Leserunde: Halldor Laxness - Atomstation

Forum zum gemeinsamen Lesen & Diskutieren von Büchern. Hierzu kann man sich z. B. im Diskussionsforum mit anderen verabreden.
Forumsregeln
Kommerzielle Einträge werden ohne Kommentar gelöscht!

Re: Leserunde: Halldor Laxness - Atomstation

Beitragvon JMaria » Sa 5. Jul 2025, 17:37

Der Buchenwald-Vergleich fand ich auch stark.
Wenn man die Worte etwas relativiert, von „nicht mehr möglich Dichter zu sein“ in „anders dichten“, oder von der Tradition der Sagen und Romantik in die Moderne, wie der Atomdichter, der in den Augen anderer schlecht dichtet, aber vielleicht dichtet er ja nur anders, weil das Bedürfnis da ist weg vom eingestaubten altem.

So erging es ja vielen Schriftstellern in unterschiedlichsten Ländern nach dem 2. WK.

Interessant ist, dass es in Island tatsächlich so einen Literaturstreit gab. Die Alten gegen die jungen Dichter, sozusagen. Und man nannte die jungen wilden Dichter tatsächlich „Atomdichter“ , resultierend aus Laxness Atomstation.

https://ichsagmal.com/die-rebellion-der ... -gelabere/


Vielleicht symbolisiert Ugla ja das traditionelle Island, das Land der Sagen, man merkt es daran, als die Hausherrin nach Amerika reiste und Ugla den Kindern statt den albernen Kosenamen, die sie afrikanisch nennt, sagenbehaftete Namen gibt, wie Apfelblut, Goldwidder, Länderschein, Morgenstrahl.

Wie unspektakulär Ugla mit dem Polizisten zusammenkam…dann passierte es einfach, sie vergaß den Schlüssel, der dann doch in der Manteltasche war, und ging mit in seine Wohnung.

Aber wie schön dann die Schwangerschaft benannt wird. Direkt poetisch…die Frau die den Hering verschluckt hat…

Ich komme zum 13. Kapitel.
Schöne Grüße, Maria
Aktuell:

150 Jahre Thomas Mann
100 Jahre Mrs Dalloway


Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden ( Tacitus )
Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen (Johann Wolfgang v. Goethe)
Das Leben und dazu eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe (Rainer Maria Rilke)
JMaria
Moderator
 
Beiträge: 16715
Registriert: Mo 31. Mär 2008, 11:07

Re: Leserunde: Halldor Laxness - Atomstation

Beitragvon steffi » Di 8. Jul 2025, 08:55

Ich glaube auch, dass Ugla für das traditionelle Island steht. Die Namen der Kinder und auch, als sie einmal über ihr zuhause spricht, verändert sich der Stil. Ein herrliches Bild ist auch das Mädchen Apfelblut, in deren Augen die Geschöpfe Islands kämpfen und die dabei Kaugummi kaut.

Beim Organist wiederum geht es um Ideen, um Moral und Religion. Ich finde, es ist dort immer ein bisschen verwirrend. Aber mir kam der Gedanke, dass es durch die Augen von Ugla, für die das alles neu ist, auch tatsächlich so wirken könnte. Und der Leser es durch ihren Filter liest sozusagen.

Interessant, was du über die Atomdichter herausgefunden hast ! Ich kann mir vorstellen, dass Laxness die Gefahr der Moderne stark empfand. Gerade weil es der Beginn der Selbstständigkeit war und sich wahrscheinlich auch die eigene isländische Kultur während der vergangenen Jahrhunderte nur durch starke Abgrenzung erhalten konnte.

Ich komme zu 14. Kapitel.
Gruss von Steffi

:lesen:
Wolfgang Reinhard - Die Unterwerfung der Welt ( Langzeitprojekt)
Benutzeravatar
steffi
 
Beiträge: 5221
Registriert: Mi 2. Apr 2008, 12:56

Re: Leserunde: Halldor Laxness - Atomstation

Beitragvon steffi » Mi 9. Jul 2025, 12:14

Ich habe schon weitergelesen.
Während sich die politische Lage beruhigen soll und Oli Figur ermordet wurde, wird Silvester gefeiert. Es wird angedeutet, dass die beiden Götter die Mörder sind. Auch Apfelblut ist schwanger, aber anders als bei Ugla ist das Kind nicht willkommen und sie muss abtreiben. Auch das zeigt, wie willkürlich diese bessere moderne Zeit ist. Während Ugla sich nicht in Abhängigkeit begeben will, auch wenn sie den Polizist liebt, ist wiederum Kleopatras Schicksal eine Mahnung, wie es mit den Amerikanern ausgehen könnte.

Durch die Ablehnung der Kinderkrippe ist Ugla persönlich betroffen. Ich würde sagen, das zeigt, dass auch ohne den Bau der Atomstation sich die Lebensweise der Isländer verändern wird. Der Kapitalismus ist in Reykjavik schon angekommen.

So fährt Ugla wieder nach Hause und taucht ein in die Welt der Sagas und Helden. Helden geben nie auf, egal ob sie im Unrecht sind. Das fand ich eine interessante Beschreibung. Auch, dass die Kirchen von der Schöpfung ablenken. Im Gegensatz zur Stadt braucht man auf dem Land keine materiellen Dinge und Gott erfährt man durch die Natur an sich und nicht durch intellektuelle Gedanken. „Unser Gott ist das, was übrigbleibt, wenn alle Götter aufgezählt worden sind …“

Ich komme zum 20. Kapitel.
Gruss von Steffi

:lesen:
Wolfgang Reinhard - Die Unterwerfung der Welt ( Langzeitprojekt)
Benutzeravatar
steffi
 
Beiträge: 5221
Registriert: Mi 2. Apr 2008, 12:56

Re: Leserunde: Halldor Laxness - Atomstation

Beitragvon JMaria » Mi 9. Jul 2025, 13:44

Trotz der doch etwas unnahbaren Erzählweise, hat mich Apfelbluts Schicksal sehr berührt. Wäre sie wirklich bis nach Australien gekommen, wenn Ugla nicht eingegriffen hätte?

Auf der anderen Seite ist Apfelblut noch so jung, dass es bei mir als Leser bitter aufstößt, wenn man ihren Missbrauch liest. Die Eltern finden keine Zeit für eine vernünftige Erziehung, da kann auch die Köchin mit ihrem Religionswahn und Ugla nichts ausgleichen.

Ende des 16. Kapitels erzählt Ugla ihr vom Landleben und von Lämmern, einem Kind das gerade eine Abtreibung hinter sich hat. Da wird einem das Herz schwer.

Ich komme zum 17. Kapitel.


Beim Organist wiederum geht es um Ideen, um Moral und Religion. Ich finde, es ist dort immer ein bisschen verwirrend. Aber mir kam der Gedanke, dass es durch die Augen von Ugla, für die das alles neu ist, auch tatsächlich so wirken könnte. Und der Leser es durch ihren Filter liest sozusagen.


Das könnte durch aus sein.
Schöne Grüße, Maria
Aktuell:

150 Jahre Thomas Mann
100 Jahre Mrs Dalloway


Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden ( Tacitus )
Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen (Johann Wolfgang v. Goethe)
Das Leben und dazu eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe (Rainer Maria Rilke)
JMaria
Moderator
 
Beiträge: 16715
Registriert: Mo 31. Mär 2008, 11:07

Re: Leserunde: Halldor Laxness - Atomstation

Beitragvon JMaria » Do 10. Jul 2025, 12:54

Ende Kapitel 18
Lässt viel diskreten Raum was zwischen Hausherrn und Ugla passiert sein könnte. Ich vermute das lief auf ein inniges Beisammensein hinaus. :breit_grins:

Ich weiß nicht wie ich Ugla einschätzen soll, sie will selbstbestimmt sein, macht Regeln, auch wenn es um Männer geht. Aber trotzdem kann sie einfach nicht anders und begründet es dann mit ihrer Dummheit wenn sie mit Männern intim wird. Es ist halt trotzdem eine von Männern bestimmte Gesellschaft.

Ich hole nur langsam auf und komme zum 19. Kapitel
Schöne Grüße, Maria
Aktuell:

150 Jahre Thomas Mann
100 Jahre Mrs Dalloway


Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden ( Tacitus )
Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen (Johann Wolfgang v. Goethe)
Das Leben und dazu eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe (Rainer Maria Rilke)
JMaria
Moderator
 
Beiträge: 16715
Registriert: Mo 31. Mär 2008, 11:07

Re: Leserunde: Halldor Laxness - Atomstation

Beitragvon JMaria » So 13. Jul 2025, 18:44

Ugla hat ihr Kind bekommen, ein Mädchen und gibt ihr den Namen Gudrun, im Namen steckt das Wort Gott, Gud im germanischen.

Bui kündet seinen Besuch an, schafft es aber dann doch nicht und schreibt ihr den Satz „Alles, worum du bittest, sollst du haben.“ sie war froh, dass er nun doch nicht kam, die Versuchung wäre vielleicht zu groß gewesen.

Als dann der namenlose Polizist bei ihr auftaucht und seine Tochter sehen möchte, entspannt sich ein interessantes Gespräch. Ugla will nicht heiraten, bevor sie nicht ein Mensch geworden ist, wie sie es nennt. Sie würde Kinderkrankenschwester werden wollen. Kinder gehen der gesamten Gesellschaft etwas an. Der Polizist zeigt ihr nun das Geld das er irgendwie erworben hat. Ich denke, da macht der Polizist denselben Fehler wie Bui, denn ums Geld geht es Ugla nicht.

Ich fand das Kapitel 21 sehr aufschlussreich.

Manches ist doch sehr symbolträchtig, aber ich kann es manchmal nicht recht greifen. Als Beispiel die Kirche mit dem Altar, dem die lateinischen Worte und die Heiligen rot übermalt wurden. Ein dreiarmiger Kerzenhalter an drei Stellen gebrochen und die Kirchentüre würde aus alte Kisten zusammengebaut. Gudrun wird aber dem All-Leben geweiht und nicht getauft. Dann wird die Kirche wieder geschlossen und es war als ob alle spürten,ndass in absehbarer Zukunft Gott an diesem Ort nicht mehr gepriesen werden würde. Schon rätselhaft. Gefällt mir aber gut.

Ich komme zum 22. Kapitel.
Schöne Grüße, Maria
Aktuell:

150 Jahre Thomas Mann
100 Jahre Mrs Dalloway


Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden ( Tacitus )
Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen (Johann Wolfgang v. Goethe)
Das Leben und dazu eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe (Rainer Maria Rilke)
JMaria
Moderator
 
Beiträge: 16715
Registriert: Mo 31. Mär 2008, 11:07

Re: Leserunde: Halldor Laxness - Atomstation

Beitragvon steffi » Mo 14. Jul 2025, 15:32

Ja, ich verstehe was du meinst mit symbolträchtig ! Ich würde mir Anmerkungen wünschen, da es mir scheint, dass es viele Anspielungen gibt. Im Internet gibts auch nicht sehr viel zu Atomstation.

Ich habe das Buch beendet.

Die Schilderung der Einweihungsfeier hat mir gefallen, die Kirche wird nur durch die Menschen lebendig, danach ist sie wieder voller Zementgeruch. Ugla ist natürlich nicht zu beeindrucken und der Polizist wird zum fremden Mann. Etwas skuril ist auch die Bestattung der Gebeinde des Lieblingsdichters.

Im Kapitel 23 ist Ugla wieder zurück in Reykjavik. Sie wendet sich an Bui, der sie in seinem Unterschlupf unterbringt. Er beeindruckt sie dann doch durch sein Wissen und auch, dass er sie ernst nimmt. Die betrügerischen Geschäfte des Polizisten sind aufgeflogen und er ist im Gefängnis. Ugla wischt die unangenehmen Gefühle weg.

Am Ende frage ich mich, für was der Organist steht. Er gibt Ugla das Geld für ihren Neuanfang, für ihren Weg, ein Mensch zu werden. Dafür hat er sein Haus verkauft. Die Heldensagen, werden sie weitergehen oder sind sie vergangen ? Und dann noch das seltsame Begräbnis. Wer oder was wird begraben - die Freiheit Islands ? Ich glaube, es gibt sehr viele Symbole und Anspielungen, die schwer zu entschlüsseln sind. Trotzdem fand ich es sehr interessant zu lesen.
Gruss von Steffi

:lesen:
Wolfgang Reinhard - Die Unterwerfung der Welt ( Langzeitprojekt)
Benutzeravatar
steffi
 
Beiträge: 5221
Registriert: Mi 2. Apr 2008, 12:56

Re: Leserunde: Halldor Laxness - Atomstation

Beitragvon steffi » Mo 14. Jul 2025, 16:01

Ich habe mal chatgpt zum Unterschied zwischen isländiscem und deutschen Heldenbegriff befragt:

Vergleich des isländischen und des deutschen Heldenbegriffs
Der Heldenbegriff unterscheidet sich im mittelalterlichen Island deutlich von dem im deutschsprachigen Raum, insbesondere in der höfischen Literatur. Während der deutsche Held stark von ritterlichen Tugenden und höfischen Idealen geprägt ist, zeichnet sich der isländische Held durch eine realistischere, oftmals tragischere und individuellere Ausprägung aus.

In der deutschen Heldendichtung, wie etwa im Nibelungenlied, steht der Held typischerweise im Dienst einer höheren Ordnung. Er entstammt dem Adel oder gar dem Königshaus, ist schön, stark und durch übermenschliche Fähigkeiten oder magische Gegenstände ausgezeichnet. Sein Handeln ist eng mit gesellschaftlichen Erwartungen und der Wahrung von Ruhm, Treue und Ehre verknüpft. Der Held agiert nicht als Einzelkämpfer, sondern innerhalb eines höfischen Systems, in dem Ruhm und Anerkennung durch ritterliche Taten errungen werden.

Demgegenüber steht der isländische Held der Sagaliteratur, etwa in der Grettis saga, außerhalb solcher höfischen Strukturen. Er stammt oft aus freiem, bäuerlichem Stand, bewegt sich in einer ländlich geprägten Gesellschaft und verfolgt persönliche Gerechtigkeit. Ehre ist dabei nicht durch Ruhm definiert, sondern durch Standhaftigkeit, Loyalität zur Familie und die Fähigkeit, sich in Konflikten zu behaupten. Der isländische Held ist häufig ein ambivalenter Charakter, der durch seine Unnachgiebigkeit und seinen Stolz auch in Isolation oder Tod getrieben wird. Magische oder übernatürliche Elemente treten zwar auch hier auf, werden aber nüchtern und nicht glorifizierend dargestellt.

Insgesamt lässt sich sagen, dass der deutsche Heldenbegriff stärker idealisierend und gesellschaftlich eingebunden ist, während der isländische Held als realistisch, einzelgängerisch und tragisch gezeichnet wird. Diese Unterschiede spiegeln die jeweiligen kulturellen Kontexte wider: ein höfischer, repräsentativer Adel in Mitteleuropa – und eine freie, rechtlich strukturierte Bauerngesellschaft im mittelalterlichen Island.
Gruss von Steffi

:lesen:
Wolfgang Reinhard - Die Unterwerfung der Welt ( Langzeitprojekt)
Benutzeravatar
steffi
 
Beiträge: 5221
Registriert: Mi 2. Apr 2008, 12:56

Vorherige

Zurück zu Lit-Chatten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast