von Petra » Sa 24. Mär 2018, 11:04
Ich höre einen meiner schönen Neuzugänge. Entschieden habe ich mich für “Löwen wecken“ von Ayelet Gundar-Goshen, und bin schon mittendrin. Ausgangssituation: Etan, Neurochirurg im israelischen Beer Sheva, überfährt versehentlich einen illegalen Einwanderer aus Eritrea. Aus beruflicher Erfahrung weiß er, dass es für den Eritreer keine Hilfe gibt, er wird sterben. So lässt er ihn, nach kurzem ringen mit sich, in einem panischen Moment einfach liegen, und begeht Fahrerflucht, damit sein eigenes Leben – seine Karriere und damit auch seine Ehe und seine Familie – keinen Schaden nimmt. Doch seine Tat bleibt nicht unentdeckt. Am nächsten Tag steht die Frau des Eritreers vor Etans Tür, und stellt Forderungen, die Etans Leben aus der Bahn werfen.
Dieser Roman wirft Fragen auf. Die Frage danach, wie wir uns selbst verhalten hätten, in solch einer Situation (Etan ist kein Unmensch, sondern einfach nur ein Mensch, der schnell eine Entscheidung treffen muss). Die Frage nach dem Wert des Menschen. Die Frage noch einmal anders gestellt: den Wert eines Menschen illegalen Aufenthalts. Aber auch die Frage nach dem Gefühl der, und ob der Mensch der Last der Schuld standhalten kann, oder sie gar abschütteln kann. Interessant darin ein Aspekt aus der Hirnforschung; Etan erinnert sich seines Mentors, der ihm einst erklärte, dass das Gehirn den Menschen schütze, offenbare Tatsachen imstande ist zu leugnen, um weiterleben zu können. Gelingt das? Die Wissenschaft sagt ja! Doch ich ahne, dass Etan seine Schuld nicht wird abschütteln können. Schließlich stellt der Roman auch die Frage, ob eine Schuld je beglichen werden kann? Ist die Schuld abgetragen, wenn man nur lange genug dafür gebüßt hat, Wiedergutmachung geleistet hat?
Doch ist dieser Roman keine reines Exempel. Ayelet Gundar-Goshen lässt uns einen Blick in Etans Familienleben werfen, der mir auch gefällt. Etan erinnert sich wie es war, als seine Söhne geboren wurden, wie es war, als er sich in Liat, seine Frau, verliebte. Apropos Liat: sie ist Kriminalbeamtin. Gerade erzählt sie Etan von einem Fall. Ein Eritreer wurde überfahren, und der Fahrer hat ihn einfach liegen und sterben lassen. Liat fragt sich, wie jemand so etwas tun kann…
Etan wird immer tiefer in den Strudel der Ereignisse gerissen, ausgelöst durch diesen einen Moment, in dem er den Eritreer überfuhr, und einfach weiterfuhr. Und der Leser/Hörer gerät mit ihm in den unaufhaltsamen Sog seiner Schuld.
Uve Teschner ist der Sprecher dieser (Audible sei Dank!) ungekürzten Lesung. Eine ausgezeichnete Wahl! Seine Stimme, kühl und sachlich (ohne jedoch kalt und emotionslos zu wirken), passen hervorragend zur eher kopfgesteuerten Figur Etans. Er bringt keine künstliche Aufregung in die Geschichte hinein. Sie ist aus sich selbst bedrohlich, und Uve Teschners Vortrag passt perfekt!
Dieses Exklusiv-Hörbuch war für mich Grund mich mal wieder für eine Weile bei Audible anzumelden. Ich bin froh, dieses Hörbuch heruntergeladen zu haben. Erst zwei Hörtage, und ich bin schon recht weit. Denn es fesselt mich enorm.