Smith, Tom Rob: Kind 44

Hier können registrierte und mitdiskutierende Mitglieder Hörbuch-Rezensionen schreiben.
Forumsregeln
Hier können registrierte und mitdiskutierende Mitglieder Hörbuch-Rezensionen schreiben. Die Moderatoren behalten sich vor, anderweitige und kommerzielle Einträge ohne Kommentar zu löschen!

Smith, Tom Rob: Kind 44

Beitragvon Petra » Fr 28. Nov 2008, 12:35

Smith, Tom Rob
Kind 44

Bild

Kategorie: Gekürzte Lesung
Genre: Krimi / Thriller
SprecherInnen: Bernd Michael Lade
Regie: /
Medium: 6 CDs
Laufzeit: ca. 422 Min.
Verlag: Lübbe Audio
Preis: 19,95 €
ISBN: 9783785736616
Bewertung: ****
(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Inhalt:

Moskau, 1953. Auf den Bahngleisen wird die Leiche eines kleinen Jungen gefunden. Nackt. Fürchterlich zugerichtet. Doch in der Sowjetunion der Stalinzeit gibt es offiziell keine Verbrechen. Und so wird der Mord zum Unfall erklärt. Der Geheimdienstoffizier Leo Demidow kann jedoch die Augen vor dem Offenkundigen nicht verschließen. Als das nächste Kind ermordert wird, beginnt er auf eigene Faust zu ermitteln. Damit bringt er nicht nur sich, sondern seine ganze Familie in tödliche Gefahr...

Meine Meinung:

Im Inhalt habe ich es beim Klappentext belassen, da er gut wiedergibt, worum es oberflächlich in diesem Thriller geht. Doch dieses (Hör-)Buch hat viel mehr unter der Oberfläche zu bieten. Für mich liegt hierin der Grund, warum es ganz besonders hörenswert ist! Noch mal kurz zu den Dingen an der Oberfläche - also der Krimihandlung: Sie ist für mich bei diesem Buch nebensächlich. Hätte man das Buch auf die bloße Krimihandlung reduziert, wäre nicht viel übrig geblieben. Und ohne die Rahmenhandlung, die mir hier viel wichtiger ist, wäre das ein oder andere letztendlich holprig gewesen. Das möchte ich hier aber vernachlässigen, da das eigentliche Thema des Gehörten für mich tatsächlich woanders liegt.

Somit nun zu den Dingen unter der Oberfläche. Der Autor versetzt seine Leser (hier Hörer) in Menschen, die unter einem Regime leben müssen, das seinen ganz eigenen Gesetzen und Logiken folgt. Wer dagegen verstößt oder von wem auch nur angenommen wird, dass er dagegen verstößt, macht sich des Landesverrats schuldig und wird beschattet, gejagt, gefoltert und bestraft – mit dem Gulag oder aber dem Tod. Nicht nur dem eigenen, sondern auch dem der ganzen Familie. Denn das Regime packt dort zu, wo es den Betroffenen am meisten schmerzt oder worüber der größtmögliche Druck für ein Geständnis möglich ist. So lässt sich von jedem jedes Geständnis abverlangen, das man sich wünscht, weil es ins Bild des Staates passt. Wenn der körperliche oder psychische Schmerz oder die moralische Verpflichtung den eigenen Familienmitgliedern gegenüber nur groß genug ist, gibt man früher oder später doch alles zu.

Klar, über solch ein Regime kann man alles in Sachbüchern nachlesen. Aber man bekommt sicherlich nicht so ein wahnsinnig eindringliches und plastisches Gespür dafür, was das alles wirklich heißt und wie die Menschen unter solchen Bedingungen in bedrängenden Situationen reagieren. Das kann ein Roman viel besser leisten, weil er einen in die Köpfe der Betroffenen schlüpfen lässt! Man stellt sich zwangsläufig die Frage wie hätte ich reagiert? An keiner Stelle konnte ich mir wenigstens gedanklich Mut zum Widerstand bescheinigen. Erschreckend die Erkenntnis, wie sehr solch ein Regime die Menschen im Griff haben muss und welche Auswirkungen das auf die ganze Gesellschaft hat.

Auch die Mitmacher werden hier aufgezeigt. So allen voran Leo, der an den Staat und an das System zunächst glaubt. Aber er wird nicht angeklagt, sondern wir denken mit seiner Logik. Mit seinen ihm gegebenen Voraussetzungen. Und wir dürfen Leo hinterfragen, weil er beginnt sich selbst zu hinterfragen. Seine Frau Raisa hilft ihm und uns dabei.

Das alles ergibt ein unglaublich eindringliches Bild über dieses düstere Regime und was es mit den Menschen anstellte. Aber auch über die Armut und die Not, die viele Menschen in diesen Zeiten zu schier unvorstellbaren Dingen angetrieben hat, werden hier für den Zuhörer greifbar und auf einmal doch vorstellbar.

Selbst das Ende – allgemein formuliert, um es hier nicht zu verraten – zeigt so richtig entblößend die Ideologie, die die Menschen dort gepackt hat. Und dass sie immer einen Weg finden alles zu rechtfertigen und so zu drehen, dass nicht im eigenen Staat der Kern des Bösen (hier in dem Zusammenhang das Verbrechen an sich) liegt sondern dass er von außen (vom Westen) gesät wird.

Den Sprecher fand ich zwar nicht glatt, aber eben vielleicht auch deshalb sehr gut gewählt. Zudem hat er die düstere Atmosphäre sehr gut unterstrichen. In meinen Augen eine perfekte Besetzung. Er zieht den Hörer schon mit den ersten Sätzen in die Geschichte hinein und lässt ihn nicht mehr los bis zum letzten Satz.

Einleitende Musik hilft zudem den Hörer sofort für die Geschichte einzunehmen. Sie ist passend gewählt und bereitet auf die zu erwartende Atmosphäre vor. Und zum Schluss wird der Hörer auch mit atmosphärisch passender Musik aus dem Hörerlebnis entlassen. Man mag sagen, das sind Kleinigkeiten. Für mich runden sie ein Hörvergnügen aber, wenn es gut gemacht ist, ab. Hier ist es sehr gut gemacht – das kleine Tüpfelchen auf einem sowieso schon sehr imposanten i.

Das Hörbuch kann ich wirklich nur empfehlen! Die Krimihandlung ist hier unwichtig. Der Blick in die Sowjetunion zur Stalinzeit ist es, was dies zu einem Hör-Ereignis macht! Mit all seinen eindringlichen Beispielen, die zeigen, was es wirklich heißt, in solch einem Staat zu leben! (Petra)

Hörbuch direkt bei Amazon bestellen
Liebe Grüße,
Petra


Ich lese gerade: :lesen:
Rónán Hession - Leonhard und Paul (HC)
Benjamin Stevenson - Die mörderischen Cunninghams. Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen (ebook)

Ich höre gerade: :kopfhoerer:
-

Buecher4um
Hoerbuecher4um
Seifen4um
Petras SeifenKUNST
Benutzeravatar
Petra
Administrator
 
Beiträge: 14280
Registriert: Do 27. Mär 2008, 13:34

Zurück zu Rezensionen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste

cron