Hallo Rachel,
das freut mich sehr, dass auch ich Dir ein wenig näher bringen konnte, was mich an dem Hörbuch so gereizt hat! Ebenso wie es mich freut, dass ich Dich nun wirklich verstehen kann!

Und es freut mich auch immer wieder, dass unsere Freude über solche Diskussionen gegenseitig ist! Und das Wissen, dass es kein anzweifeln des Geschmacks der anderen sein soll. Aber dennoch: Es ist gut und richtig, dass immer mal wieder ausdrücklich zu erwähnen (mir zumindest - und ich denke, Dir auch), weil es auch missverständlich herüber kommen könnte. Was gar nicht schön und zudem vollkommen an der Wahrheit vorbei wäre.
Was Du zu Emmis Ehe schreibst, das kann ich nun auch besser nachvollziehen. Würde ich auch so sehen, wenn ich es (wohlgemerkt in viel jüngeren Jahren als Emmi) selbst nicht auch schon mal geschafft hätte, mir jahrelang etwas vorzumachen. Eine Freundschaft mit Liebe gleichzusetzen. Das war bitter, besonders für meinen damaligen Partner. Denn der hatte auf uns gesetzt. So wie Emmis Bernhard auf seine Ehe mit ihr setzt. Und sie sich - ganz bestimmt auch deshalb - nicht traut (eine innere, unterbewusste Sperre hat), sich einzugestehen, dass mit ihrer Ehe was nicht in Ordnung ist. Denn sobald man sich das eingesteht, muss man mit einem Scherbenhaufen leben oder sich von diesem Scherbenhaufen abwenden. Emmi beschreibt ein Gefühl, dass ich 1:1 damals hatte. Sie beschreibt, dass sie fühlt, dass alles (Bernhards Leben mit ihr, das Leben der Kinder) einstürzt, wenn sie sich entfernt. Deshalb hält sie so lange die Lüge aufrecht. Das ist gewiss nicht ehrenhaft und vielleicht auch sehr, sehr schwach und vielleicht auch unreif. Da pflichte ich Dir bei. Aber auch sehr menschlich.
Ich persönlich musste solch einen Fehler (so behutsam wie möglich) in jungen Jahren korrigieren. Und ich bin zum Glück schnell an den Punkt gekommen, an dem ich wenigstens gesehen habe, dass mit meiner Ehe was nicht so ganz in Ordnung sein kann, wenn mich etwas so sehr zu jemand anderem hinzieht. Aber ich kenne auch (leider) viele Fälle, die heute (in eigentlich reiferen Jahren) eben das durch machen. Und sich viel länger und energischer selbst belügen als ich damals. Unglaublich - aber auch psychologisch für mich immer wieder ausgesprochen interessant - wie sehr ein Mensch sich selbst belügen kann. Da gab es auch gerade in Anne Enrights "Das Familientreffen" eine tolle Szene. Da ist jemand Alkoholsüchtig. Und er belügt anders. Man merkt es immer daran, wenn er anfängt sich laut detailliert an etwas zu erinnern. Eine Beschreibung auszumalen. Dann merkt man (hier die Hauptperson), dass derjenige lügt. Das ist so toll getroffen, denn ich habe es bei Suchtkranken auch oft genau so erlebt...!!! Und auch an der Thematik mit den Suchtkranken und ihren Lügen fasziniert (wenn auch auf eine sehr traurige, wütende, betroffene Art) mich auch immer wieder, wie sehr ein Mensch sich selbst belügen kann. Und vor allem wie erfolgreich! Wenn schon jeder andere die Lüge entlarvt hat, der Lügner glaubt selbst noch fest und unumstößlich daran und verteidigt seine Wahrheint wütender als er es mit der wirklichen Wahrheit je tun würde. Denn wenn er davon abließe, müsste er sich mit der Wahrheit auseinandersetzen. Und dazu ist er nicht fähig. Deshalb lügt er überhaupt erst!
Du bemerkst an meinen Ausführungen: Ich finde das Thema wirklich sehr, sehr interessant!
Und das ist gewiss auch ein Grund, warum ich Emmi mehr Glauben schenken konnte als Du. Denn der Logik nach hast Du natürlich vollkommen recht! Der Widerspruch müsste ihr ja selbst auffallen! Wie kann eine Ehe glücklich sein, in der man alles getrennt macht und in der man überhaupt so viel Gelegenheit hat, mit einem anderen Menschen solch eine Beziehung aufzubauen. Und warum baut man überhaupt eine auf, wenn man doch so glücklich ist?
Und dass Mia Emmis und Bernhards Ehe als glücklich schildert, ist auch nicht außergewöhnlich! Als ich mich damals getrennt habe, sind alle aus den Wolken gefallen! Wir waren DAS Traumpaar! Wir haben uns nie gestritten (er war mir einfach nicht wichtig genug dafür! Oder auch: Er hat einfach nicht genug mein Herz berührt, als dass ich so empfindsam hätte sein können gegen das was er sagt, wie ich es bei jemandem nehme, mit dem mich Liebe/Leidenschaft verbindet) und haben anderen zufolge eine grenzenlose Harmonie ausgestrahlt. Meine engsten Freunde konnten es nicht glauben, als ich ihnen alles offenbarte, nachdem mir meine Selbstbelügerei klar geworden war und ich Konsequenzen daraus ziehen musste (wie gesagt: Schaut man erst mal auf den Scherbenhaufen, muss man entscheiden. Bleiben, beim Scherbenhaufen. Oder gehen). Denn sie dachten, wenn es jemand schafft, dann wir - auf immer und ewig! Und wir waren die ersten, die getrennt waren!
Deine Frage, wie Emmi so lange Zeit die Augen davor verschließen kann, was dieser E-Mail-Wechsel für ihre Beziehung bedeutet, kann ich auch voll und ganz nachvollziehen. Und dennoch halte ich ihr Verhalten für glaubhaft. An einer Stelle will sie mal den Kontakt abbrechen. Weil sie sich - und Leo - eben fragt, wohin das führen soll. Und doch gelingt es ihr nicht. Auch das kann ich nachvollziehen, weil ich aus jüngeren Erfahrungen weiß, dass der Verstand manchmal ganz genau weiß, was jetzt das beste oder gar einzig richtige wäre. Aber mich hat bei dieser Erfahrung auch schwer erstaunt, dass das Gefühlsleben über den Verstand siegt. Ich konnte selbst als Vernunftsmensch mit meinem Verstand und Willen nicht über mein Herz siegen. Komische Erfahrung. Aber immerhin eine, die mir einiges erklärt... so z. B. warum Menschen wie Emmi in solch einer Situation so unlogisch agieren. Mir kam das deshalb umso glaubhafter vor. Aber ohne meine persönlichen sehr intensiven Erfahrungen in dem Bereich würde Emmi mir gewiss auch konstruiert und unnachvollziehbar erscheinen. Ich verstehe Dich also schon!
Rachel hat geschrieben:Dazu kommt noch, das ich die Beziehung zwischen Emmi und Leo eben so überhaupt nicht romantisch finde. Was die beiden haben, wirkt auf mich nicht dauerhaft, sondern kindisch, nichts wofür man normalerweise eine scheinbar fuktionierende Ehe aufs Spiel setzt. Ganz und gar nicht wie die große Liebe, eher wie drei Monate leidenschaftliches Streiten und sich wieder Versöhnen und dann Trennung. 
Hier gebe ich Dir recht! Zwar begründe ich auch das damit, dass beide eine innere Sehnsucht haben (die gar nicht unbedingt an dem anderen festzumachen ist, sondern eine in sich selbst begründete). Leo will seine Verflossene endlich überwinden. Und Emmi will sicherlich wieder den Reiz spüren, weil sie viel zu lange nur neben jemandem hergelebt hat, ohne richtig zu lieben, zu leiden, lebendig zu sein.
Wieviel Bestand die Beziehung dann im realen Leben hätte, darauf wäre auch ich sehr gespannt! Denn so wie es zwischen den beiden während der E-Mail-Zeit ist, wird es keinesfalls sein, wenn oder falls sie mal zusammen kommen. Entweder finden sie auf einer neuen Ebene zueinander und bauen wirklich was gemeinsames auf und hören auf mit den gegenseitigen Kämpfen. Oder aber sie scheitern. Falls Daniel Glattauer mal vor hat, die Geschichte auf diesen Pfaden weiter zu spinnen, ich wäre dabei - und sehr interessiert auf seine Version!

Nun noch zu was anderem, was ich fast vergessen hätte! Ich wollte noch etwas zum Hörspiel "Das Lied der Sirenen" sagen. Ich denke dass Du mit Deiner Befürchtung recht hast! Die Dinge, die die Serie ausmachen (die Figurenzeichnung und der psychologische Aspekt) werden sicher zu kurz kommen. Für mich sehe ich das Hörspiel nur als gute Alternative, da ich mich der Brutalität in dem Buch (bzw. den Büchern der Serie) nicht stellen möchte. Mir war - habe ich festgestellt - die Einstiegsszene in "Sorry" schon wieder zu viel (zum Glück geht es nicht so brutal weiter, sonst hätte ich abschalten müssen... mir wurde schon leicht übel). So traue ich mich einfach nicht an diese Serie von Val McDermid heran. Werde mich aber nicht allzu sehr wundern, wenn ich aufgrund des Hörspiels die Faszination an der Serie nicht so nachvollziehen kann.
Für Dich als "Wiedersehen/Wiedererleben" ist das Hörspiel bestimmt auch ganz nett. Denke ich auch. Als Ersatz sicher nicht. Denn 2 CDs... und überhaupt: ein Hörspiel. Da kommen oft (fast immer) nur teile dessen herüber, was das Ganze eigentlich ausmacht.[/color]