Emile Zola - Nana

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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon Petra » Fr 16. Sep 2011, 08:47

Hallo zusammen,

mir gefällt Dein Gedanke auch sehr gut, Yvonne. Und Marias Zitat, als Nana und Gräfin Sabine sich begegnen, unterstreicht das auch schön.

Ich bin auch beim Kapitel 6, aber noch recht weit am Anfang. Der Graf Muffat und Gräfin Sabine, sowie George sind auf dem Land angekommen. Und Nana inzwischen auch. Sie hat gerade Besuch von Georges.

Nanas helle Freude über den Landsitz und den Garten lassen sie erneut unschuldig wirken. Ein starker Kontrast zu ihrem Dasein als Dirne. Nana tut das eine, um zu leben, bzw. um sich ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie lässt es über sich ergehen, und diese Herrenbesuche sind ihr zuwider. Aber sie kann das gut ausblenden, denn es muss ja sein (um ihr Leben so zu ermöglichen). Die Annehmlichkeiten, die sie dadurch hat (z. B. der Landsitz) erfreuen sie von ganzem Herzen, als habe die dunkle Seite der Sache damit gar nichts zu tun. Sie setzt sich damit nicht weiter auseinander, sondern lebt beide Seiten. Die eine, weil sie nötig ist für die andere. Aber es steckt deutlich weniger Durchtriebenheit darin, als man von solch einer Person vermuten könnte. Unbewusst natürlich schon. Sie weiß schon, dass sie Vorteile hat, wenn sie nett zu den Herren ist und sich ihnen zur Verfügung stellt. Aber sie ist so unbeschwert und naiv, dass es sicher nicht immer so intensiv in ihr Bewusstsein drängt.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon steffi » Fr 16. Sep 2011, 09:23

YvonneS hat geschrieben:Für mich stehen diese beiden Frauen stellvertretend für zwei Lebensmodelle, auf die die Frauen in dieser Zeit reduziert waren. Heiraten und sich auf Gedeih und Verderb den Launen eines Mannes auszuliefern, der komplett über das Leben der Frau bestimmt oder sich zu prostituieren und sich der Gunst mehrerer Männer zu sichern und sich von ihnen aushalten zu lassen.


Ja, ich finde diesen Gedanken auch sehr gut. Wobei ich noch zu bedenken gebe, dass es wohl kein so großer Unterschied ist. Auch Nana ist ausgeliefert, anstatt eines männlichen Zuhälters hat sie eben einen weiblichen, die ihr Termine verschafft. Einziges Ziel ist ja, Mätresse zu werden, die in Zeiten von Hochzeiten, die nur innerhalb der gesellschaftlichen Schicht erfolgten, gang und gäbe waren. Damit hätte die de fakto eine ähnliche Stellung wie die Gräfin Sabine.

Ich beginne heute mit dem 6. Kapitel.
Gruss von Steffi

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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon YvonneS » Fr 16. Sep 2011, 09:33

Petra hat geschrieben:Sie lässt es über sich ergehen, und diese Herrenbesuche sind ihr zuwider. Aber sie kann das gut ausblenden, denn es muss ja sein (um ihr Leben so zu ermöglichen). Die Annehmlichkeiten, die sie dadurch hat (z. B. der Landsitz) erfreuen sie von ganzem Herzen, als habe die dunkle Seite der Sache damit gar nichts zu tun.


Auch in diesem Fall ist der Unterschied zwischen Nana und Gräfin Sabine gar nicht so groß. Eine verheiratete Frau war zu dieser Zeit quasi das Eigentum des Mannes und hatte diesem auch zur Befriedigung seiner Gelüste rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen, ob sie nun wollte oder nicht. Im Gegensatz zur Gräfin Sabine, die einen ungeliebte bigotten Ehemann "über sich ergehen lassen muss", hat Nana aber wenigstens den kleinen Vorteil, sich ihre Gönner aussuchen zu dürfen und über ihr Geld selbst verfügen zu können, was Gräfin Sabine ja auch verwehrt ist, denn ihr in die Ehe eingebrachtes Eigentum ist automatisch in die Verfügungsgewalt des Ehemannes übergegangen. Sie wird von ihren Ehemann auf eine gewisse Art also auch nur "ausgehalten" und hat dafür ihre eheliche Pflicht zu erfüllen.

Ich weiß nicht, wer von Euch den Roman "Die Herrin von Wildfell Hall" von Anne Bronte kennt. Der Schlag, als ihre Heldin sich dem Ehemann verweigert und ihm die Schlafzimmertür vor der Nase zugeschlagen hat, hallte damals durchs ganze Land und war ein Skandal. Das Recht, sich ihrem Eheman zu verweigern, stand einer Frau damals einfach nicht zu.

Ich hoffe, ich konnte halbwegs verständlich machen, was ich meine. ;)
Liebe Grüße
Yvonne



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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon YvonneS » Fr 16. Sep 2011, 09:58

steffi hat geschrieben:
Ja, ich finde diesen Gedanken auch sehr gut. Wobei ich noch zu bedenken gebe, dass es wohl kein so großer Unterschied ist.


Genau das meinte ich, dass es zwischen beiden keinen großen Unterschied gibt, denn beide stecken in einem gesellschaftlichen Korsett und sind anderen ausgeliefert, ob nun als Ehefrau oder Kurtisane (ich rede jetzt nicht von Mätressen, das war wieder was anderes).
Liebe Grüße
Yvonne



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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon Petra » Fr 16. Sep 2011, 10:00

Hallo Yvonne,

sehr, sehr richtig was Du schreibst. Zudem nimmt das einer Nana auch ganz viel von ihrer Verwerflichkeit. Sie hat auf jeden Fall einen selbstbestimmteren Part als Frau in der Gesellschaft, als eine verheiratete Frau, also als Gräfin Sabine.

"Die Herrin von Wildfell Hall" habe ich noch nicht gelesen, sie steht aber hoch im Kurs bei mir als einer der nächsten Klassiker, die ich lesen möchte. Dass ich dieses Thema darin auch wiederfinden werde, freut mich. Es ist ein wichtiges Thema der damaligen Zeit gewesen. Auch nicht nur für die Frauen, wenn sie auch eine wesentlich ungünstigere Ausgangsposition hatten. Für die Männer (für die zartfühlenden unter ihnen) war es sicher aber auch nicht leicht, sich ihrer eigenen Frau aufdrängen zu müssen, um ihre Gelüste ausleben zu können. Es wird nicht jedem Freude bereitet haben, wenn die Frau nicht wollte, und es über sich ergehen ließ, weil sie es musste. Dass so manch ein Mann sich eine Mätresse zulegte, wird da auch verständlicher. Beide Seiten zeigen mir, wie wenig selbstverständlich unsere Freiheiten hier und heute sind. Aber auch wie wichtig sie sind. Für alle Menschen.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon YvonneS » Fr 16. Sep 2011, 10:17

Petra hat geschrieben:Dass so manch ein Mann sich eine Mätresse zulegte, wird da auch verständlicher.


Hallo Petra,

in diesen Zeiten wurden Ehen hauptsächlich aus wirtschaftlichen und dynastischen Gründen geschlossen, da waren Gefühle oder gar Liebe ziemlich zweitranging. Nur während man den Männern Mätressen nachsah und sich daran nicht groß gestoßen hat, gestand man dies den Ehefrauen allerdings nicht zu. Die durften sich nicht mit Liebhabern erwischen lassen.

Petra hat geschrieben:Beide Seiten zeigen mir, wie wenig selbstverständlich unsere Freiheiten hier und heute sind. Aber auch wie wichtig sie sind. Für alle Menschen.


Kann ich so nur unterstreichen.
Liebe Grüße
Yvonne



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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon Petra » Fr 16. Sep 2011, 10:23

Hallo Yvonne,

ja, und ich denke mir, dass viele Ehefrauen gar nicht mal so böse waren, dass ihre Männer Mätressen hatten. Denn so ließen sie sie wenigstens in Ruhe. Eben weil die Liebe nie (oder selten) Grundstein für eine Eheschließung war.

Ich finde es immer sehr spannend, mich in diese Zeiten hineinzuversetzen. Und erschütternd. Mit unserer heutigen Freiheit in dem Thema hierzulande ist es kaum vorstellbar, was eine solche Interessen-Verbindung hieß.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon steffi » So 18. Sep 2011, 09:45

Petra hat geschrieben:Ich finde es immer sehr spannend, mich in diese Zeiten hineinzuversetzen. Und erschütternd. Mit unserer heutigen Freiheit in dem Thema hierzulande ist es kaum vorstellbar, was eine solche Interessen-Verbindung hieß.


Ein wichtiges Thema und ich finde es auch außergewöhnlich, dass solch eine Diskussion ausgerechnet beim Lesen eines Dirnenromans aufkommt. Das zeigt, dass Zola versuchte, alle Aspekte miteinzubeziehen.

Ich frage mich ja, woher Nana (wisst ihr, dass das eine Kosename ist und sie eigentich Anna heißt) diese romantische Sehnsucht hat. Sie ist ja direkt in Paris aufgewachsen, zum Teil recht vernachlässigt von den Eltern, die beide Alkoholsüchtig waren und Nana war schon bald recht frühreif und gab den Ton im Hinterhof an. Trotzdem hat sie sich eine naive Haltung bewahrt, die alles so nimmt, wie es kommt. Auch besonders vorausschauend ist sie nicht, sonst hätte sie ja Zizi nicht erlaubt, die Nächte bei ihr zu verbringen, während Steiner ebenfalls im Haus ist. Lange wird das ländliche Idyll nicht mehr gehen, vermute ich. Durch die Zizi-Szene wird der Unterschied zwischen den beiden deutlich, er hat das Recht auf unbeschwerte jugendliche Schwärmerei während Nana im gleichen (?) Alter bereits viel gereifter und erwachsener wirkt.
Gruss von Steffi

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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon JMaria » Mo 19. Sep 2011, 10:16

steffi hat geschrieben:Ich frage mich ja, woher Nana (wisst ihr, dass das eine Kosename ist und sie eigentich Anna heißt) diese romantische Sehnsucht hat. Sie ist ja direkt in Paris aufgewachsen, zum Teil recht vernachlässigt von den Eltern, die beide Alkoholsüchtig waren und Nana war schon bald recht frühreif und gab den Ton im Hinterhof an. Trotzdem hat sie sich eine naive Haltung bewahrt, die alles so nimmt, wie es kommt. Auch besonders vorausschauend ist sie nicht, sonst hätte sie ja Zizi nicht erlaubt, die Nächte bei ihr zu verbringen, während Steiner ebenfalls im Haus ist. Lange wird das ländliche Idyll nicht mehr gehen, vermute ich. Durch die Zizi-Szene wird der Unterschied zwischen den beiden deutlich, er hat das Recht auf unbeschwerte jugendliche Schwärmerei während Nana im gleichen (?) Alter bereits viel gereifter und erwachsener wirkt.


Hallo zusammen,

ihre Träumereien resultieren bestimmt aus dieser schweren Kindheit. Man kann es durchaus verstehen, dass das die einzige Art war, um sich dem Elend für kurze Zeit zu entwinden. Das macht das Ganze umso trauriger. Besonders zum Tragen kam dies, als sie das Schloss besuchten und Nana auf dem Heimweg Träumen nachhing. Doch im letzten Satz des 6. Kapitels wird man wieder brutal in die Wirklichkeit versetzt:


Und in dieser Nacht schlief sie mit Muffat. Aber sie verspürte keine Lust dabei.
Schöne Grüße, Maria
Aktuell:

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Barbi Marković: Minihorror (ebook)


Jahresprojekt: Günter Grass + Franz Kafka
Harro Zimmermann: Günter Grass. Biographie
Franz Kafka: Briefe an Felice Bauer


Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden ( Tacitus )
Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen (Johann Wolfgang v. Goethe)
Das Leben und dazu eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe (Rainer Maria Rilke)
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Re: Emile Zola - Nana

Beitragvon steffi » Mo 19. Sep 2011, 10:48

JMaria hat geschrieben:ihre Träumereien resultieren bestimmt aus dieser schweren Kindheit. Man kann es durchaus verstehen, dass das die einzige Art war, um sich dem Elend für kurze Zeit zu entwinden.


Ja, das leuchtet mir ein - sie wünscht sich ja auch, einmal in so einem Herrenhaus zu wohnen und angesehen zu sein.

Das 7.Kapitel wird ja hauptsächlich aus Muffats Sicht erzählt, dieser Perspektivwechsel hat mir gut gefallen. Wie die Leidenschaft zum Ausbruch kommt und auch, wie er vor dem Schlafzimmerfenster steht. Nana, wie sie nackt vor dem Spiegel steht und später noch die Szene mit dem farbigen Künstler. Ein sehr gefühlsbetontes, leidenschaftliches und erotisches Kapitel.
Gruss von Steffi

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