Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Didonia » So 13. Sep 2015, 13:19

Moin, liebe Barbara,

da wirst Du recht haben. Um überhaupt erstmal von zu Hause fortzukommen, kam ihr Judas wohl recht.
Die Naivität von Judas (im weiteren Verlauf heißt er in meinem Buch nachher Juda) ist mir gar nicht so bewusst geworden. Für mich ging beim Lesen seine Entwicklung vom "kleinen Jungen" bis zum Mann so unbemerkt vonstatten, dass ich ihn zur der Zeit, als er Arabella kennenlernte, für noch so jung hielt. Und ja, war er nicht erst 19, als er Arabella heiratete? Und sagt man nicht, dass die Jungs in der Regel den Mädchen in der Entwicklung zwei Jahre nachhinken?

Ich dachte eher in die Richtung: Schau an, das Fleisch ist williger als der Geist. Er war doch so hinterher nach Bildung und Studium. Hatte einen Lebenstraum. Und dann lässt er sich einfangen. Aber das ist wahrlich auch schlaueren Männern schon so ergangen :)

Ich bin übrigens auf Seite 213, bin also schon ein kleines Stück mit Sue gegangen.


Cousine Sue habe ich noch nicht getroffen. Wir suchen sie noch, sind aber schon ganz nahe dran. :P

Übrigens denke ich, dass Judas als Name ggf. bewusst gewählt wurde. Hat er doch mit Arabella bereits zum ersten Mal seine Träume und seine Überzeugungen verraten. Ich bin gespannt, ob ich hier richtig vermute. Wie siehst Du das denn?
Lesende Grüße, Anne

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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Barbara » So 13. Sep 2015, 17:27

Liebe Didonia,

bei mir heißt er auch Juda.
Aber der Vergleich lag für mich irgendwie nahe.

Deine Eindrücke bezüglich des jungen Juda und seinen 19 Jahren teile ich ebenfalls. Mir erschien er in seinen Vorstellungen nur schon weiter als andere Jungs in dem Alter. Ich denke auch, dass die Kinder der damaligen Zeit nicht mit denen der heutigen Zeit zu vergleichen sind. Ihnen wurde bereits sehr viel früher sehr viel mehr Verantwortung im Leben abverlangt und aufgrunde der damaligen Lebenserwartung war 19 Jahre sicherlich anders zu sehen als heutige 19 Jahre. Dennoch sind, genau wie heute, die Mädchen den Jungs voraus. Das erkennt man sofort und das war auch bei Tess so. Trotz des eher schlechten Lichts, indem die Frauen bei Hardy manchmal stehen, sind sie doch sehr reif, berechnend und straight. Obwohl er sie so zeichnet, glaube ich nicht, dass Hardy ein schlechtes oder negatives Frauenbild hat. Ich denke es ist sehr realistisch und für mich jetzt nicht "abstoßend". Auf mich wirkt es dennoch respektvoll und auch manchmal ein wenig bewundernd.

Ich bin gerade dabei mit Sue erneut in den Lehrerberuf einzusteigen. Ich werde weiter Gas geben. :P
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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Didonia » Mo 14. Sep 2015, 10:12

Seite 248

Moin, liebe Barbara,

dastimme ich Dir zu. Ein negatives Frauenbild zeichnet Juda hier keineswegs. Eher geht er mit den gesellschaftlichen Umständen ins Gericht.

Ein kleines Beispiel:
Juda, würdest Du die Rolle des Brautvaters übernehmen? Ich habe außer Dir niemanden, der es tun könnte, denn Du bist ja mein einziger verheirateter Verwandter hier in der Nähe, selbst wenn mein Vater bereit wäre zu kommen, was er nicht ist. Hoffentlich empfindest Du es nicht als Belästigung? Ich habe mir den Hochzeitsgottesdienst im Gebetbuch angesehen, und ich finde es sehr demütigend, daß überhaupt ein Brautvater nötig ist. Nach der Gottesdienstordnung, wie sie im Gebetbuch steht, wählt mich mein Bräutigam aus eigenem freiem Willen: aber ich wähle ihn nicht. Jemand gibt mich ihm, wie eine Eselin oder eine Ziege oder irgendein anderes Haustier. Erhabene Vorstellungen habt Ihr von der Frau, o Ihr Gottesmänner!


Diese "Dreiecksgeschichte" zeigt doch irgendwie die verquere Moral dieser Zeit. Wenn die Ehe nicht funktioniert, darf man sich anscheinend nicht scheiden lassen.
Arabella zum Beispiel nimmt das ganz locker. Sie verlässt einfach ihren Mann und lebt mit jemand anderem zusammen, ja hat im Ausland sogar geheiratet.
Sue und Juda zerfleischen sich fast gegenseitig vor lauter moralischen Fesseln.
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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Barbara » Mi 16. Sep 2015, 10:53

Liebe Didonia,

mittlerweile bin ich auch in Shaston angekommen.

Was Du schreibst sehe ich genauso. Die Gesellschaft untersteht schon ziemlichen Zwängen.

Was mir auffällt ist auch die Tatsache, wie wenig miteinander offen geredet wird. Vordergründig reden Juda und Sue viel miteinander, aber keiner so richtig ehrlich. Ich denke, dass das das größte Problem ist. Wären alle Beteiligten ehrlicher miteinander, so wären bestimmte Probleme erst gar nicht entstanden. Das Problem hat sich in den vielen Jahren bis heute ja nicht wirklich geändert. Wie dankbar kann man dann nur sein, wenn man ein Gegenüber hat, mit dem man immer ganz offen über alles reden kann und auch selbst ein Mensch ist, der das kann. Dadurch wird das Leben um einiges erleichtert.

Ich muss leider gestehen, dass mich Sue in ihrem Verhalten manchmal richtig nervt. Ihr Hin und Her, egal aus welchen Zwängen und Beweggründen heraus es erwachsen mag, ist schon sehr anstrengend.
Juda tut mir da wirklich etwas leid, auch wen er auch nicht ehrlich Sue gegenüber war.

Was seinen Namen angeht, so ist er entgegen des Juda aus der Bibel, doch recht standhaft in seinen Glaubensdingen. Vielleicht ist die Namenswahl als Ambivalenz gedacht. Würde auch hinsichtlich der Romanintention passen.

Interessant und beeindruckend finde ich Hardys Kenntnis hinsichlich klassischer Literatur und Schriften. Auch wenn er nicht genauer darauf eingeht, so glaube ich durchaus, dass er sie kennt. Auch seine Beschreibungen von Dingen lassen die Vermutung einer größeren Kenntnis darüber zu.

Beeindruckend finde ich auch seine Beschreibungen hinsichtlich der Beweggründe und emotionealen Befindlichkeiten seiner Protagonisten. Dadurch wirken sie bei allem immer auch sehr persönlich, sympatisch und vor allem authentisch.
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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Didonia » Mi 16. Sep 2015, 11:12

Hardy scheint ja aus keiner armen Familie zu stammen. Der Vater Baumeister, er selbst hat Architekt gelernt und als Kirchenrestaurator gearbeitet. Bei dem Job musste er sicherlich auch belesen sein.

Ich denke gar nicht mal, dass die beiden zu wenig miteinander geredet haben. Sue kennt Judes Gefühle für sie. Sie weiß, dass er sie heiraten möchte. Und Jude kennt ihre Befürchtungen, was passiert, wenn sie heiraten. Dass ihre Liebe aufhört, wenn sie durch einen Vertrag gezwungen werden, sich bin an ihr Lebensende lieben zu müssen.
Sie stecken in einer Zwickmühle. Denn wenn sie nicht heiraten, ist ein Zusammenleben auch problematisch. Was sie da moralisch gesehen alles nicht dürfen.
Ich frage mich nur manchmal, ob Sue überhaupt in der Lage ist, einen Menschen zu lieben.
Lesende Grüße, Anne

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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Barbara » Mi 16. Sep 2015, 11:54

Ob Sue überhaupt jemanden lieben kann, habe ich mich auch gefragt. Beide haben seit ihrer Jugend gesagt bekommen, dass ihre Familie nicht für die Heirat bzw. für ein partnerschaftliches Leben geeignet seien. Aus der Erfahrung der Verwandtschaft heraus, scheint dies bstätigt. Eventuell hat Sue dies zu tief verinnerlicht und traut nicht der Kraft von wahren Gefühlen. Vielleicht misstraut sie aber auch sich selbst.

Mal schauen wie es mit den beiden weitergeht.

Was mich erstaunte, war die Tatsache, dass beiden zwar bewusst ist, dass eine Beziehung zwischen Cousin und Cousine nicht gut sei. Aber damit scheint alles gesagt.
Wirklich verboten schien es damals nicht zu sein. Muss ich gleich mal googeln. Ich dachte eigentlich, dass dies immer schon verboten sei.
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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Didonia » Mi 16. Sep 2015, 15:14

Zu der Ehe-Frage habe ich hier mal etwas gefunden, Barbara:

Bei den ägyptischen Pharaonen war die Geschwisterehe die Norm, weil "Gottgleiche" nur unter ihresgleichen heiraten sollten. Auch im europäischen Hochadel wurde jahrhundertelang innerhalb der Familie geheiratet. In Westeuropa war die Heirat innerhalb einer Familie noch bis ins 19. Jahrhundert durchaus üblich. Prominente Beispiele dafür sind Königin Victoria und Prinz Albert, Kaiser Franz Joseph und Sissi, Albert und Elsa Einstein. Charles Darwin war mit seiner Cousine ersten Grades verheiratet, es wird vermutet, dass seine Kinder dadurch Schäden davontrugen. Heute sind diese Bindungen in Europa aber eher die Ausnahme. Im vorderen wie hinteren Asien hingegen ist die konsanguine Ehe, also Verwandtenehe, immer noch verbreitet. In Indien heiratet ein Onkel nicht selten seine Nichte, in der Türkei, Persien und den arabischen Staaten ist die Konstellation Cousin und Cousine häufiger.


Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitges ... ranten-ehe
Lesende Grüße, Anne

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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Barbara » Do 17. Sep 2015, 06:27

Guten Morgen liebe Ddonia,

das Adelshäuser so ihren adligen Bestand sicherten, wusste ich. Denn bürgerliche in Adelshäuser waren sehr ungern gesehen. Da war die Auswahl natürlich arg beschränkt. Die dort eher vorzufindenden "Fehlbildungen/Fehlentwicklungen" der Nachkommenschaft kam ja schließlich nicht von ungefähr.

Sogar bei uns (laut Wikipedia) ist es wie folgt beschrieben:
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) erlaubt Ehen zwischen Cousins und Cousinen aller Verwandtschaftsgrade – verboten sind nur Ehen zwischen Blutsverwandten gerader Linie (Elternteil→Kind, Großelternteil→Enkelkind) und zwischen Geschwistern. Der § 1307 Verwandtschaft legt fest: „Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern.


Das war mir so gar nicht bewusst. Ich dachte auch Cousins ersten Grades dürften auch nicht heiraten. Da haben wir doch wieder etwas gelernt.
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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Barbara » Do 17. Sep 2015, 10:59

Seite 296 ff

Sue hat mich doch tatsächlich überrascht.

Nachdem ich ziemlich genervt war über das Hin und Her von ihr, was Juda auch endlich mal als Koketterie aussprach und ihr unterstellte, gewann sie meine Sympathie, als sie doch wirklich den Mut hatte um eine Trennung von ihrem Mann zu bitten. Das hätte ich ihr nicht wirlich zugetraut.

An diesen Passagen merkt man schon, wie schwer es damals, und zum Teil heute noch genauso ist, sich zu trennen und dabei die Würde, so wohl die eigene als auch und vor allem die des Verlassenen zu wahren.
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Re: Thomas Hardy: Herzen im Aufruhr

Beitragvon Didonia » Do 17. Sep 2015, 13:21

Ich bin schon auf Seite 352. - Werde besser auf dich warten.
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