Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

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Re: Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

Beitragvon JMaria » Mi 3. Sep 2014, 18:39

steffi hat geschrieben:
Inzwischen bin ich im Kapitel über Ines Rodde, deren Person ja an seine Schwester Julia angelehnt ist.



Ja, und die Senatorin Rodde seiner Mutter, Julia Mann geb. da Silva-Bruhns.
Das Aufmarschieren der irgendwie typischen TM Namenskreationen in dieser Salongesellschaft erinnert mich etwas an Doderer, der auch eine eigene Art der Namensgebung hatte...

Knöterich, Zink, Spengler, Schildknapp, Schwerdtfeger, Institoris, Schweigestill usw...
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Re: Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

Beitragvon JMaria » Mi 3. Sep 2014, 20:13

steffi hat geschrieben:Im XXX.Kapitel beginnt der erste Weltkrieg. Hier wird auch wieder die These aufgestellt, dass die Deutschen ihre Kultur überall verbreiten wollten, also eher ein humanistischer Kriegsgrund. Doch Leverkühn glaubt das nicht so recht, er liest den Essay von Kleist: Über das Marionettentheater. Demnach, wenn ich es richtig verstanden habe, wird durch das Bewusstsein des Menschen die Natürlichkeit d.h. die absolute Ästhetik oder Schönheit unmöglich.


mit welch einer Begeisterung und Willigkeit die Deutschen in den Krieg zogen, ist schon erstaunlich. Man war der Ansicht, nach Spanien, Portugal, England, wäre nun Deutschland soweit als Weltmacht aufzusteigen, doch der vermeintlich schnell geführte Krieg wurde zum Weltbrand!

Mit Anti-Humanismus Kultur verbreiten zu wollen ist schon Irrsinn!
So wählt wohl Leverkühn für sein Werk, dem Vorläufer des Faustus, eine Puppen-Groteske, bezeichnend Marionetten. Irgendwie unheimlich.

Kennst du Kleists Essay "Über das Marionettentheater"?
Ich kenne es noch nicht.

TM hat nach dem Faustus den "Gregorius"- Stoff aus dem XXXI. Kapitel nochmals verarbeitet, das laut seinem Tagebuch zwischen dem 21. Januar 1948 und dem 26. Oktober 1950 entstandene Buch nannte er "Der Erwählte". Thomas Mann (wie auch Leverkühn im Faustus) bedienen sich der spätmittelalterliche Exempelsammlung Gesta Romanorum.

http://de.m.wikipedia.org/wiki/Gesta_Romanorum
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Re: Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

Beitragvon JMaria » Do 11. Sep 2014, 10:53

In den 20er Jahre gewinnt Leverkühn immer mehr an Popularität und Europa schaut nicht mehr nach Paris sondern nach Berlin, Deutschland erwartungsvoll in eine Führungsposition gewünscht (?). (Erinnert an die heutige Situation, oder?)

Der Kridwiß'scher Kreis, Intellektuelle, einige daraus selbst kränklich, verherrlichen Stärke und sind Vorreiter des Nationalsozialistischen Gedankengutes.

Clarissa Rodde hat Selbstmord begangen.

Kapitel XXXVI
O Deutschland, du gehst zugrunde , und ich gedenke deiner Hoffnungen!

Ein Abgesang.
Überraschend tritt nun eine Person auf, Saul Fitelberg, ein Impresario, ein Weltmann und ein "g'spinnerter Uhu" lt. Frau Schweigestill. Herrliche Darstellung und seine Rede, sein werben an Leverkühn, ihm teuflisch die " Reiche dieser Welt und ihre Herrlichkeit" anbietet. Doch Leverkühn hat ja schon einen anderen Pakt geschlossen.

Übrigens, Gert Westpahl interpretiert ausgezeichnet Saul Fitelberg, ein Vergnügen zu zuhören :)

(Ich lese und höre parallel dazu das Hörbuch, anschließend evtl. Auch noch das 10-teilige Hörspiel)
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Re: Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

Beitragvon steffi » Fr 12. Sep 2014, 11:01

JMaria hat geschrieben:
Mit Anti-Humanismus Kultur verbreiten zu wollen ist schon Irrsinn!
So wählt wohl Leverkühn für sein Werk, dem Vorläufer des Faustus, eine Puppen-Groteske, bezeichnend Marionetten. Irgendwie unheimlich.


Oh ja, ein guter Einfall von TM. Ich finde auch die Idee interessant, wie der Kunstbegriff definiert wird, interessant. Ist Kunst nun der Gesellschaft verpflichtet oder nur für eine Elite ? Im 3. Reich natürlich wurde die Kunst ja immer banaler.

Was hälst du von Meta Nackedey und Kunigunde Rosenstil ? Ich kann die Figuren nicht einordnen :?:

JMaria hat geschrieben:Der Kridwiß'scher Kreis, Intellektuelle, einige daraus selbst kränklich, verherrlichen Stärke und sind Vorreiter des Nationalsozialistischen Gedankengutes.


Schlimm - der 1. Weltkrieg zerstörte die bürgerlichen Werte und der freie Gedanke wird plötzlich zum Rückschritt. Dazu passt ja dann auch die Apokalypse.

Während des Lesens wurde mir bewusst, wieviele Selbstmorde TM miterleben musste. Trotzdem hat er eine gewisse Distanz dazu, er sieht die Schuld an Clarissas Tod auch nur vollständig bei Henri. Dass sie vielleicht auch Rückhalt in der Familie hätte brauchen können wird nicht erwähnt.
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

Beitragvon JMaria » Sa 13. Sep 2014, 15:50

steffi hat geschrieben:Was hälst du von Meta Nackedey und Kunigunde Rosenstil ? Ich kann die Figuren nicht einordnen :?:

.


Die Namen klingen irgendwie lächerlich. Sie sollen Ida Herz (die Trambahn Geschichte hat sich so ereignet) und Käte Hamburger nachempfunden sein, zwei Verehrerinnen des Zauberers. TM spöttelt hier wohl gern(?) . Allerdings bleiben beide Frauen an Adrians Seite bei seinem Zusammenbruch 1930, als die Männer des Münchner Zirkels das Weite suchten. Erinnert mich an ein Erlösermotiv. Jesus Weggefährten haben vor Schrecken das Weite gesucht, nur die Frauen, die Jesus begleiteten, blieben bei ihm und sie kümmerten sich auch um seinen Leib und Beerdigung.

Hier mal ein Auszug aus einem Brief von Käte Hamburger an Ida Herz und was sie von dem Faustus hält. Auch ein Brief von TM an Ida Herz ist anschließend aufgeführt...


http://books.google.de/books?id=TlUrB3H ... rz&f=false

edit:
Der Verrat kam von Rudi Schwerdtfeger. Doch es ist durchaus möglich, wie Zeitblom ausführt, daß Adrian vielleicht zwei Menschen, die ihn menschlich machten, loshaben wollte als er ihn als Postillon d'Amour auserwählte.

was meinst du?

Das Gespräch über Genie und Wahnsinn (König Ludwig II) war auch interessant. Überhaupt wechselt die Stimmung laufend zwischen Lebenslust und einem Abgesang.
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Re: Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

Beitragvon steffi » Mo 15. Sep 2014, 16:43

JMaria hat geschrieben:
Hier mal ein Auszug aus einem Brief von Käte Hamburger an Ida Herz und was sie von dem Faustus hält. Auch ein Brief von TM an Ida Herz ist anschließend aufgeführt...


Danke ! Die Kritik ist einigermaßen treffend, finde ich ;) Ja, deine Interpretation leuchtet mir ein.

JMaria hat geschrieben:edit:
Der Verrat kam von Rudi Schwerdtfeger. Doch es ist durchaus möglich, wie Zeitblom ausführt, daß Adrian vielleicht zwei Menschen, die ihn menschlich machten, loshaben wollte als er ihn als Postillon d'Amour auserwählte.

was meinst du?


Ich halte das für schlüssig. Eigentlich ist mir Adrian als Charakter zu weit entfernt und nicht fokussiert genug dargestellt. Das macht ihn andererseits wieder sehr echt.
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

Beitragvon JMaria » Fr 19. Sep 2014, 11:34

Gegen Ende tut sich noch sehr viel: Ines erschießt Schwerdtfeger, der kleine Nepomuk (Echo) stirbt qualvoll, was ich sehr intensiv empfand beim lesen. Man spürt das "Echo" dann im Werk Leverkühns "Doktor Faustus" wieder auf.

auch erklärt der Erzähler sehr viel über das finale Werk, was mich erstaunte, ich dachte, man müßte mehr rätseln. Sehr religiös das ganze, wie auch das letzte Zusammentreffen 1930, als Adrian den gesamten Zirkel zu sich nach Pfeiffering einlädt. "Wachet mit mir" .. "Verlasst mich nicht"... so sein Klageruf (erinnert an Jesus Worte im Garten Gethsemane), doch nur wenige bleiben bei ihm, hauptsächlich Frauen, neben dem Erzähler und Schildknapp.

Parallel beschreibt Zeitblom was sich in Deutschland tut, während er sich dem Tod Adrians nähert.

Off Topic:
Über eine Ausstellung in Lübeck gibt es einen Hörbeitrag:

http://www.deutschlandfunk.de/ausstellu ... _id=297719

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Re: Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

Beitragvon JMaria » Mi 24. Sep 2014, 13:40

Hallo steffi,

Doktor Faustus habe ich beendet.
Mir gefiel das Alterswerk TMs gut. Der syphilitische Künstler der nur durch Entsagung und dem Teufel verschrieben zu großen Werken imstande ist. Die Montagetechnik empfand ich als sehr modern. Etwas zerpflückt fand ich den Erzählrahmen. Mir ist nicht ganz klar wie wichtig die politische Situation ist, als Zeitblom zu schreiben beginnt, ob es mehr war als Ablenkung für ihn um die Bombardements geistig einigermaßen gesund zu überstehen.

Ich seh aber darin, daß Zeitblom die Niederschrift als Abstand zum Schrecklichen Geschehen benötigt, so wie auch TM durch den Erzähler Zeitblom einen Abstand zur Geschichte bekommt, die doch auch autobiographisch zu sehen ist.

Sehr schön fand ich, Motive darin zu finden, mit denen sich TM immer gerne beschäftigte, Dürer, Luther, auch Gothik ist darin zu erkennen, das er in seinen frühen Werke öfters mal benutzte. Es schließt sich doch irgendwie ein Kreis.

Ich habe diesmal sehr lange für unsere Leserunde gebraucht. Danke für deine Geduld.
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Re: Leserunde: Thomas Mann - Doktor Faustus

Beitragvon steffi » Mi 24. Sep 2014, 17:10

JMaria hat geschrieben:Ich seh aber darin, daß Zeitblom die Niederschrift als Abstand zum Schrecklichen Geschehen benötigt, so wie auch TM durch den Erzähler Zeitblom einen Abstand zur Geschichte bekommt, die doch auch autobiographisch zu sehen ist.


Ich sehe es genauso wie du. Es gab sehr viel Autobiografisches und manche Einschübe haben sich mir nicht ganz erschlossen. Aber es gab auch einige sehr intensive Szenen und ein recht modernes Konzept.

Vielen Dank für eine schöne Leserunde und dass du ein wenig langsam warst, macht gar nichts !
Gruss von Steffi

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