und sein Buch dann schon trennen. Wenn ich anfangen würde, nur noch Bücher von Autoren zu lesen, die mir durchweg sympathisch sind, würde das die Lektüreauswahl doch schon sehr einschränken. ;)
Etwas anderes wäre es natürlich, hätte er ein Buch über Deutschland geschrieben, aber so? Bitte, soll er doch denken, was er möchte. :roll:
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