Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon JMaria » Do 21. Apr 2011, 16:17

Hallo zusammen,


Petra hat geschrieben:
Kapitel 17:

Dem Kapitel 17 möchte ich gern besondere Aufmerksamkeit schenken, da es ja das Kapitel ist, das gestrichen worden war. Aus heutiger Sicht ist kaum mehr vorstellbar, dass man hier eine Streichung für nötig befunden hat, weil Anna Quangel dort in einem nicht so guten Licht erscheint. Für Dich, Maria, müssen wir sicher erst mal ein bisschen ausholen, was in dem Kapitel denn überhaupt beschrieben steht, da das Kapitel bei Dir ja fehlt, und nur ein kleiner Teil davon dem eigentlichen Kapitel 18 angehangen wurde.

In Kapitel 17 meint Otto zu Anna Quangel, dass es besser sei, wenn auch sie aus der Frauenschaft austritt, so wie er von seinem Amt bei der Arbeiterfront. Otto Quangel meint, dass sie es am besten auch so anstellen solle, dass man ihr keine Parteiuntreue nachsagen könne. Anna Quangel fragt sich, wie sie das wohl zu Wege bringen soll. Sie entscheidet sich für den umgekehrten Weg, von ihrem Mann.



ihre Mitgliedschaft in der Frauenschaft wird bei mir nicht erwähnt. Sehr schade, denn ich finde, es wird sehr raffiniert geschildert, wie sie sich ausschließen lässt. Es gibt viel von ihr preis. So habe ich nur den Eindruck eines verhuschten Wesens, das sich danach sehnt, Anerkennung zu finden, hauptsächlich bei ihrem Manne.


@Petra,
danke für die ausführliche Szenenbeschreibung. :-)
Das war wirklich sehr aufschlußreich.


Petra hat geschrieben:Aus heutiger Sicht erscheint Anna Quangel dadurch gar nicht in schlechtem Licht. Für die Verhältnisse kurz nach dem Krieg galt aber wohl, dass man so etwas wie dieses Führergetreue Verhalten der Anna Quangel nicht gern sah. Dass sie es nur spielt, und der eigentliche Zweck ja genau gegenteilig gemeint war (eben gegen den Führer und sein Gefolge), war bei der Beurteilung offenbar unwichtig.



Birgt eine Unlogik in sich *kopfschüttel* - ist nicht wirklich verständlich.


Im 17. Kapitel, betitelt "Die erste Karte wird geschrieben", wird die Anna erstmal von Otto eine Woche lang (von Sonntag auf den nächsten Sonntag) vertröstet, nichts mit Erklärung. So ist sie voller Unruhe. Hier klafft mE eine große erzählerische Lücke gleich am Anfang des 17. Kapitels.

Vielleicht steckte in diesen 7 Tagen der Plan Annas drin, wie sie aus dem Frauenbund austreten kann ohne Repressalien.


Petra hat geschrieben:Bei uns geht es in Kapitel 18 darum, dass Otto sich nach langem Schweigen nun endlich Anna anvertraut. Auch das ist von Fallada sehr schön herausgearbeitet. Wie Anna erst geschockt ist, dass Otto damit quasi gar nichts tut. Karten schreiben. Wie im wahren Leben auch. Ganz still und gefahrlos. Aber als sie Otto das sagt, sagt seine Reaktion so viel aus. Selbst Anna denkt damit um. Denn jeder soll auf seine Art Widerstand leisten. So Otto auch auf seine. Und so klein der Widerstand auch sein mag, der Preis dafür, wenn sie auffliegen, ist nicht geringer als der Tod. Besser kann man die Größe des kleinen Widerstands kaum zeigen. Toll gemacht.



das ist alles bei mir im 17. Kapitel drin.

Kapitel 18 "Die erste Karte wird abgelegt"
sie suchen sich auf Annas Rat hin, ein anderes Haus aus, nicht so in ihrer Nähe. Es dauert etwas bis Otto wieder herauskommt.

Zweiter Teil Die Gestapo

Kapitel 19:

In diesem Haus ist der Rechtsanwalt Toll und der Schauspieler Harteisen, der die 1. Karte findet. Zunächst wissen die beiden nicht was sie tun sollen und sind sich gegenseitig mißtrauisch. Ein gutes Beispiel dafür, dass das Regime mit seinem Schreckensverbreitung Erfolg hat, selbst seinen besten Freunden mißtraut man.

Sie geben die Karte einem Politischen Leiter, das Füchslein genannt, ab, der bringt sie zur Gestapo.

Und hier gibt es eine Aussage, die zumindest ansatzweise Licht ins Dunkel bringt, wie der Nationalsozialismus funktionieren konnte. Es heißt dort....

Alle habe sie Angst!" entschied das Braunhemd verächtlich. "Warum eigentlich? Es ist ihnen doch so leicht gemacht, sie brauchen nur zu tun, was wir ihnen sagen."

"Das ist, weil die Leute das Denken nicht lassen können. Sie glauben immer, mit Denken kommen sie weiter."

"Sie sollen bloß gehorchen. Das Denken besorgt der Führer."


So einfach und so schwerwiegend.

Liebe Grüße
Maria
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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon JMaria » Do 21. Apr 2011, 16:30

Hallo Petra, hallo Steffi,

ich habe da noch eine Frage zu Frau Rosenthal. Wird sie in eurem Buch auch mit zwei Vornamen belegt. Ihr (richtiger) Name Lore, nennt aber auch den Namen Sara immer als zweites, als ob sie ihn vom Staat(?) bekommen hat.

Könnte es sein, dass hier Fallada sie Sara nennt um sie im Roman an stelle für alle Juden zu setzen, als Stammutter sozusagen. (Sara und Abraham Geschichte und der Bund mit Gott)

dann dürften (theoretisch) keine jüdischen Personen im Buch mehr auftauchen (frei gedacht, wird sich ja noch zeigen im Laufe der Handlung).

Gruß,
Maria
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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon JMaria » Do 21. Apr 2011, 17:08

steffi hat geschrieben:
So, mein Urteil zum szenischen Präsens revidiere ich nun wieder etwas, denn eigentlich überwiegt das Präsens deutlich.

Einen Wechsel von Präsens zu Präteritum findet man gleich gegen Ende des 1. Kapitels (S.15) : Aber sie sagt hitzig:"Wozu bist du denn der Mann im Haus ... ". Er hörte sich das alles ohne ein Widerwort an. Das Kapitel endet dann im Präteritum. Im 2. Kapitel geht dann das Päteritum wieder in Präsens über, wobei er sogar als direkter Erzähler zuerst noch ins Perfekt wechselt: Mit solchen Gedanken ging also Quangel eiliger die Treppen hinab und über den Hof auf die Straße. Bei den Persickes aber haben sie darum so geschrien, ... Sie starren ihn abwartend an ...

Auch der Wechsel zwischen dem eher der Umgangssprache entliehenen Perfekt z.B. Seine Stimme hat sich gesenkt und ist gegen Schluss hin fast unhörbar geworden (statt: Seine Stimme senkte sich und wurde gegen Schluss fast unhörbar) finde ich, passt sehr gut zu der Stimmung und Atmosphäre. Der Leser wird so direkt angezogen, was ja auch dem Stil der Neuen Sachlichkeit entspricht, die ja mehr einen Reportagestil bevorzugt und auch eine eher einfache Sprache, was natürlich nicht auf Kosten des dargestellten Inhalts geht.
:arrow: http://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Sachl ... teratur%29


Hallo Steffi,

vielen Dank. Das ist mir nicht aufgefallen, tut es eigentlich selten. Doch finde ich es sehr hilfreich. Danke schön. Auch für den Link.

zu Fallada passt gut die Aussage von Joseph Roth, das im obigen Link zu finden ist:

Wichtigste ist das Beobachtete.“ schrieb Joseph Roth 1927 im Vorwort seines Romans Die Flucht ohne Ende


Über die Beobachtungsgabe Falladas können wir uns nicht beklagen.

Liebe Grüße
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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Do 21. Apr 2011, 17:16

Hallo zusammen,

nur ganz kurz: Ich meine, dass allen jüdischen Frauen der Name Sara zugedacht wurde. Schaut mal :arrow: hier. Habe jetzt keine Zeit das nachzuforschen. Aber Deine Theorie, dass in Falladas Roman kein weiterer Jude vorkommen wird, ist auch sehr interessant!

Edit: Ja, in unserer Ausgabe hat sie auch diese zwei Namen.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon steffi » Fr 22. Apr 2011, 09:47

Im 17. Kapitel lernen wir Anna richtig kennen (schade, dass das gekürzt wurde). Sie ist eine sehr willensstarke Frau und kann durchaus eigene Initiative ergreifen. Dieses ganze raffinierte Ausspielen der Gegenseite hat mir sehr gefallen und auch gezeigt, wie ungerecht das System wirklich war. Mir fielen auch immer wieder die Parallenen zur späteren DDR auf, auch da waren einige "geicher" als die anderen und man konnte sich wohl auch nur auf spezielle Weise vor den "Pflichten" drücken.

Ich frage mich auch, warum das gekürzt wurde. Vielleicht entsprach es nicht dem gewünschten Frauenbild ? Oder auf die Ungerechtigkeit zugunsten hoher Parteifunktionäre sollte nicht ausdrücklich hingewiesen werden ?

Das 19. Kapitel hat mir besonders gefallen, zuerst der Schauspieler, befreundet mit Goebbels. Und wieder darf die Wahrheit und die eigene Meinung nicht gesagt werden. Dann die Karte und sogleich setzt sich die Angst- und Misstrauensmaschinerie in Gang. Wie durchdacht das alles war und wie gut die Mechanismen funktionierten - einfach schauderlich. Und plötzlich wird einem auch bewusst, dass das einfache Kartenschreiben doch weitreichende Dimensionen auch für die Finder annehmen konnte, eigentlich eine lächerliche Angelegenheit. Und doch so angsteinflößend !
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon JMaria » Mo 25. Apr 2011, 18:57

Hallo zusammen,

ich habe den 2. Teil (= bis einschließlich Kapitel 32) heute beendet. Diesen mehrmonatigen Einschub, ohne die Quangels, fand ich als eine Art von Verzögerung sehr spannungssteigernd.

ich warte jetzt mal ab, wie weit ihr inzwischen gekommen seid.

Liebe Grüße
Maria
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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Di 26. Apr 2011, 11:24

Hallo zusammen,

dann sind wir fast gleich weit, Maria. Ich befinde mich im Kapitel 33 (Maria, bei Dir ist es das Kapitel 32), also im letzten des zweiten Teils.

Der mehrmonatige Einschub ohne die Quangels ist einerseits spannungssteigernd. Andererseits bin ich jetzt auch froh, wenn ich den Teil hinter mir habe. Denn andererseits trat dadurch die Geschichte auch auf der Stelle. Ein bisschen zu viel wurde mir der Enno Kluge in all seinen Auswüchsen seiner Faulheit und Verschlagenheit geschildert. Gelesen habe ich es trotzdem gern. Aber ein bisschen weniger davon hätte auch nicht geschadet. Andererseits werden durch solche Dinge mehrere Leben dieser Zeit betrachtet, was wiederum ein facettenreicheres Gesamtbild gibt.

Auffallend ist, dass keiner mehr jemandem trauen kann in dieser Zeit. Das fiel mir besonders stark in dem Kapitel auf, in dem die Quangels die erste Karte abgelegt haben. Denn nicht mal Otto kann seiner Frau trauen. Nicht in etwa, weil diese nicht vertrauenswürdig wäre. Sondern weil die Verhörmethoden schon jeden zum Reden bringen. Wie schrecklich!

Einen Vorgeschmack bekommt man davon in Kapitel 24 (bzw. 23. „Das Verhör“). Wie Escherich den Enno da in die Enge treibt und von ihm die Unterschrift für das Protokoll bekommt. Escherich macht das ja an seinem Kollegen vorbei. Auch dort kann man somit niemandem trauen. Ebenso klar wird das im darauf folgenden Kapitel (26., bzw. 25. Kapitel - „Kommissar Escherich bearbeitet die Sache Klabautermann“), als Escherich von seinem Vorgesetzten drangsaliert wird. Wie sadistisch die Menschen mit ihnen untergebenen umgegangen sind. Wie erschreckend, was in der menschlichen Natur schlummert. Denn es waren ja nicht nur die Menschen zu dieser Zeit, sondern man findet das überall, wo den Menschen Macht gegeben wird, besonders denen, die sonst nicht viel zu melden hätten. Dann noch der große Spielraum, was sie sich herausnehmen können, ohne behelligt zu werden. Eine ungute Kombination.

Ich fürchte, die Quangels werden im folgenden Teil auch noch schwer in die Mangel genommen. Mir graut ein wenig davor. Aber ich bin auch sehr gespannt darauf.

Steffi, Du schriebst das auch ganz treffend: Die erste Karte und sogleich setzt sich die Angst- und Misstrauensmaschinerie in Gang. Und sehr richtig: Wirklich erschreckend, wie durchdacht das alles war und wie gut die Mechanismen funktionierten.

Das 19. Kapitel hat mir ebenfalls besonders gefallen, Steffi! Die Figur des Max Harteisen finde ich sehr schön getroffen. Und die Verehrung Goebbels, der Harteisen mit Anrufen nach seinem Befinden und Geschenken bedenkt, als sei dieser eine von ihm verehrte Diva. Dieses Beispiel steht für sicher viele vergleichbare tatsächliche Vorkommnisse dieser Art. Da schaudert einen.

Zum Kapitel 21 (also bei Dir Kapitel 20, Maria – „Ein halbes Jahr danach: Quangels“) noch eine Frage: In unserer Ausgabe steht (ziemlich zu Anfang des Kapitels, ich meine auf der ersten Seite), dass die Quangels nicht unbedingt Judenfreunde waren, nun aber auch das in einem anderen Licht sehen. Ist das in Deiner Ausgabe auch ersichtlich, dass sie nicht gerade Judenfreunde waren, Maria?

Zum so gravierend gekürzten (bzw. weggefallenen) Kapitel 17 noch mal: Es heißt dass Anna Quangels Nazi-Getue nicht gut ankam und die Streichungen deshalb vorgenommen wurden. Denn man wollte von solch einem Verhalten wohl nichts mehr wissen. Aber Deine Ideen dazu, Steffi, finde ich auch nicht abwegig! Mag gut möglich sein, dass es nicht gern gesehen war, wie dort Ungerechtigkeiten zugunsten hoher Parteifunktionäre geduldet wurden. Auch gebe ich Dir recht, dass es darin Parallelen gibt zur späteren DDR. Einige sind gleicher als andere. Aber nicht nur zur DDR. Man findet das in jedem Machtgefüge. In der Politik, in Firmen, etc.. Traurig!

Maria, es freut mich, dass ich Dir durch meinen ausführlichen Bericht zu Kapitel 17 Einblicke in die entfallenden Szenen geben konnte.

Habt Ihr wegen des Beinamens Sara noch mal genaues herausgefunden?

Es müsste aber so sein, wie ich meinte, da ich noch vermehrt die Info gefunden habe, dass generell alle Juden zusätzlich die Vornamen "Sara" bzw. "Israel" annehmen mussten. Auch eine Art Menschen zu entmenschlichen und zu anonymisieren, damit das Morden leichter fällt. Ganz furchtbar!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon JMaria » Di 26. Apr 2011, 15:53

Petra hat geschrieben: Habt Ihr wegen des Beinamens Sara noch mal genaues herausgefunden?

Es müsste aber so sein, wie ich meinte, da ich noch vermehrt die Info gefunden habe, dass generell alle Juden zusätzlich die Vornamen "Sara" bzw. "Israel" annehmen mussten. Auch eine Art Menschen zu entmenschlichen und zu anonymisieren, damit das Morden leichter fällt. Ganz furchtbar!


Hallo Petra,

dazu wollte ich gestern noch schreiben, habs dann jedoch nicht mehr geschafft. Du hast schon den richtigen Link gelegt bzw. die richtige Erklärung gegeben. Sehr hilfreich. Vielen Dank :-)

Ganz treffend finde ich den Begriff "anonymisieren".

Sehr interessant fand ich diesbezüglich auch den Arzt aus der Praxis (wo der Enno Kluge festgenommen wurde), dass dieser Arzt seine Ex-Frau, eine Jüdin, bei sich als Haushälterin beschäftigt (doch eher versteckt). Eine weitere Facette.

Petra hat geschrieben:Der mehrmonatige Einschub ohne die Quangels ist einerseits spannungssteigernd. Andererseits bin ich jetzt auch froh, wenn ich den Teil hinter mir habe. Denn andererseits trat dadurch die Geschichte auch auf der Stelle. Ein bisschen zu viel wurde mir der Enno Kluge in all seinen Auswüchsen seiner Faulheit und Verschlagenheit geschildert. Gelesen habe ich es trotzdem gern. Aber ein bisschen weniger davon hätte auch nicht geschadet. Andererseits werden durch solche Dinge mehrere Leben dieser Zeit betrachtet, was wiederum ein facettenreicheres Gesamtbild gibt.


so sah ich es auch; es ergab ein treffendes Bild des Mißtrauens und wie der Büroapparat funktioniert. Man erfährt mehr vom Kleinbürgertum in der Nazizeit, was ja genau das ist, was die Engländer an dem Buch u.a. faszinierte.

später mehr noch zu deinen Fragen.

Liebe Grüße
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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Mi 27. Apr 2011, 09:25

Hallo zusammen,

Maria hat geschrieben:so sah ich es auch; es ergab ein treffendes Bild des Mißtrauens und wie der Büroapparat funktioniert. Man erfährt mehr vom Kleinbürgertum in der Nazizeit, was ja genau das ist, was die Engländer an dem Buch u.a. faszinierte.


Das hast Du sehr treffend erfasst und ausgedrückt – sowohl in dem Punkt, was diese Kapitel aufzeigen, als auch, dass es eben diese Dinge sind, die die Leser in anderen Ländern zur Zeit so faszinieren. Es wird der einfache Mann (die einfache Frau) aufgezeigt. Weder im Licht eines Helden (davon sind Menschen wie Enno Kluge z. B. ja weit entfernt), noch als böse Mitläufer. Sondern einfach als Menschen, die sich den Umständen der Zeit anpassen mussten, oder sie sich zu Nutze gemacht haben. Ein sehr realistisches Bild, was hier gezeichnet wird. Die Wirkung auf die Leser, gerade im Ausland, kann man gut verstehen.

Im 33. (bzw. 34.) Kapitel kommt der Enno Kluge also zu Tode. Anzunehmen war es ja, nachdem der Kommissar Escherich die Waffe eingesteckt hat, und schon darüber nachsinnt, dass er sein Büro nie wieder als derselbe Mensch betreten wird. Dass Enno die Waffe gegen Escherich richtet, hatte ich mir auch fast gedacht. Beinahe wäre er dem Escherich entkommen. Und nun ist er doch tot, und natürlich ins Wasser geglitten. Dass seine Wünsche auch nach seinem Tode noch unberücksichtigt bleiben, war bezeichnend und irgendwie klar. Wen interessiert schon, was ein Enno wünscht? Er ist gleichgültig, er ist ein Garnichts. Wie Escherich schon sagte.

Die Verhörmethoden der Gestapo werden auch hier wieder erwähnt. Wie grausam Menschen sind. Und wie klar, dass man alles gesteht. Alles gestehen muss. Sicher selbst Dinge, die man gar nicht getan hat, oder auch Geheimnisse, die nichts mit den Anklagepunkten zu tun haben. Damit man wenigstens irgendwas zu bieten hat, das die Folter beenden könnte. Grauenhaft! Und auf Fallada’sche Art geschrieben. Die erkenne ich, da ich ja auch kürzlich „Der Trinker“ als Hörbuch gehört habe. Sein Erzählstil ist eigen und er ist erkennbar. Interessant.

Nun befinde ich mich auch im dritten Teil des Buches.

Im 34. (bzw. 33.) Kapitel Nun hat also die Trudel Hergesell den Otto Quangel beim ablegen einer Karte beobachtet. Hoffentlich wird ihr nicht mal ein Verhör zum Verhängnis, in dem sie Dinge ausplaudert, die sie nie sagen sollte. Mir wird gerade so richtig bewusst, wie verheerend es wirklich war, wenn man irgendetwas wusste, was jemand anderem schaden konnte. Hans Fallada hat dies sehr deutlich herausgearbeitet. Alles arme Würmer, die zu dieser Zeit lebten. Und wie in diesem Kapitel auch so schön gesagt wird: Niemand konnte sich raushalten. Man war das kollektive Deutschland. Keine Zeit für Individualität oder Gegenwehr. Man hatte mitzuziehen. Und alle haben mitgewirkt. Bespitzelt und denunziert. Sei es um des eigenen Vorteils willen oder aber um selbst nur nicht negativ aufzufallen oder zu Gefallen zu sein. Erschütternd. Aber gut eingefangen.

Blümerant wurde mir so recht in Kapitel 38 (bzw. 37, als Otto und Anna darüber nachdenken, was auf sie zukommen wird, wenn man sie erwischt. Eigentlich fragt man sich dann ja, warum sie diesen doch eher im Nichts verhallenden Widerstand weiter betreiben wollen, unter Gefährdung ihrer Sicherheit, ja, ihres Lebens. Doch als Anna dem Gedanken verfällt, dass sie den Krieg überleben, und nicht erwischt werden, fragt Otto ja, was sie denn danach tun wollen. Wenn das Karten schreiben wegfällt, kommt die große Leere, die Ottochens Tod, und überhaupt dieser schreckliche Krieg in ihnen hinterlassen wird. Da versteht man dann, warum sie trotzdem weiter Karten schreiben und verteilen. Das hat Fallada schön verdeutlicht, wie ich finde.

Was Otto da an Anna heranträgt, was man mit ihnen tun wird, wenn man sie erwischt. Und dass sie sich dann nicht mehr (oder nur wenige Male noch) sehen würden, das hat mich so geschmerzt. Wie grausam das alles.

Und ständig ertappe ich mich nun dabei, dass ich hoffe, dass die beiden nicht erwischt werden, obwohl ich doch weiß, dass es so kommt. In Kapitel 39 (bzw. 38) wurde Otto nun also beobachtet beim ablegen einer Karte. Wie schlimm! Ist es jetzt schon soweit? Den Kapitelüberschriften nach zu urteilen eher nicht. Aber es dauert nicht mehr lange. Mir graut davor!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon steffi » Do 28. Apr 2011, 09:48

Ich komme nun auch zum 3. Teil.

Mir hat der Einschub über Enno und auch Barkhausen sehr gut gefallen - die Szene beim Arzt, Hete Häberle, Barkhausen, der sich so schlau vorkommt und dann doch noch gewinnt, wenn es auch gar nicht das ist, was er eigentlich gewinnen wollte und sch
ließlich Escherich. Ich finde die Personen so lebendig und fassbar geschildert, auch wenn ganz deutlich wird, dass sie für etwas stehen: der leichtgläubige, unbekümmerte Verlierer, die einsame und misstrauische Geschäftsfrau, der gierige Mitläufer ohen Gewissen und der treue Beamte, der trotz Gewissensbisse sich anpasst. Alle scheitern an diesem System, und das zeigt auch, dass es eben jeden treffen konnte, dass keiner davon ausgenommen war, aber auch, dass jeder seine persönliche Verantwortung trägt. Ich hätte noch ewig von Enno lesen können, umso geschockter war ich vom Ende.

Ich musste nach dem 2. Teil erstmal einen Tag pausieren, zwar sind mir die bisherigen Schilderungen ja nicht so nahe gegangen wie euch, aber gerade diese Kapitel waren für mich intensiv.

Petra hat geschrieben: Habt Ihr wegen des Beinamens Sara noch mal genaues herausgefunden?

Wie Maria schon schrieb, du hattest Recht - der Zusatz musste in den Pass geschrieben werden, wie auch der Judenstern eine weitere Demütigung.


Petra hat geschrieben: Dass seine Wünsche auch nach seinem Tode noch unberücksichtigt bleiben, war bezeichnend und irgendwie klar. Wen interessiert schon, was ein Enno wünscht? Er ist gleichgültig, er ist ein Garnichts. Wie Escherich schon sagte.


Das gibt ein so hilfloses Gefühl, man kann nicht einmal mit dem stärksten Argument, nämlich einem Menschenleben, argumentieren. Auch sagt das jemand zu Quangel, dass man froh sein kann, eines seiner Kinder für die Sache geopfert zu haben. Diese perfide Argumentation verdeckt die Schicksale, die dahinterstehen - ich finde, das vergisst man leider nur allzu leicht.
Gruss von Steffi

:lesen:
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