Edith Wharton: Der Prüfstein

Hier können registrierte und mitdiskutierende Mitglieder Buch-Rezensionen schreiben.
Forumsregeln
Hier können registrierte und mitdiskutierende Mitglieder Buch-Rezensionen schreiben. Die Moderatoren behalten sich vor, anderweitige und kommerzielle Einträge ohne Kommentar zu löschen!

Edith Wharton: Der Prüfstein

Beitragvon YvonneS » Fr 28. Mai 2010, 12:04

Medium: Hardcover
Verlag: Dörlemann
Jahr: 08/2004
Seiten: 175
Preis: 16,80 €
Wertung: 8,5 von 10 Punkten

Inhalt

New York ca. 1900. Stephan Glennard ist ein kleiner Advokat mit ziemlich beschränkten finanziellen Mitteln. Er liebt die mittellose Alexa Trent, doch ist eine Heirat mit ihr aufgrund der prekären finanziellen Situation unmöglich, wenn sie nicht in Armut leben wollen. Doch dann kommt ihm der Zufall zu Hilfe, als er in der Zeitung eine Anzeige findet, die für ihn der Schlüssel zu Wohlstand und Glück werden könnte. Gesucht werden Zeitdokumente der großen verstorbenen Autorin Margaret Aubyn. Eben diese Margaret Aubyn war zu Lebzeiten in Glennard verliebt. Und auch wenn diese Liebe seinerseits nicht erwidert wurde, hat es sie nicht davon abgehalten, ihm regelmäßig Liebesbriefe zu schreiben. Stephen erkennt, welchen kostbaren Schatz er mit diesen Briefen letztendlich besitzt. Sein schlechtes Gewissen über Bord werfend, bringt er die Briefe mit Hilfe eines Freundes zur Veröffentlichung und sie werden ein riesiger Erfolg. Sie sind DAS Gesprächsthema in den Salons der gehobenen New Yorker Gesellschaft, zu denen nun auch Glennard und Alexa Dank des neuerworbenen Reichtums zählen. Keiner - auch nicht Alexa - weiß allerdings, dass Glennard der geheimnisvolle Empfänger dieser Briefe war. Mit dem Verkauf der Briefe hat sich Glennard letztendlich sein Eheglück finanziert. Doch der Verrat, den er damit an Margaret begangen hat, nagt stetig an seinem Gewissen und lässt ihm keine Ruhe. Er hat die Liebesbriefe der einen verkauft, um eine andere heiraten zu können.

Meine Meinung

Nach "Das Riff" war dies das zweite Buch, das ich von Edith Wharton gelesen habe. Sie erzählt hier eine wunderbar ausgefeilte Ehegeschichte und führt mit wohl dosierter Boshaftigkeit vor, dass sich Geld und Liebe nicht zwangsläufig ausschließen. Ihre Figuren sind plastisch und psychologisch fein herausgearbeitet. Glennard ist ein mittelmäßiger Charakter, den das schlechte Gewissen letztendlich zu einem unleidlichen Zeitgenossen macht. Seine Frau Alexa dagegen ist die personifizierte Geradlinigkeit. Hin- und her gerissen durch die Zweifel an der Richtigkeit seines Tuns versucht Glennard seiner Frau die wahre Herkunft seines plötzlichen finanziellen Wohlstandes zu offenbaren und doch gleichzeitig vor ihr zu verbergen.

Alexa hat ihn jedoch längst durchschaut, äußert ihren Verdacht aber nicht. Bezeichnend für diese Ehe ist, dass hier vieles verschwiegen wird und doch ist dieses Schweigen lauter und beredter als der beste Ehekrach. Die Ehe von Glennard und Alexa steht vor einer Zerreißprobe und es ist klar, dass beide nicht unbeschadet aus der ganzen Situation herauskommen werden. Margaret ist immer präsent in der Ehe der beiden, es ist eine Dreiecksgeschichte der ganz besonderen Art.

Letztendlich ist es Alexa, die die richtigen Entschlüsse fasst und am Ende Bilanz zieht. Und dieses Ende ist ungewöhnlich und ich gebe es ehrlich zu, dass ich das so nicht erwartet habe. Im Nachhinein betrachtet ist der Autorin damit aber ein dramaturgischer Schachzug gelungen, denn das Ende gibt der Geschichte noch einmal einen ganz anderen Stellenwert.

Margaret selbst kommt in der ganzen Geschichte übrigens nie zu Wort, Auszüge aus ihren Briefen gibt es nicht. Der Leser weiß nur, dass die Briefe existieren, ihren Inhalt erfährt er allerdings nicht. Nur indirekt wird man sich der ungeheuren Wirkung bewusst, die diese Briefe ausüben müssen und die Faszination, die von ihnen ausgeht. Auch dass sie von großer literarischer Qualität sein sollen, muss man als gegeben hinnehmen, beurteilen kann man es nicht.

Fazit

Eine wunderbare Novelle, die Unterhaltung auf hohem Niveau bietet und eine feine kleine Geschichte für "Zwischendurch".
Liebe Grüße
Yvonne



--------------------------------------------------------------------------
Nicht höher, schneller, weiter - sondern langsamer, bewusster, menschlicher.
YvonneS
 
Beiträge: 1060
Registriert: Do 8. Mai 2008, 11:12

Zurück zu Rezensionen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 12 Gäste