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Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: Mi 27. Feb 2013, 14:04
von JMaria
Hallo Steffi,

ich eröffne das gemeinsame Lesen von "Der Grenzwald", lt Klappentext von C.H. Beck Verlag handelt es sich um ....

„Der Grenzwald“ war von Heimito von Doderer als zweiter „Satz“ des nach dem Vorbild einer Symphonie in vier Sätzen aufgebauten „Romans No. 7“ geplant. Die Einheit dieses vierteiligen Werkes sollte nicht im Inhalt, sondern allein in seinen Formelementen liegen. Wie im ersten „Satz“, den „Wasserfällen von Slunj“, tritt eine Figur weitgehend in den Mittelpunkt. Es ist der Oberleutnant Zienhammer, Durchschnittsmensch mit einem Schicksal, das in allen Kriegen, so aktuell ist wie in dem, den Heimito von Doderer schildert. Neben Zienhammer steht der Arzt Dr. Alfons Halfon im Vordergrund: im Konflikt mit seinem Vater und auf der Suche nach den befremdlichen Todesumständen seiner Mutter. Obwohl „Der Grenzwald“ Fragment geblieben ist, ist Doderers Technik, die Dinge als sie selbst wirken zu lassen, bereits durchschaubar; und der Raum, der durch das Motiv des „Grenzwaldes“ geschaffen wird, verleiht dem Werk auch in der Gestalt die atmosphärische Dichte, die Doderers Romane stets ausgezeichnet hat.
http://www.chbeck.de/Doderer-von-Grenzw ... duct=20711

Wer sich uns noch anschließen möchte, ist herzlich eingeladen, die Leserunde beginnt offiziell am 01.03.2013.

Hier geht's zu grundlegenden Informationen über Heimito von Doderer:
http://de.wikipedia.org/wiki/Heimito_von_Doderer

Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: Fr 1. Mär 2013, 12:27
von steffi
Danke, JMaria !

Ich wollte nur kurz mitteilen, dass ich heute anfange, aber heute und morgen wohl nicht zum schreiben komme. Auf jeden Fall bin ich gespannt, ich hab bei Doderer ja immer die (bisher unbegründete) Angst, dass das neue Buch unmöglich gleich gut sein kann wie das letzte, das ich gelesen habe.

Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: So 3. Mär 2013, 11:34
von JMaria
Hallo zusammen,

ich werde heute (So.) beginnen und frag mich bereits, was der Titel wohl zu bedeuten hat, es klingt so Adalbert Stifter artig.

Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: So 3. Mär 2013, 18:23
von steffi
Die ersten 30 Seiten habe ich gelesen. Ach, wieder so schön, in Doderers Welt einzutauchen. Viele Motive kommen mir nun schon bekannt vor, z.B. die Doppelung, als beide simultan aus dem Auto steigen, die Aussicht der kleinen Wohnung, die Wiener Gassen und Cafés ... Ich frage mich, ob ich mir wieder ein Personenverzeichnis erstellen sollte.

Auf jeden Fall erinnert es mich irgendwie ein bißchen von der Atmosphäre an den ersten Teil, Die Wasserfälle von Slunj. Der mit Ein Mord, den jeder begeht, mein Lieblingsdoderer ist.

Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: Mo 4. Mär 2013, 10:10
von JMaria
Hallo zusammen,

ich fühlte mich sogleich wohl in der Geschichte und komme zum 3. Kapitel.
Im 1. Kapitel treffen wir Vincenz Ventruba, der in sibirischer Kriegsgefangenschaft war, das ähnelt Doderers Biographie.

Überrascht hat mich, daß im 2. Kapitel ein neuer Protagonist die Hauptrolle spielt, Dr. Alfons Halfon. Komplizierte Vater-Sohn-Beziehung.

Die Verdoppelungen fiel mir auch auf, auch manch ähnliche Motive wie in den Wasserfällen. Dort werde Vater und Sohn die englischen Brüder genannt, im Grenzwald nennt man Vater und Sohn die zwei Junggesellen.

Dann fiel mir noch auf, daß besonders der Augenmerk auf obere unter untere Wiener Stadtteille gelegt wird. Der Blick aus dem Fenster (auch ein wiederholendes und bekanntes Muster) von Vincenz Ventruba unterscheidet sich sehr vom Blick aus dem Fenster von Alfons Halfon.

Ich habe in der Biographie etwas gestöbert und dort fand ich den Hinweis, daß Doderer in seinem 7. Romanzyklus, insbesondere in "Grenzwald" eine Aura schaffen möchte. Dieser Begriff kommt auch gleich auf S. 11 vor. Grenzwald sollte ein stummer Roman werden, die Handlung muß sich der Leser selbst erschließen.

Auf S. 9 gibt es einen Hinweis auf einen Gymnasiasten namens Doderer, mit den schrägen Augen.

Und auf S. 42 bringt sich ein Erzähler ein, wie wir es in den "Dämonen" kennen:

Wir setzen sie keineswegs herab, wenn wir bemerken, daß sie dann erleichtert war.

Ob das ein Ausrutscher war?

Allgemein wäre noch zu sagen, daß Doderer ein Verehrer der 7. Sinfonie von Beethoven war und hat seine Schriften akribisch studiert und deswegen seinen Romanzyklus als 7. Roman bezeichnet ( hat extra 2 Romane aus seiner Liste gestrichen damit es mit seinen Plänen übereinstimmt), und teilte den 7. Roman in Sätzen ein.

1. Satz Die Wasserfälle von Slunj
2. Satz der Grenzwald als Fragment

Informativ dazu auch Wikipedia

http://de.wikipedia.org/wiki/Sinfonie

Auszug:
gewichtigster Satz ist der erste, der sogenannte Kopfsatz, der meist in Sonatensatzform mit evtl. langsamer Einleitung gehalten ist und zwei gegensätzliche Themen (Hauptthema und Seitenthema) vorstellt und verarbeitet. Der zweite Satz ist ein langsamer Satz, oftmals in Liedform, der dritte ein Menuett oder später ein Scherzo (gesprochen: ['skɛɐʦo]). Seit Beethoven erscheint das Scherzo zuweilen auch an zweiter, der langsame Satz an dritter Stelle. Der vierte Satz – das Finale – ist meist entweder ein Rondo oder ein Sonatensatz – oder ein Sonatenrondo.


Wie bedauerlich, daß Doderer seine geplanten 4 Sätze nicht vollenden konnte.

Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: Mo 4. Mär 2013, 11:05
von steffi
Danke für die Infos zur Sinfonie - sehr interessant und ja, schade, dass er sie nicht vollenden konnte. Ich finde es ziemlich spannend, wenn sich unaufdringlich solche formalen Aspekte finden lassen.

Dr Alfons Halfon und sein Vater, da scheint mir, dass sich da noch ein Geheimnis ergibt, denn wie auch in anderen Romanen könnte das Bild der Mutter ein Hinweis sein. Ich habe zu dem Bilderthema bei Doderer einen Essay von Schmidt-Denngler gelesen, demnach schafft Doderer hier quasi ein Fenster zu einem neuen Raum, sozusagen kann man dort in etwas neues durchschauen.

Der Altersunterschied ist dir sicherlich auch aufgefallen und auch die Besessenheit, mit der Alfons auf der Suche nach der Person der Mutter ist, evtl. somit auch auf der Suche nach seiner Identität.

Roman muet - die Atmosphäre wird zum Handlungsträger, die Figuren wissen über wichtige Handlungsstränge und ihr Leben nicht Bescheid; du hast Recht, mir ist der auktoriale Erzähler an ein paar Stellen auch aufgefallen. Aber vielleicht ist das auch dem Fragment geschuldet und er hätte es noch geändert ?

Ich spekuliere mal über den Begriff Grenzwald - ich könnte mir vorstellen, dass es sich um eine Abgrenzung handelt, die die Personen überschreiten müssen. Alfons biegt ja vor dem Wäldchen in der Au ab, er ist noch nicht bereit, diese Grenze (das Geheimnis um seine Mutter ?) zu überschreiten.

Ich komme ebenfalls zum 3. Kapitel.

Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: Mo 4. Mär 2013, 14:57
von JMaria
steffi hat geschrieben:
Ich spekuliere mal über den Begriff Grenzwald - ich könnte mir vorstellen, dass es sich um eine Abgrenzung handelt, die die Personen überschreiten müssen. Alfons biegt ja vor dem Wäldchen in der Au ab, er ist noch nicht bereit, diese Grenze (das Geheimnis um seine Mutter ?) zu überschreiten.



Das ist mir garnicht aufgefallen. Sehr guter Gedanke! Ich werde nun mehr darauf achten.
Interessant auch der Hinweis mit dem Bilderthema, als Fenster für einen neuen Raum, toll, auf was wir bereits stoßen :)


Ein weiteres Thema werden die Kriegsverbrechen in Sibirien sein, denn im 2. Kapitel stoßen wir auf Herrn Zienhammer, der bereits im Frühwerk "Das Geheimnis des Reichs" als Oberstlieutnant auftaucht! Dieser Roman befindet sich in dem Band Frühe Prosa. Ich glaube, auf ihn werden wir nochmals treffen.


Kapitel 1 zeigt bereits daraufhin, als Vincenz in der Zeitung den Gerichtsverfahren über Denunziation verfolgt und die Anklage daraufhin oft als Beihilfe zum Mord lautet. (S. 20)

Übrigens erinnert mich Vincenz etwas an Donald aus den Wasserfällen, etwas behäbig, nach dem ersten kurzen Eindruck. Aber auch nachdenklich und danach suchend Vergangenheit und Gegenwart in Einklang zu bringen. Eine Szene fand ich großartig, als er seine Verliebtheit zu Edith Morawetz in Verbindung bringt mit Ernst von Rottenstein.

S. 17
Er lehnte sich in der gepolsterten Loge zurück, so gewaltig überkam ihn das, nicht eigentlich als ein Gegensatz zu Edith mehr, sondern als eine Möglichkeit sein neues Gefühl für sie einzuordnen, gleichsam in eine ihm doch eben schon bekannte Skala. Auf diesen standen Edith und Ernst nah beieinander....

Aber mit alledem war nun einmal das Gewesene aufgebrochen und für Vincenz die Heimkehr erst richtig vollzogen...



Diese 'Ankerung' hat mich stark an Hans Castorp erinnert, als er Clawdia und Hippe miteinander in Verbindung bringt, nur hat es bei Thomas Mann einen erotischen Aspekt.

Edit:
Verwirrend war für mich gegen Ende des 2. Kapitels zu erkennen, daß dieses Kapitel vor 1914 spielt, während Kapitel 1 im August des Jahres 1919 beginnt.

Scheint, daß Doderer mit Personen und Zeit experimentiert und einige lose Enden zeugt.

Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: Di 5. Mär 2013, 09:50
von steffi
JMaria hat geschrieben:Edit:
Verwirrend war für mich gegen Ende des 2. Kapitels zu erkennen, daß dieses Kapitel vor 1914 spielt, während Kapitel 1 im August des Jahres 1919 beginnt.

Scheint, daß Doderer mit Personen und Zeit experimentiert und einige lose Enden zeugt.


Ja, das hat mich auch verblüfft.

Das 3. Kapitel handelt tatsächlich dann in Sibirien. Es wirft ein ganz anderes Licht auf Alfons, der da mitten im Wald landet. Dieses Waldmotiv taucht scheinbar immer mal auf, ohne allzu konkret zu werden.

Frühe Prosa - ich glaube, das muss ich mir auch zulegen ;)

Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: Di 5. Mär 2013, 10:09
von JMaria
steffi hat geschrieben:
JMaria hat geschrieben:Edit:
Verwirrend war für mich gegen Ende des 2. Kapitels zu erkennen, daß dieses Kapitel vor 1914 spielt, während Kapitel 1 im August des Jahres 1919 beginnt.

Scheint, daß Doderer mit Personen und Zeit experimentiert und einige lose Enden zeugt.


Ja, das hat mich auch verblüfft.

Das 3. Kapitel handelt tatsächlich dann in Sibirien. Es wirft ein ganz anderes Licht auf Alfons, der da mitten im Wald landet. Dieses Waldmotiv taucht scheinbar immer mal auf, ohne allzu konkret zu werden.

Frühe Prosa - ich glaube, das muss ich mir auch zulegen ;)



Kapitel 3
Und nun Rate mal, wer der durch eine Axt Verletzte junge Mann ist?
Yep - es ist Rene Stangeler, im Lager in Krasnojarsk :)

Wie es dazu kam, kannst du in "Das Geheimnis des Reichs" erfahren. Dieser Roman ist eher geschichtslastig, mit ausführlichen Bericht über den Bürgerkrieg zwischen den Weißen und den Roten, und der Vormarsch der 5. Sowjet-Armee in den Osten Sibiriens. Neben den historischen gibt es natürlich auch schöne Naturbeschreibungen.

"Frühe Prosa" gibt es leider nicht mehr im Handel, außer im Shop des C. H. Beck Verlags. Anmelden und per Rechnung bestellen, alles ganz unkompliziert.

Bei den angebotenen gebrauchten Bücher bei Amazon-Marketplace handelt es sich meist um ältere Ausgaben aus den 90er Jahren, keine Anfrage von mir ergab, daß es sich um die Jubiläumsausgabe von 2008 handelt.

http://www.chbeck.de/Doderer-von-Fruehe ... duct=15270

@Yvonne
wie weit bist du?

Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

BeitragVerfasst: Di 5. Mär 2013, 11:52
von JMaria
steffi hat geschrieben: Dr Alfons Halfon und sein Vater, da scheint mir, dass sich da noch ein Geheimnis ergibt, denn wie auch in anderen Romanen könnte das Bild der Mutter ein Hinweis sein. Ich habe zu dem Bilderthema bei Doderer einen Essay von Schmidt-Denngler gelesen, demnach schafft Doderer hier quasi ein Fenster zu einem neuen Raum, sozusagen kann man dort in etwas neues durchschauen.



nochmals kurz zu diesem Gedanken. Im "Das Geheimnis des Reichs" gibt es immer mal wieder kurze Brechungen, die schon lyrisch anmuten, so z.B. auf S. 435

---- Der Wind, der weht. Das Blut steht still im Raum. Dies Maß der Welt im Keim, in unsrer Brust, wir unterscheidens kaum: hier innen und dort außen. Also hat Fenster der Leib, daß wir hinaus jetzt fallen, und hat Tore und Traum: das strömt, sich mischend herein -


Doderer kehrt sozusagen mit dem Grenzwald zurück zum Schauplatz Sibirien seines frühen Romans Das Geheimnis des Reichs. Ergibt irgendwie Sinn. War doch seine Gefangenschaft in Sibirien ausschlaggebend mit dem Schreiben zu beginnen.


Ich bin noch nicht ganz durch mit diesem Frühwerk, doch bin ich gespannt, welche Bezüge sich noch herausfiltern.