Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Wolf » Di 16. Feb 2010, 21:56

Hallo Petra und Maria,

JMaria hat geschrieben:"Eine Naturkatastrophe"
mir fiel besonders diese Armageddon Stimmung (Endzeitstimmung) in der Geschichte auf. Diese Menschen hatten keine Chance zu überleben und dennoch diese passive Ergebenheit.

"Passive Ergebenheit" charakterisiert die Geschichte sehr gut, die schrecklichen Geschehnisse werden ja relativ ruhig und nüchtern berichtet. Obwohl es keine Fluchtmöglichkeit gibt (die einzige Straße ist zerstört) gibt es kein Aufbegehren oder Panik, sondern alles wird einfach so hingenommen.

JMaria hat geschrieben:Ich glaube, keine Nation hat soviel über Endzeitkatastrophen geschrieben und gefilmt wie die USA.

Interessanter Gedanke, darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, wobei das natürlich bei den Filmen nicht gar so verwunderlich ist, denn die USA ist nun einmal die führende Filmnation, sie haben also wahrscheinlich fast über jedes Thema die meisten Filme gedreht. ;-)

In "Sonderbares Verhalten" verstopft sich der Ich-Erzähler mit Kleenex und einem Schal die Ohren, offenbar weil es ihm nun zu laut ist, seit er nicht mehr alleine lebt. Seine Behauptung, daß er in Wirklichkeit kein Sonderling sei, will man als Leser nicht so recht glauben.

Die nächste Geschichte, "St. Martin", habe ich auch schon gelesen. Es ist eine vergleichsweise umfangreiche Geschichte, die recht geradlinig erzählt ist, aber man bleibt als Leser am Ende dann doch irgendwie ratlos zurück. Welches St. Martin ist hier eigentlich gemeint? Die Erzählung spielt offenbar in Frankreich ("Monsieur", "Francs"). Man erfährt gleich zu Anfang, daß es da ein Ereignis mit einem Hund gab, dem etwas zugestoßen ist. Was das war, erfährt man dann erst gegen Ende der Geschichte, wobei dieses Ereignis dann ganz am Ende der Geschichte anscheinend doch nicht mehr so wichtig ist. Die Schilderungen der Umgebung sind zum Teil sehr detailliert, aber über die beiden Hausmeister (Mann und Frau?) erfährt man eher wenig. Man weiß nicht einmal, wie sie aussehen. Auch zu den vielen Menschen (Nachbarn, Dorfbewohner), die erwähnt werden, bekommt man als Leser keine rechte Beziehung, es scheint, als ob die Menschen da irgendwie aneinander vorbei leben oder als ob sie kein tieferes Interesse aneinander hätten. Eine sehr merkwürdige Stimmung, die da in dieser Geschichte vorherrscht.

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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Petra » Mi 17. Feb 2010, 10:20

Hallo Ihr Lieben,

zu "Eine Naturkatastrophe" fällt mir durch Eure Aspekte noch etwas anderes auf. Euch ist die Passivität aufgefallen. Und wieder dieses wir. Dazu kommt mir in den Sinn, dass wir Menschen (also wir) ja auch passiv sind, was herannahende Naturkatastrophen angeht, ausgelöst durch unseren schlechten Umgang mit der Umwelt/Natur. Wir sind auch träge. Und passiv. Und der einzelne hat das Gefühl ja eh nichts dran ändern zu können und verhält sich somit passiv und ergeben. Als könne man nichts mehr ändern/retten.

Die nächsten beiden Geschichten habe ich noch nicht gelesen. Ich lese Eure Beiträge dazu und melde mich, sobald ich das nachgeholt habe.
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Petra » Mo 22. Feb 2010, 08:58

Hallo Ihr Lieben,

in "Sonderbares Verhalten" ist der erste Satz wirklich direkt prägnant! Dieses direkte schieben der Schuld auf die Umstände. Die Person selbst ist natürlich nicht schuld. Die Umstände sind es. Deshalb verhält er sich sonderbar. Offenbar ist er aber nicht ganz beziehungsfähig. Kann und will sich nicht auseinandersetzen. Mit dem Partner. Mit sich selbst. Verstopft lieber seine Ohren um seine Ruhe zu haben. Alleine wäre diese Person vielleicht besser aufgehoben. Wäre vielleicht besser allein geblieben. Und somit: Doch ein Sonderling. Der mit anderen nicht klar kommt. Und ein Eigenbrötler ist.
Liebe Grüße,
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Wolf » Mo 22. Feb 2010, 11:17

Hallo Petra und Maria,

Petra hat geschrieben:"Sonderbares Verhalten"
[...]
Offenbar ist er aber nicht ganz beziehungsfähig. Kann und will sich nicht auseinandersetzen. Mit dem Partner. Mit sich selbst.

mit diesem Sonderling (von dem man nicht weiß, ob es ein Mann oder eine Frau ist) setzt sich aber offenbar auch niemand auseinander, jedenfalls erfährt man nichts darüber, ob dieses seltsame Verhalten überhaupt von jemandem zur Kenntnis genommen wird. Eigentlich erfährt man auch sehr wenig über die genaue Situation, in der sich der "Sonderling" befindet: Er könnte mit einem neuen Lebenspartner zusammenleben, oder es könnte beispielsweise eine Obdachloser sein, der nun in einer lauten Gemeinschaftsunterkunft lebt, oder es könnte jemand sein, der aus Geldnot einige seiner Zimmer an laute Mieter untervermietet hat, oder ein alter Mann, in dessen Haus aus irgendwelchen Gründen seine Tochter samt Kindern eingezogen sind, die nun herumlärmen. Es ist da vieles denkbar; durch diese Unbestimmtheit und Offenheit bleibt einem als Leser die Freiheit, die Situation auf ganz unterschiedliche und auch persönliche Weise aufzufassen. Aber ein Sonderling ist es auf jeden Fall, dafür sprechen die seltsame Methode der Geräuschdämpfung durch zerissene Papiertücher und umgewickeltes Handtuch, das muß ja ziemlich bekloppt aussehen. ;-) Da fällt mir übrigens der Sketch "Mr. Bean im Zug" ein:
http://www.youtube.com/watch?v=F5qniuZG8Rg
Dort will Mr. Bean in Ruhe lesen und stopft sich deshalb die seltsamsten Dinge in die Ohren. Im Vergleich dazu ist Lydia Davis' Sonderling ja noch einigermaßen moderat. :D

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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Petra » Do 25. Feb 2010, 15:42

Hallo Wolf und Maria,

nochmal zu "Sonderbares Verhalten": Ja, das ist mir auch beim lesen aufgefallen. Der Sonderling muss nicht eine Partnerschaft eingegangen sein. Sondern er hat einfach nur sein Alleinsein beendet. Aus welchen Gründen auch immer. Vieles ist denkbar, sehe ich auch so. Und somit soll wohl auch dargestellt werden, dass es unerheblich ist, WARUM er sein Alleinsein gegen eine Gemeinschaft mit einem (oder mehreren) anderen Menschen eingetauscht hat.

Und richtig, es scheint keiner was von seinem sonderbaren Verhalten mitzubekommen. Wahrscheinlich weil das verstopfen der Ohren (und das Umwickeln mit einem Schal - muss wirklich seltsam aussehen :mrgreen: ) symbolisch gemeint ist. Oder aber weil diese Gemeinschaft mit einem anderen sonderbaren Menschen besteht. Einer von der Sorte, dem egal ist, ob sein Gegenüber zuhört. Solche Menschen finde übrigens ICH sehr sonderbar! Ich hatte mal eine Kollegin, die plauderte ohne Guten Tag darauflos, ohne dass sie mich wirklich kannte (oder andere, denen sie dasselbe erzählte) oder mal zu fragen wie es mir geht (wenigstens mal mit einem Schein-Interesse). Wem erzählte sie das überhaupt? Mir? Ich glaube nicht. Eher sich selbst. Denn hätte ich mir was in die Ohren gestopft oder einen Schal um den Kopf gewickelt - glaub mir - sie hätte es nicht zur Kenntnis genommen und weitergeredet! :mrgreen:

Erstaunlich, was Lydia Davis mit ihren kleinen Geschichten zutage fördert!

Ebenso mit "St. Martin" (ja, das muss irgendwo in Frankreich sein - da deuten mehrere Details drauf hin). Die Stimmung habe ich genauso merkwürdig empfunden wie Du, Wolf. Mir war sie unangenehm. Bedrückend. Weil alles so gleichgültig schien. Erstaunlich, wie eine kleine (wenn auch hier wirklich verhältnismäßig umfangreiche) Geschichte es vermag so eine eigene und wirksame Stimmung zu erzeugen.

Auch mir ist aufgefallen, dass man dort scheinbar aneinander vorbeilebt. Und noch viel schlimmer: Dass nichts wirklich wichtig zu sein scheint. Über nichts wird sich ausgiebig Gedanken gemacht. Der Hund ist verschwunden. Das beschäftigt das Hausmeister-Paar eine Weile. Doch dann verblasst es. Dann ist es eben so. Wird hingenommen. Ebenso wird sich keine Gedanken darum gemacht, wie man über die Runden kommt. Als man kaum noch Geld hat und die Lebensmittel gerade noch für einen Zwiebelkuchen reichen (es ist ja anzunehmen, dass man danach hungern muss - sie konnten ja nicht wissen, dass der Fotograf kurz drauf wieder zu Gast sein würde und sie dann erst mal wieder 50 Franc haben), verschlingt man gierig ein erstes Stück als der Zwiebelkuchen noch nicht ganz durch ist. Ich vermute vor lauter Hunger. Der Rest wird dann im Ofen vergessen. Dabei müsste es ihnen doch ein Schatz sein, da sie ja nicht wissen wie es weitergehen soll, da sie kein Geld und keine Lebensmittel mehr haben. Aber sie sind total gedankenlos. Stillen nur ihre akuten Bedürfnisse. Planen nicht.

Und das kuriose ist, sie müssen es auch gar nicht. Das Leben gibt ihnen was sie brauchen. Z. B. in Gestalt des Fotografen. Sie kommen über die Runden. Andere würden sich wie verrückt Sorgen machen. Die beiden machen das nicht. Und es geht trotzdem immer irgendwie weiter...

... immer irgendwie weiter. Das Gefühl hatte ich auch, weil ein Jahr verstrich und sich so wahrscheinlich ein Jahr ans andere reihen wird: Mit den Hunden (später nur noch einem Hund) spazieren gehen (der eine Hund ist ja auch durch ihre Sorglosigkeit und Gedankenlosigkeit verschwunden - sie hätten sie nicht allein rauslassen dürfen wegen der beginnenden Jagdsaison), Murmeln spielen, Karten spielen...

... so geht die Zeit ins Land. Ereignislos, belanglos. Hier wird Zeit und Leben vergeudet. Bzw. wenn man es nicht so negativ sehen will, leben die Zwei einfach vor sich her und an den anderen vorbei. Und sind sorglos, obwohl sie Grund hätten sich zu sorgen. Und kommen trotzdem durchs Leben. Das bedrückt mich. Denn es gibt mir auch ein Gefühl von Sinnlosigkeit in allem Tun. Denn wofür, wenn das Leben auch so weiter geht. Und im Grunde tut es das ja auch...

... komische Gefühle löst diese Geschichte aus. Erst mochte ich sie gar nicht. Bzw. ich habe sie wirklich nicht gern gelesen. Aber die anschließenden Gedanken und Gefühle die hochkommen (besonders auch dadurch, dass wir sie hier "aussprechen"), finde ich sehr interessant!

Damit ist Lydia Davis einmal mehr eine sehr eigenwillige und außergewöhnliche Schriftstellerin für mich.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon JMaria » Fr 26. Feb 2010, 10:50

Hallo Petra, hallo Wolf,

"St. Martin"
mir sind die gleichen Gedanken zu der Geschichte gekommen wie euch. Sie muß in Frankreich kurz nach dem II. WK spielen (France, Trüffel, Résistance wird erwähnt und das Thema Kollaborateur ist den Einheimischen noch wichtig ...)

Somit erklärte es sich für mich, dass der Krieg den Leuten immer noch in den Gliedern sitzt und sich ihr Verhalten, das Leben im Jetzt, wichtiger ist als das Morgen. Das Hinunterschlingen des Zwiebelkuchens zeigt das mE doch recht deutlich und kein Gedanke an Morgen ist zu finden.

Dann fragte ich mich, welchen Beruf üben sie aus, da immer wieder von ihrer Arbeit und von Merkheften die Rede ist?

Schriftsteller?

da kam mir der Gedanke auf die "Lost Generation". Vielleicht auch eine Andeutung von Verloren sein.? Hemingway u.a. die in Europa herumreisten, weil sie sich in ihrem Land nicht mehr wohlfühlten, sich hauptsächlich in Frankreich eine zeitlang niederließen und nach dem Krieg (allerdings der I. WK) keine Perspektiven sahen. Wie ziellos das aussehen könnte wird in "Fiesta" von Hemingway sehr deutlich.

Liebe Grüße
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Petra » Di 16. Mär 2010, 15:32

Hallo Ihr Lieben,

ich habe direkt die nächsten drei Erzählungen gelesen. Sie greifen auch alle das gleiche Thema auf, insofern war das wohl eine gute (wenn auch zufällige) Entscheidung.

Zugeben hat mir besonders gut gefallen. Da steckt so viel Wahres drin! Erst mal diese Streitigkeit. Dann das fortlaufen. Dann das zurück kommen, der andere ist noch nicht da, weil er auch gegangen ist... all diese (Macht-)Spielchen. Die zeigen sollen wie verletzt man ist, wie sauer. Wie sehr im Recht. Den anderen strafen. Oder man will sich selbst entziehen...

... und dann das zugeben. Jeder gibt nur sein Vergehen zu, begründet aber, warum der andere daraufhin wieder etwas zugeben soll/muss, was dazu geführt hat, dass man selbst unrecht gehandelt hat. Bis man bei dem eigentlichen Auslöser ankommt. Dieser wird dann jedoch nicht zugegeben. Das ist natürlich bezeichnend, denn solange dieser nicht zugegeben wird, ist die Wurzel ja nicht gepackt und es kann immer wieder neuer (derselbe) Streit daraus erblühen, der genauso endet wie der hier beschriebene. Deshalb auch das "noch nicht zugeben". Irgendwann vielleicht. Aber jetzt noch nicht. Solange das nicht geschieht, ist die Wurzel noch da.

Interessant solch einen Streit so zurückzuspulen. Hat Lydia Davis toll gemacht! So ist es allzu oft zwischen Mann und Frau. Und ich denke, sie hat es nicht umsonst so ausgehen lassen, dass der Mann letztendlich die Missstimmung ausgelöst hat. ;-) (Diese Erfahrung mache ich selbst häufig: Zwar kann man(n) mir gern meine Reaktionen vorwerfen, aber sie haben - wenn ich es rekonstruiere - immer Gründe. Und die Ursache liegt dann... ich muss es leider sagen... allzu oft beim Mann. Eine Ungenauigkeit. Eine kleine Unwahrheit. Eine Lieblosigkeit...)

Im Garment District fand ich auch sehr interessant und auch so wahr, so vielsagend. Keiner will den schwarzen Peter. So wird die Ware (analog kann das gewiss auch für einen Vorgang auf Ämtern etc. stehen) hin- und hergeschickt. Keine der beiden Seiten sieht ein, dass sie schuld ist, bzw. den Schaden zu tragen hat. So wenig Sinn das Hin und Her auch macht, so wird es doch so fortgeführt. Weil der eigentlich Verantwortliche (in diesem Fall Großhändler) sich nichts davon annimmt, obwohl die Schuld bei ihm liegt. So wird unter den "Kleineren" hin- und hergeschoben bis einer den schwarzen Peter behält und der Angeschmierte ist.. Und wenn es ewig dauert. Den, der die Ware immer wieder ins Geschäft und abends zurück ins Magazin bringt, stört es nicht, so widersinnig es auch ist was er da verrichtet, denn er bekommt so oder so sein Geld, da er fest angestellt ist.

So ist es in der (beruflichen) Welt doch oft. Ein Vorgang wird hin- und hergereicht. Keiner ist zuständig und will der Verantwortliche sein. Und dem Mitarbeiter ist es eh egal. Er spielt das widersinnige Spiel mit - kriegt er doch eh sein Gehalt. Das spiegelt vieles aus der wirklichen (Arbeits-)Welt wieder. Sehr schön eingefangen, finde ich. Und wieder mal auf so eigene Art. Toll!

Mit Unstimmigkeiten kann ich am wenigsten anfangen. Für mich einfach eine typische kleine Unstimmigkeit, die Lydia Davis hier eingefangen hat, wie sie oft (zwischen Mann und Frau) stattfindet. Wer Recht hat, bleibt ungeklärt. Eigentlich beide und beide nicht. Unstimmigkeiten eben.

Ich bin gespannt welche Gedanken Ihr zu den drei Erzählungen habt!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon JMaria » Sa 27. Mär 2010, 12:10

Hallo Petra, hallo Wolf,

"Zugeben" hat mir sehr gut gefallen. Sehr treffend beschrieben, wie sich ein Auseinanderleben entwickeln kann. Dieses Weglaufen empfand ich als eine Art Hilferuf. Wenn man wegläuft in einer Beziehung, dann möchte man vielleicht auch wieder gefunden werden. (zumindest wenn noch Hoffnung für die Beziehung besteht). Hier war es dieses Weglaufen und Suchen, was mir diesen Eindruck bescherte.

Petra hat geschrieben:
Zugeben
Interessant solch einen Streit so zurückzuspulen. Hat Lydia Davis toll gemacht! So ist es allzu oft zwischen Mann und Frau. Und ich denke, sie hat es nicht umsonst so ausgehen lassen, dass der Mann letztendlich die Missstimmung ausgelöst hat. ;-) (Diese Erfahrung mache ich selbst häufig: Zwar kann man(n) mir gern meine Reaktionen vorwerfen, aber sie haben - wenn ich es rekonstruiere - immer Gründe. Und die Ursache liegt dann... ich muss es leider sagen... allzu oft beim Mann. Eine Ungenauigkeit. Eine kleine Unwahrheit. Eine Lieblosigkeit...)


oder einfach ein "Nichtbemerken". Was ich schon feststellen konnte. Denn was uns Frauen oft verletzt, ist dem Mann garnicht bewußt. Man könnte nicht mal von Gedankenlosigkeit sprechen; Männer denken in vielen Dingen rationaler.

Petra hat geschrieben:Und ich denke, sie hat es nicht umsonst so ausgehen lassen, dass der Mann letztendlich die Missstimmung ausgelöst hat. ;-)


oder auch weil sie aus der Sicht der Frau schreibt :?:
Besonders schön finde ich deinen Satz: Interessant solch einen Streit so zurückzuspulen.

Das sollte man wirklich ab und zu tun, vielleicht sähen dann beide Seiten manche Dinge objektiver.



Im Garment District
So ist es in der (beruflichen) Welt doch oft. Ein Vorgang wird hin- und hergereicht. Keiner ist zuständig und will der Verantwortliche sein. Und dem Mitarbeiter ist es eh egal. Er spielt das widersinnige Spiel mit - kriegt er doch eh sein Gehalt. Das spiegelt vieles aus der wirklichen (Arbeits-)Welt wieder. Sehr schön eingefangen, finde ich. Und wieder mal auf so eigene Art. Toll!


eine schöne Geschichte, wenn sie sich mir auch nicht ganz erschließt. Doch es entstehen starke Bilder bei mir im Kopf, die weniger mit der Geschichte zu tun haben, als mit dem Manne der da so dahin zieht mit diesem Kleidergestell (! wie absurd irgendwie, vermutlich weil durch Manhattan sowieso mit dem Autor kein Durchkommen wäre), immer in den selben Kleidern, er schert sich nicht um Mode, obwohl er im Modebereich tätig ist, und so geht es tag aus tag ein. Diese Gleichgültigkeit ist, obwohl es ja nicht wirklich seine Angelegenheit ist, dennoch erschreckend.



Unstimmigkeiten
...kann ich am wenigsten anfangen. Für mich einfach eine typische kleine Unstimmigkeit, die Lydia Davis hier eingefangen hat, wie sie oft (zwischen Mann und Frau) stattfindet. Wer Recht hat, bleibt ungeklärt. Eigentlich beide und beide nicht. Unstimmigkeiten eben.


ich sah in den Fliegen, die sich im Haus befinden und nicht von außen hereinkommen, eine Metapher, dass man oft erst innerhalb einer Beziehung den Problemen auf den Grund gehen sollte und nicht außerhalb zu suchen.



Ich habe noch die nächste Geschichte Die Schaufspieler gelesen, relativ kurz (danach kommt wieder eine längere), die ich allerdings nicht verstand. Zwei Schauspieler die den Othello unterschiedlich spielen. Die Leute sind beim untypischen Othello-Darsteller überrascht, dass auch dieser traurige Zug zu Orthello passt. hm.

Liebe Grüße
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Petra » Mi 21. Apr 2010, 08:59

Hallo zusammen,

auch ich habe ratlos Die Schauspieler gelesen. Vielleicht wüsste Wolf etwas dazu?

Zwei Schauspieler, die den Othello geben. Der eine passt gut, befindet das Publikum. Der andere, der ihn ab und an vertritt, nicht. Und trotzdem nehmen sie ihm den Othello ab. Unwichtig wird das Ganze wenn ein dritter Schauspieler - ein Großer - von außerhalb kommt, wenn ich das jetzt richtig in Erinnerung habe (es ist schon ein paar Tage her, als ich die Erzählung las - ich kam nicht zum posten). Dagegen verblassen dann beide Schauspieler.

Ebenfalls ratlos macht mich die nächste, längere Geschichte Was interessant war. Da finden wir uns wieder in einem Roman, der gerade geschrieben wird. Und es stellt sich die Frage warum diese nicht interessant ist. Und wie sie interessanter wäre oder warum sie eigentlich interessant sein müsste. Dazu fällt mir nicht viel ein. Geht es Euch auch so?

Und nun zu den vorherigen Erzählungen noch kurze Stellungnahmen zu Deinen Eindrücken, Maria:

JMaria hat geschrieben:"Zugeben" [...] Dieses Weglaufen empfand ich als eine Art Hilferuf. Wenn man wegläuft in einer Beziehung, dann möchte man vielleicht auch wieder gefunden werden. (zumindest wenn noch Hoffnung für die Beziehung besteht).


Das hast Du schön beobachtet und in Worte gefasst, Maria! Guter (und schöner) Gedanke!

JMaria hat geschrieben:oder einfach ein "Nichtbemerken". Was ich schon feststellen konnte. Denn was uns Frauen oft verletzt, ist dem Mann garnicht bewußt. Man könnte nicht mal von Gedankenlosigkeit sprechen; Männer denken in vielen Dingen rationaler.


Auch darin kann ich Dir voll und ganz zustimmen! Gut, dass Du diesen Aspekt mit rein bringst.

JMaria hat geschrieben:Petra hat geschrieben:
Und ich denke, sie hat es nicht umsonst so ausgehen lassen, dass der Mann letztendlich die Missstimmung ausgelöst hat. ;-)


oder auch weil sie aus der Sicht der Frau schreibt :?:


Ja, auch sehr richtig! Danke für den Gedanken in diese andere Richtung. Das kommt der Sache vielleicht sogar näher. Ich finde beides bedenkenswert. Danke deshalb auch hier für die Ergänzung!

JMaria hat geschrieben:...immer in den selben Kleidern, er schert sich nicht um Mode, obwohl er im Modebereich tätig ist, und so geht es tag aus tag ein. Diese Gleichgültigkeit ist, obwohl es ja nicht wirklich seine Angelegenheit ist, dennoch erschreckend.


Ja, die Gleichgültigkeit ist erschreckend. Aber ich finde man kann sie wirklich oft beobachten. Dass jemand seine Arbeit als Berufung versteht, ist wirklich selten. Oft gereicht sie zum Geldverdienen. Und vielen ist es ziemlich gleichgültig womit sie ihr Geld verdienen, bzw. wofür sie es bekommen. Natürlich geht dem oft auch eine Enttäuschung voraus: Man hat in dem, was man wirklich tun will, keine Chance. Muss sich dann irgendwann einen Job suchen. Und geht darin so ganz und gar nicht auf. Und das spiegelt sich dann in solchen Dingen, wie jemand in der Modebranche, der keinen Wert auf Mode legt und immer in den selben Klamotten herumläuft. Somit wieder mal fein und scharf beobachtet und eingefangen von Lydia Davis. Ich finde, dass man diese Gleichgültigkeit oft beoabachten kann. Wie schade, auch für den arbeitenden Menschen selbst. Aber auch für den Posten, den er bekleidet.
Liebe Grüße,
Petra


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