Péter Nádas: Parallelgeschichten

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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon JMaria » Sa 8. Jun 2013, 14:32

Hallo Steffi,

ja, es wird so ziemlich nichts ausgelassen was unter die Begriffe Sexualpraktiken und Körperflüssigkeiten fällt. Das geht schon an die Grenzen dessen was ich wissen bzw. nicht wissen möchte. Dennoch spürt man derart die Leere und die Zerrissenheit der einzelnen Protagonisten, daß ich das in den Hintergrund schieben kann. Es berührt mich, wenn ich lese, daß die eine der Frauen wissen möchte, was ihrer Tochter passiert ist... Beiläufig, z.b. während des Kartenspiels oder dem herumirren auf der Insel, erfahren wir wie Menschen verschleppt wurden, Familien auseinander gerissen wurde, Kinder ihre Eltern, Eltern ihre Kinder verloren....

Auch muß ich zugeben, daß ich mich in den Kapiteln mit Kristof hab treiben lassen, ohne groß über das ganze (Schwänze) nachzudenken, denn wie Kristof hab auch ich die geheime Sprache nicht verstanden, die dort um Dunkeln herrscht, aber es übte dennoch eine gewisse Faszination aus.

Wichtig fand ich in diesen Kapiteln, daß Kristof einen Bekannten, Pisti, auf der Insel sah und flüchtete.

Kristof überlegt ob er die Margareten- oder die Arpadbrücke nehmen soll. Besonders die Geschichte der Margaretenbrücke während des Krieges ist interessant. Es gibt über beide Brücken kurze Wiki-Einträge mit Fotos.

Ich komme zum Kapitel Ilonas Reishuhn

Edit:
Da liegt er nun, unser Kristof im Schmutz, man hat sich an ihm gelabt, wie an Ilonas begehrten Reishuhn, nur für ihn blieb nicht das übrig was er am Ende noch begehrt hätte.

En Kapitel, das unseren Protagonisten tragisch wie auch lächerlich wirken lässt. Vielleicht auch, weil Kristof zum Ich-Erzähler geworden ist!

Wie schwer hast du dich mit den weiteren Kapiteln getan?
Hast du nicht auch lachen müssen, wenn man liest, daß Kristof kein Blut im Kopf mehr hatte, weil es sich tiefer ansammelte, oder als er Pisti sah und es nicht als bloßen Zufall darstellen kann auf der Margareteninsel zu sein, wenn seine Hose offen steht oder sein lautes Urinieren im diesem öffentlichen Abort und die Männer ihn mit Abwenden wissen lassen, daß er einen Fauxpas begangen hat!, oder daß er fast ohnmächtig wird wie eine Romanheldin aus dem 19. Jht!?

Da würde ich dem Autor für seinen feinen Humor wirklich gern applaudieren.

Einige Traumfrequenzen gabs auch in den letzten Kapiteln Jene zwei und Ilonas Reishuhn; Urinieren ist ein Thema in beiden Kapiteln.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon steffi » Mo 10. Jun 2013, 09:19

Hallo JMaria,

tragisch finde ich Kristofs Rolle - er ist auf der Suche nach seiner Identität und lässt sich so erniedrigen. Die Szenen auf der Männertoilette muteten wie ein Alptraum an, manchmal weiß man ja auch nicht, was real und was geträumt ist.
Übrigens gibt es bei Hollinghurst sehr viele Gemeinsamkeiten, auch eine Szene auf einer U-Bahn-Toilette, aber im Sinne von Henry James dann sehr viel ästhetischer ;) , d.h. die Erniedrigung wird fast ebenso deutlich, nur Details gibt es nicht. Da hat Nadas auf jeden Fall sehr viel gewagt.

Humor empfinde ich gar nicht - eigentlich kommen bei mir inzwischen wenig Gefühle auf, eher ein staunendes, manchmal kopfschüttelndes Betrachten. Das erinnert mich dann auch wieder an unsere Bolano-Lektüre, wo das teilweise bei den Morden der Fall war. Da fällt es mir dann schwer, solche fein angelegte Verknüpfungen wie z.B. bei Ilonas Reishuhn zu erkennen. Knochen, der Hund, die Hotelgeschichte, Essen, Urin, Schamgefühl und die "Vergewaltigung" - alles zusammen ergibt schon ein stimmiges Bild.
Gruss von Steffi

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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon steffi » Do 13. Jun 2013, 11:47

American Dream erinnert mich sehr an Doderer - auch Nadas setzt das Licht hier wunderbar ein. Im Kapitel Es reißt alles auf erleben wir den Freiheitskampf 1956. Sehr beeindruckend, wie er die Situation in der Schlange vor der Bäckerei schildert.
Gruss von Steffi

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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon JMaria » Fr 14. Jun 2013, 10:30

soweit bin ich noch nicht.

in Eine brandneue Zivilisation geht es um Architektur, man könnte meinen, daß die Zivilisation sich neu orientiert, Architektur und Psychologie in Einklang bringen, weg mit dem Ballast, den die Eltern der jungen Generation aufgebürdet hat. Es werden berühmte Architekten genannt aus den Stilrichtungen Bauhaus und De Stijl.

Doch im wirklichen Leben ist die Umsetzung oft schwierig:

(Frau Szemzö)
Sie verstand seine Argumente und fand seine Bedenken logisch.
Nur konnte sie sich keine andere Straße, keine andere Stadt erfinden, auch keine anderen Patienten, und sie legte ihm diese umgänglichen Realitäten dar.


(Madzar)
Alles war ein bisschen niedriger, als gut war, ein bisschen weniger geräumig, weniger luftig, als es für eine bescheidene und ausgeglichene individuelle Lebensführung wünschenswert gewesen wäre... Aus übersichtlicher Geometrie wurde Steifheit und Gezwungenheit.


mir gefiel in diesem Kapitel sehr gut, wie der Autor der Architektur Leben einhaucht.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon steffi » Mi 19. Jun 2013, 08:36

Hallo JMaria,

In Sie konnten es nicht vergessen werden die Beziehungen von Madzar beleuchtet. Frau Szemzö, Elisa (ist es die kranke Elisa, die bei Maria Szapary wohnt?) und mit dem Kapitän Bellardi. Hast du eine Vermutung, was er mit Madzar besprechen wollte ? Alles ist untergegangen in den Beschreibungen des Essens, was mit atmosphärisch wieder sehr gefallen hat.

Im Sommer siebenundfünfzig dann begleiten wir Kristof auf einer Kinderverschickung in die DDR. Hier trifft er Pisti wieder und wir bekommen einen neuen Eindruck von Agost. Die Situation auf dem Bahnhof wirkt sehr bedrohlich und ob man den traumatisierten Kindern so tatsächlich etwas Gutes tat ?
Gruss von Steffi

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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon JMaria » So 23. Jun 2013, 14:14

steffi hat geschrieben:Hallo JMaria,

In Sie konnten es nicht vergessen werden die Beziehungen von Madzar beleuchtet. Frau Szemzö, Elisa (ist es die kranke Elisa, die bei Maria Szapary wohnt?) und mit dem Kapitän Bellardi. Hast du eine Vermutung, was er mit Madzar besprechen wollte ? Alles ist untergegangen in den Beschreibungen des Essens, was mit atmosphärisch wieder sehr gefallen hat.
....



Mir auch. Wir begegnen zwei Leuten, die sich von Kindheit auf kennen, die ein Geheimnis miteinander teilen, vielleicht sogar mehr als eines, und all die Gespräche sind eingebettet in etwas nicht greifbares universelles. Ich kann es nur schwer erklären. z. b. Sind dir die religiösen Bezüge aufgefallen und die verschiedenen Weltanschauungen?

Gleich zu Anfang im Kapitel wird die pantheistische Weltanschauung erwähnt und die Verbrennung Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen. Wenn man das selbst weiter überdenkt, kommt man unweigerlich zu Epikur und dessen berühmtesten Schüler Lukrez und sein Buch "Über die Natur der Dinge", welches u.a. vom Lustgefühl in diesem Leben spricht, da die Seele sterblich ist, nämlich das Trachten nach Genuß und eine Verringerung des Leidens im Leben.

Was allem dem widerspricht, was Religionen gerne den Menschen einflüstern.

Es geht um das Naturell und um Apperzeption, die Wirklichkeit zu sehen wie sie ist ( da sind wir auch wieder bei Giordano Bruno. Ebenso wenn der Kapitän davon spricht, daß das All in stetiger Veränderung sei. Das waren Ansichten, die einen Riss in die Denkweise des 15. Jahrhundert führte und Menschen deswegen verbrannt wurden und doch zur Renaissance führte. Risse (buchstäblich und symbolisch) gibt es auch in den Parallelgeschichten zu Genüge, kann auch daraus etwas gutes Erwachen?

Raum und Zeit sind unendlich, der Mensch sterblich. Vielleicht wirken die einzelnen Parallelgeschichten deswegen so ins Leere ins Nichts gehend und die Menschen in den einzelnen Strängen so auf das Jetzt fixiert, in allem Detail beschreibend und uns so verwirrt?

Ich nehme während des Lesens eher Strömungen und Atmosphäre war, als die Personen um die es geht, die irgendwie blass erscheinen, weil sie sich sowieso immer aus der Perspektive eines anderen sehen oder sich spiegeln.

Ich sehe die Parallelgeschichten ins kleinste Atom durchdacht, um bei den Naturphilosophen zu bleiben (Atomismus) ;)

Ein Buch das mir Raum gibt zu spekulieren und selbst ein Bild zu kreieren, das nicht unbedingt stimmt, aber den Freiraum lässt. Das fasziniert mich immer mehr.

Ich komme nun zu Im Sommer siebenundfünfzig dann.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon JMaria » So 23. Jun 2013, 20:16

steffi hat geschrieben:
Im Sommer siebenundfünfzig dann begleiten wir Kristof auf einer Kinderverschickung in die DDR. Hier trifft er Pisti wieder und wir bekommen einen neuen Eindruck von Agost. Die Situation auf dem Bahnhof wirkt sehr bedrohlich und ob man den traumatisierten Kindern so tatsächlich etwas Gutes tat ?



ich glaube, daß die Absicht darin lag, Familien auseinander zu reissen und zu traumatisieren, eine gefühlsmäßige Erpressung. Denn es kommt in dem Kapitel der Satz vor, die Revolution war jetzt wirklich vorbei, als die Züge abfuhren.

Die Schilderungen des elternlosen Kristof wie er in der Verwandtschaft herumgestoßen wird, ist eindringlich beschrieben. Er reagiert mit der Aussage.... unsere Lügen waren uns allen vertraut, das machte uns zu einer einzigen großen Familie....


Zu Beginn des nächsten Kapitels Alle Ungarn sind verloren, befinden wir uns wieder bei Madzar und man erfährt mehr über den Gefallen, den er dem Kapitän tun soll, es geht um eine Geheimgesellschaft, die er angehört. Weiter bin ich noch nicht. ( S.845 )
Schöne Grüße, Maria
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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon steffi » Mo 24. Jun 2013, 08:12

Ich habe nun den zweiten Teil beendet.

Ich staune, was dir alles zu den Kapiteln einfällt ! An mir scheint das irgendwie vorbeizugehen, die Anspielungen und Thesen hinter der Atmophäre/Handlung. So,wie du es beschreibst, wird es mir dann auch klar, aber ich finde keinen richtigen Zugang.

Ich schwanke noch, ob ich weiterlese, immerhin sind es noch über 700 Seiten, ich tendiere aber eher zum aufhören :| Dass es das erste Buch wäre, das ich in einer Leserunde nicht zu Ende lese, das ärgert mich.
Gruss von Steffi

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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon steffi » Mi 26. Jun 2013, 08:15

Hallo JMaria,

ich habe noch ein paar Seiten weitergelesen, aber mich nun schweren Herzens doch entschlossen, nicht mehr weiterzumachen. Schade, ich mag unsere Leserunden sehr ! Und dass ich nun aufgebe, tut mir wirklich leid. Aber ich bekomme einfach nicht den Zugang, den ich mir wünsche und den auch das Buch verdient. Denn du zeigst ja, dass sehr viel dahintersteckt.
Es gibt schon auch schöne Passagen und wenn es noch 200 Seiten wären, dann könnte ich damit leben. Aber nochmal 700 Seiten überfordern mich.

Ich würde mich aber freuen, wenn du weiterhin deine Eindrücke schreibst.
Gruss von Steffi

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Re: Péter Nádas: Parallelgeschichten

Beitragvon JMaria » Mi 26. Jun 2013, 09:54

Hallo Steffi,

ach, das ist schade. Ich habe irgendwo gelesen, daß im 3. Buch doch einige Zusammenhänge klar werden, zwischen den Familien Döring und der ungarischen Familie.

Doch wenn du so rein gar keinen Zugang zum Werk findest, hat es ja auch keinen Zweck.

Es war trotzdem schön, bis zum Ende des 2. Buches mit dir zu kommen.
Schöne Grüße, Maria
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