Roger, Marie-Sabine: Das Labyrinth der Wörter

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Roger, Marie-Sabine: Das Labyrinth der Wörter

Beitragvon YvonneS » Fr 30. Apr 2010, 11:03

Titel: Das Labyrinth der Wörter
Autor: Marie-Sabine Roger
Verlag:Hoffmann und Campe
Jahr: 02/2010
Seiten: 207
Preis: 18,00 Euro
Wertung:8 von 10 Punkten

Inhalt

Germain ist der Held dieser Geschichte und er steht wahrlich nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Er ist 45 Jahre alt, geistig ziemlich zurückgeblieben, hat keinen Schulabschluss und keinen festen Beruf. Er lebt von Gelegenheitsjobs und haust in einem Wohnwagen auf dem Grundstück seiner Mutter, zu der er ein äußerst gespanntes Verhältnis hat. Seinen Vater kennt er nicht, richtige Freunde hat er keine, nur ein paar Kumpels, mit denen er sich regelmäßig in der Kneipe trifft. Und dann gibt es da noch Annette, mit der er ins Bett geht. Am liebsten sitzt Germain aber im Park und zählt die Tauben.

Dort trifft er eines Tages Margueritte, eine 86 Jahre alte zierliche Dame, promovierte Biologin, kultiviert und sehr belesen. Und man sollte es nicht glauben, aber zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Menschen entwickelt sich eine tiefe Freundschaft. Margueritte ist die erste, die Germain völlig vorurteilsfrei gegenüber tritt und ihn als Menschen ernst nimmt.

„Ob Sie es glauben oder nicht, in dem Moment habe ich entdeckt, was es für ein Gefühl ist, wenn sich jemand für einen interessiert …. Sie hat immer mit mir geredet als wäre ich jemand. Und das, verstehen Sie, macht einen ganz neuen Menschen aus einem.“

Margueritte, deren Lieblingsbeschäftigung das Lesen ist, führt den ungelenken aber sensiblen Germain nach und nach in die Welt der Wörter ein. Sie liest ihm aus ihren Lieblingsbüchern vor, erklärt ihm Begriffe, die er nicht versteht, und weckt behutsam sein Interesse und den Ehrgeiz, Texte zu verstehen und neue Wörter zu lernen. Und Germain, der sich seiner Defizite durchaus bewusst ist, fängt zum ersten Mal an, über sich und sein bisheriges Leben nachzudenken.

„Als ich Margueritte begegnet bin, fand ich es erst kompliziert, mir Wissen anzueignen. Dann interessant. Und dann unheimlich, denn mit dem Nachdenken anzufangen ist etwa so, wie wenn man einem Kurzsichtigen eine Brille gibt. Alles ringsherum kam einem immer ganz okay vor - einfach weil es unscharf war. Und dann plötzlich sieht man die Risse, den Rost, die Mängel, alles, was bröckelt.“

Margueritte ist auch der erste Mensch, für den Germain wirkliche Zuneigung empfindet. Ihr gegenüber kann er sich öffnen und rauslassen, was ihn bewegt. Und als er herausfindet, dass auch Margueritte dringend seiner Hilfe bedarf, beschließt er kurzerhand, sie als Oma zu adoptieren.

Meine Meinung

Ein zauberhaftes Buch, das ich mit einem Schmunzeln gelesen habe, das mich aber auch sehr berührt hat. Einige Leser werden vielleicht die sehr schlichte Sprache dieses Romans bemängeln. Aber da Germain der Ich-Erzähler dieser Geschichte ist, finde ich diese Naivität in der Sprache richtig und passend. Ein ausgefeilter Sprachstil hätte mich hier eher irritiert.

„Ich sage das, was ich denke mit den Wörtern, die ich gelernt habe, und das begrenzt die Sache natürlich etwas.“

Trotz seines heiter-naiven Sprachstils hat dieser Roman aber durchaus auch Tiefe und Tragik. Und wenn man sich auf die Sprache einlässt, wird man mit einer warmherzigen poetischen Geschichte belohnt; ein modernes Märchen mit zwei ungewöhnlichen, aber äußerst liebenswerten Charakteren.

Über die Autorin

Die französische Autorin Marie-Sophie Roger ist in Deutschland noch ziemlich unbekannt. Sie wurde 1957 in Bordeaux geboren und lebt heute in Südfrankreich. Ehe sie sich der Schriftstellerei widmete, arbeitete sie mehrere Jahre als Grundschullehrerin. Sie hat bereits einige Romane veröffentlicht, die auch teilweise ausgezeichnet wurden. "Das Labyrinth der Wörter" ist der erste ihrer Romane, der jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt und für den sie 2009 den Prix Inter erhielt. Mittlerweile wird der Roman in Frankreich verfilmt, die Rolle des Germain spielt kein geringerer als der Weltstar Gerard Depardieu.
Liebe Grüße
Yvonne



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YvonneS
 
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