“Gilead“ von
Marilynne Robinson war ein Highlight für mich! Ein interessanter Roman, herausragend von Otto Mellies gelesen! Einer der wenigen Fälle, wo ich das Hörbuch dem Buch vorziehe, da es durch die Stimme und die Art des Vortrags noch zusätzlich gewinnt. Otto Mellies liest, als sei es sein eigener Brief an seinen eigenen Sohn. Als seien alles seine eigenen Erinnerungen und Sorgen. Und als sei es sein Blick, mit dem er auf das Leben zurückschaut, und Gedanken über den Glauben nachhängt. Das Buch ist insgesamt als langer Brief von John Ames, Pfarrer in Gliead, den er an seinen Sohn schreibt im Angesicht des nahenden Todes. Marilynne Robinson hat dem Brief stellenweise Passagen einfließen lassen, die einer Predigt ähnlich erscheinen, oder in denen John Ames sich eines Bibelzitats bedient. Otto Mellies hat das mit einem ganz feinen Gespür wahrgenommen, und schlägt an den passenden Stellen den Ton eines warmherzigen Predigers an. Das hat mir ausgezeichnet gefallen, weil es Buch und Sprecher absolut authentisch wirken und miteinander verschmelzen lässt.
Den Inhalt möchte ich nicht werten (im engsten Sinne gemeint). Denn der Glaube, der in Marilynne Robinsons (Leben und) Buch eine große Rolle spielt, ist nicht verhandelbar, sondern eine ganz persönliche und individuelle Sache, die stark in ihren Roman einfließt. So konnte ich nicht alles bestätigen, was mir ans Ohr drang, mir aber dennoch eine Menge mitnehmen. Dieser sehr an der Bibel festgemachte Glaube ist nicht ganz meiner, sehr wohl aber der daraus abgeleitete und von John Ames gelebte. Ich habe ihm gerne zugehört. Seine Warmherzigkeit, und seine Absicht jedem Menschen mit Wohlwollen und Liebe zu begegnen haben mich nachdenklich gestimmt. Denn auch ihm ist das nicht immer leicht, und doch versucht er es, und schöpft die Kraft dafür aus seinem festen Glauben. Ich möchte ihn mir als Beispiel nehmen, wenn ich merke, dass es mir mal wieder schwer fällt, nachsichtig mit einem Mitmenschen zu sein, und Wohlwollen und Liebe einem möglichem Groll voranzustellen. Auch möchte ich das Hörbuch irgendwann noch einmal hören. Um den einzelnen Gedanken darin noch bewusster nachzuhängen.
Bedauerlich ist, dass bislang nur zwei Romane aus der Trilogie ins Deutsche übersetzt wurden. Und auch das erst Jahre nach dem Erscheinen in den USA, und Jahre nachdem sie für „Gilead“ den Pulitzer Preis bekam. „Lila“ möchte ich nun gerne lesen (bedauernswerter Weise gibt es davon kein Hörbuch); da wird erzählt, wie John Ames seine junge Frau kennenlernte. „Lila“ ist ihre Geschichte. Es gibt in „Gilead“ zahlreiche Anspielungen auf eine weitere Person in „Gilead“, um die es in „Home“ geht. Ich wäre so neugierig darauf. Doch dieser Roman wurde bislang nicht ins Deutsche übersetzt, und die Verlagsvorschauen für den Herbst haben mir da auch keine Hoffnungen gemacht. (Edit: Ich habe beim Fischer Verlag angefragt, und eine sehr herzliche und freudige Antwort bekommen. "Home" ist für Herbst 2018 geplant. Das freut mich sehr!)
Einen interessanten Artikel über die Autorin und die Trilogie habe ich in der
Frankfurter Rundschau gefunden.
Nachdem ich mich schweren Herzens aus Gilead verabschieden musste, noch mit der warmen Stimme im Ohr, habe ich mich heute für ein neues Hörbuch entschieden. Meine Wahl ist auf
“Wovon wir träumten“ von
Julie Otsuka gefallen. Das Buch las ich vor ein paar Monaten begeistert, und war neugierig, wie es
klingt. Die Besonderheit der kollektiven Erzählperspektive (Wir-Form) hat etwas musikalisches, ich war gespannt, wie das gehört klingt. Ich bin überrascht. Das Musikalische hatte ich stärker im Ohr beim selber lesen. Für mich klang der Text wie ein imposanter ruhiger Chor. Ulrike Hübschmann (Sprecherin) arbeitet mit ihrer Stimme hingegen etwas Lebendigkeit und Individualität heraus. Beides hat für mich seinen Reiz. Immer wieder spannend, wie man einen Text auf unterschiedliche Art interpretieren, und ihm damit einen anderen Klang und eine andere Atmosphäre geben kann. Der direkte Vergleich zu meiner eigenen Leseerfahrung gibt mir ein weiteres interessantes Beispiel dafür.
Es handelt sich um eine Radioaufnahme der ungekürzten Lesung, die später auch als Hörbuch herausgegeben wurde. Der Vorteil bei der Radioaufnahme, auf die ich dankenswerter Weise zurückgreifen konnte, besteht darin, dass der Vortrag in 10 Sendungsabschnitte unterteilt war. Jedem Abschnitt wird eine kleine Einleitung vorangestellt, in der man mehr über die historischen Hintergründe erfährt. Zwar konnte ich mir die auch alle im Internet selbst erarbeiten, als ich das Buch las, aber sie hier an die Hand zu bekommen, finde ich sehr ansprechend.