von Barbara » Fr 28. Jan 2011, 17:07
Liebe Maria,
nun bin ich auch fertig und ich finde das Ende sogar gelungen und im Grunde kaum anders möglich. Passt es doch zu der Geschichte und damit auch zum realen Leben und dessen, was Tolstoi uns in seinen Werken sagen will – zumindest, wie ich seine Gedanken verstanden habe.
So wie ich das Ende verstehe, hat Nechliudow zum jetzigen Zeitpunkt seinen Seelenfrieden gefunden.
Tolstoi sieht aber, aus seiner eigenen schicksalhaften Erfahrung heraus, dass diese Zufriedenheit und das Bewusstsein der Wissenden zu sein, nicht von Dauer sein kann.
Wie heißt es in der Soziologie: Alles ist im Fluss! So auch unsere eigene Entwicklung, unser Denken, unser Fühlen und somit auch unsere Einstellungen.
Das ist auch wichtig und richtig. Es kann nicht sein (und wenn ist es nur partiell möglich), dass man eine getroffene Einstellung und Lebenshaltung ein Leben lang beibehält. Man muss auch für Entwicklungen offen bleiben, was nun nicht bedeuten soll, dass man sein Fähnchen nach dem Wind hängen soll.
Ich sehe es eher so, dass wir angehalten sind, ein Leben lang allem kritisch gegenüberzustehen, allem, was uns so angetragen wird, was wir erleben und was wir an Politischem und Religiösem erfahren. Nur, wenn wir kritisch überdenken und uns auch selbst kritisch gegenüberstehen, sind wir authentisch.
Daher wird es zwangsläufig so sein, dass Nechliudow, in einer neuen Phase seines Lebens wieder von vorne, allerdings auf einer höheren Ebene, zu denken beginnen und alles erneut in Frage stellen wird. Mag sein, dass er dann zu einem völlig neuen Schluss kommt – mag sein, dass er erkennt, dass sein eingeschlagener Weg noch immer der richtige ist – der richtige Weg für ihn selbst. Das wird und kann letztlich wirklich nur die Zukunft zeigen, da auch Vieles von seinen neuen Erlebnissen und Erfahrungen abhängen wird.
So deute ich den Schluss und, wie gesagt, ich finde ihn gelungen und sehr treffend.
Auch ich empfinde „Auferstehung“ als wichtiges Buch. Ein Freund von uns sagte zu mir, als er sah, dass ich das Buch gerade lese: „Da hast Du eine gehaltvolle Kost vor Dir. Ich habe damals, als ich es las, selbst meine Grundfeste in Frage gestellt und mein Leben völlig neu überdacht.“
Und genau das ist es, was Tolstoi bei uns Lesern erreichen möchte. Auch mich hat er in gewisser Weise, in bestimmten Lebensbereichen damit angesteckt und auch ich überdenke gerade in diesen Bereichen mein Leben völlig neu! Mag sein, dass ich erkenne, dass ich richtig liege. Mag sein, dass ich alles neu strukturiere. Auch das wird nur die Zukunft – meine persönliche Zukunft zeigen.
Liebe Grüße
Barbara