Hans Fallada

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Re: Hans Fallada

Beitragvon Petra » Mo 6. Jun 2011, 14:44

Hallo Yvonne,

ich lese normaler Weise auch NIE (!) ein Nachwort bevor ich das Buch gelesen habe. Auch informiere ich mich ungern vorher über den Roman. Denn ich möchte ihn ganz unbeeinflusst auf mich wirken lassen. Aber hier habe ich eine Ausnahme gemacht, da wir ja eine kleine Leserunde dazu hatten, mit unterschiedlichen Ausgaben. Und ich wollte Maria (die die ältere und somit veränderte Fassung hatte) ein paar Details an die Hand geben, die wir (Steffi und ich) in der Neuausgabe hatten. Auch wollte ich vorab schon mal erfahren, wo Veränderungen an dem Roman vorgenommen worden waren, damit wir während der Leserunde sensibel dafür sind. Vielleicht war das in dem Fall wirklich besser so. Mich hätte ohne vorheriges Hintergrundwissen der Sinneswandel der Quangels auch irritiert, da ich den nicht überzeugend gefunden hätte. In Anlehnung des wahren Falls aber schon.

Übrigens hat Fallada nicht viel von dem wahren Fall für seinen Roman übernommen. Aber dieses Detail schon. Außer dass es bei den Hampels der Bruder und bei den Quangels der Sohn war, der gefallen ist und den Sinneswandel herbeigeführt hat.

Im vierten (also letzten) Teil geht Fallada schon ins Detail. Er schont weder die Figuren noch die Leser. Ich hatte zuvor die Autobiografie von Marcel Reich-Ranicki gelesen. Dadurch ist in mir eine neue Neugierde für das Thema (Drittes Reich) in all seinen Facetten entstanden. Mir ging ebenfalls sehr nahe, was MRR und seine Frau im Warschauer Ghetto erlebt und erlitten haben. Aber verfolgt hat es mich nicht. Jedoch Falladas Roman. Allerdings wirklich erst im letzten Viertel. Davor kommt es fast geschwätzig daher. Gewollt, wie immer klarer wird. Die Geschichte wird immer dichter. Aber es braucht etwas Geduld dafür. Mir fiel es nicht schwer sie aufzubringen. Aber wenn man sich schwer tut, in diesen Fallada reinzukommen, dann ist der Geduldaufwand schon nicht ohne. Da kann ich verstehen, wenn man die vielleicht nicht aufbringen kann oder will. Aber die Handlung zieht später an.

Falls Du weiter liest, wäre ich natürlich sehr interessiert an Deinen weiteren Eindrücken. Wenn Du weiter machst, dann wappne Dich: Er lässt sich Zeit mit dem Aufbau. Es spitzt sich erst im letzten Viertel zu. Dann aber unaufhaltsam. Gut so, denn geschont werden wollte ich auch nicht. Sondern meinen Blick auf die Wahrheiten richten dürfen. Deshalb war ich froh, dass er am Ende schonungslos verfährt mit seinen Figuren.

Ich habe, was das Thema angeht, noch viele Bücher vor mir. Ich habe mich auch bereits gründlich eingedeckt. Die Autobiografie von MRR hat mir große Lust auf mehr über das Thema gemacht. So schwer verdaulich es auch ist. Es ist interessant, und auch wichtig. Wenn ich lese, welche Erfahrungen Du in der ehemaligen DDR gemacht hast, umso mehr. Dann weiß man umso eindringlicher, wie nah dran das Thema ist. Immer.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Hans Fallada

Beitragvon steffi » Di 7. Jun 2011, 09:45

Hallo Yvonne,

ich kann mir vorstellen, dass du es mit anderen Augen liest als ich. Für mich ist es doch eine distanzierte Neugier gewesen und da ich weder so ein Regime aus eigener erlebter Anschauung kenne, auch niemand, den ich darüber intensiver befragen könnte und ich auch keine anderen Bücher kenne, die gerade dieses Thema angehen (Tellkamps Turm lass ich da mal außen vor, denn da ist ja die Realität dem künstlerischen Aspekt untergeordnet), habe ich keine Vergleichsmöglichkeiten.

Für mich am besten an Fallada war die Atmosphäre, das Berlin, das er schildert und auch dann später die inneren Befindlichkeiten der Personen. Es stimmt auch, dass er vieles abstrahiert, die Figuren sind nicht wirklich lebendig, das habe ich auch empfunden, er benutzt sie, um bestimmte Haltungen zu demonstrieren. Mir gefällt so etwas generell, weil ich ja auch gerne Naturalismus lese, Zola z.B. macht das ja ähnlich. Ich weiß aber auch, dass das Abschreckend sein kann.

Im übrigen finde ich so eine Diskussion klasse, man beschäftigt sich doch nochmal, was einem gefiel oder nicht gefiel und warum. Und hey, wäre ja schlimm, wenn jeder den gleichen Geschmack hätte - für mich ist beim Lesen das Bauchgefühl immer noch sehr wichtig !
Gruss von Steffi

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Re: Hans Fallada

Beitragvon steffi » Mo 8. Aug 2011, 10:32

Ich bin nun mitten in der Biographie von Jenny Williams: Mehr Leben als eins. Hans Fallada und sehr begeistert. Eine der besten Biografien, die ich je las und sicher auch für Nicht-Fallada-Leser interessant.

Denn es geht nicht nur um das Leben von Fallada (eigentlich Rudolf Ditzen), sondern vor allem um sein Leben im Verhältnis seiner Zeit. Das Ende der Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise, der Nationalsozialismus - noch nie waren mir die Mechanismen so bewusst und so einfach und klar dargestellt, auch in Bezug auf das Leben der Menschen.

Und Fallada ist mit seinen Büchern am Puls der Zeit, er hat diesen "Sensor", leider funktioniert dieser nicht unbedingt bei ihm. Ein getriebener Mensch, dessen Pflichtgefühl und die Angst, seiner Verantwortung der Familie gegenüber nicht gerecht zu werden noch aus der wilhelminischen Zeit stammt. Dann immer wieder die Alkoholsucht und der Versuch, sich ganz in sich selbst zurückzuziehen, in der ländlichen Abgeschiedenheit ein bisschen vergessen zu werden, dazu aber auch der Stolz um seine Kunst und seinen Erfolg. Ein Erfolg, der auch ein bißchen dadurch zu Stande kommt, dass fast alle Literaten im Ausland sind und nicht in Deutschland veröffentlichen können und doch - auch ein Erfolg, weil er es nicht lassen kann, seine Vorstellungen von Anstand und Moral niederzuschreiben. Trotzdem muss er sich irgendwie durchlavieren, auch mit Anbiederung und naiven Vorstellungen.
Gruss von Steffi

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Re: Hans Fallada

Beitragvon JMaria » Di 9. Aug 2011, 09:12

steffi hat geschrieben:Ich bin nun mitten in der Biographie von Jenny Williams: Mehr Leben als eins. Hans Fallada und sehr begeistert. Eine der besten Biografien, die ich je las und sicher auch für Nicht-Fallada-Leser interessant.

.



Hallo Steffi,

Denn es geht nicht nur um das Leben von Fallada (eigentlich Rudolf Ditzen), sondern vor allem um sein Leben im Verhältnis seiner Zeit. Das Ende der Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise, der Nationalsozialismus - noch nie waren mir die Mechanismen so bewusst und so einfach und klar dargestellt, auch in Bezug auf das Leben der Menschen.



das klingt ja wirklich nach ein sehr guten Biographie, wenn die Person mit ins Zeitgeschehen und Epoche eingegliedert ist !

Gruß,
Maria
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Re: Hans Fallada

Beitragvon steffi » Di 9. Aug 2011, 10:13

Ja, es ist sicher auch wichtig, seine Beziehung zum Nationalsozialismus zu verstehen. Obwohl er einmal kurz davor war, auszuwandern, fürchtete er sich doch davor, nicht zuletzt wegen seiner Depressionen und Alkoholsucht, sicher auch, weil er bei schwerwiegenden Problemen sich nicht auf sich selbst verlassen konnte. Sein sehr ländliches Leben erschien ihm da wie der sichere Hafen. Leider stellte sich heraus, dass das nicht so war und er viele Zugeständnisse machen musste.

So versuchte er sich durchzulavieren, nicht allzusehr aufzufallen und vorallem, keine kritischen Äußerungen zu machen, auch nicht in seinen Romanen. Er schrieb Kurzgeschichten, Lebenserinnerungen (mehr oder wenig erfunden), Drehbücher, reine Unterhaltungsromane usw. Es war ja dann so, dass, selbst wenn ein Buch angenommen war, also die erste Hürde geschafft war, die Papierzuteilung u.U. auf sich warten ließ bzw. nie erfolgte. Depressionen, Schlafstörungen, Alkohol, etliche Sanatoriumsaufenthalte und eine zerrüttete Ehe waren die Folgen, zumal seine Frau auch gesundheitlich angeschlagen war.

Mit der Zeit wurde die Lage aber immer unerträglicher und gefährlicher, der kleine landwirtschafliche Hof vom Traum zum Alptraum. Im Buch gibt es ein Zitat von Martin Niemöller , das es sehr gut ausdrückt:

"Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen - denn ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialisten geholt haben, habe ich geschwiegen - denn ich war ja kein Sozialist. Als sie die Juden geholt haben, habe ich geschwiegen - denn ich war ja kein Jude. Als sie die Katholiken geholt haben, habe ich geschwiegen - denn ich war ja kein Katholik. Als sie mich geholt haben, hat es niemanden mehr gegeben, der protestieren konnte."
Gruss von Steffi

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Re: Hans Fallada

Beitragvon Petra » Do 11. Aug 2011, 14:56

Hallo Steffi,

sehr interessanter Bericht, den Du hier abgibst! Dass Fallada sich nicht auf sich selbst verlassen konnte, hast Du z. B. sehr eindrücklich dargelegt. Bestimmt ein wichtiger Aspekt in seinem Leben.

Ganz toll fand ich auch das Zitat von Martin Niemöller. Danke für Deine Mühe, uns diese Eindrücke zu verschaffen!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Hans Fallada

Beitragvon Didonia » Do 11. Aug 2011, 17:51

Ich habe ja die Zeitschrift P.M. Biografie abonniert. Das aktuelle Heft habe ich gestern erhalten. Unter anderen ist auch ein Beitrag über Fallada dabei. Ich werde schauen, ob ich daraus eine Kurzbiografie machen kann.
Lesende Grüße, Anne

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Re: Hans Fallada

Beitragvon Petra » So 14. Aug 2011, 15:35

Hallo Didonia,

das ist ja interessant, dass in P.M. Biografie ein Artikel über Fallada enthalten ist.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Hans Fallada

Beitragvon JMaria » Mi 7. Sep 2011, 15:02

Hallo zusammen,

Rund 150.000 Exemplare verkaufte der Aufbau Verlag von "Jeder stirbt für sich allein" in der Neuedition. Briefmarken mit dem Konterfei des Autors gibt es nun als Danke schön.

http://www.boersenblatt.net/454949/

Ein Werbefolder mit vier Fallada-Marken gehe als Give-away des Verlags an ausgewählte Buchhändler und Journalisten.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Hans Fallada

Beitragvon Petra » Mi 7. Sep 2011, 15:21

Hallo Maria,

das ist doch mal ein Erfolg 150.000 Exemplare! Und das Briefmarken-Dankeschön eine würdige Ehrung Falladas.

Danke für die Info! :-)
Liebe Grüße,
Petra


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