Hallo zusammen,
bei Dan Simmons „Drood“ befinde ich mich nun auf der 6. CD. Ein Viertel habe ich also schon gehört. Da der Sprecher wirklich ausgezeichnete Arbeit leistet, habe ich mich noch keine Sekunde gelangweilt. Auch schwer möglich, bei dieser interessanten und toll umgesetzten Vorlage Dan Simmons. Doch glaube ich, dass es für mich als Hörbuch die bessere Wahl war, da Simmons die Details schon sehr auswalzt. Der hilft die Atmosphäre zu verdichten, und ist auch sehr ideenreich und toll gemacht. Aber als Buch würde ich da eher Längen empfinden. Beim Hörbuch spüre ich davon nichts, denn Detlef Bierstedt nimmt mich ganz und gar mit ins alte London, die Unterwelt, und in Charles Dickens und Wilkie Collins Leben. Mir ist, als spräche Wilkie Collins tatsächlich zu mir. Ein Verdienst sowohl von Dan Simmons, der Wilkie Collins Leben eingehaucht hat, und von Detlef Bierstedt, der sich während der Lesung selbst vergessen zu haben scheint, und Wilkie Collins Identität annimmt. Das wirkt ausgesprochen authentisch, trotz dieser fiktiven Geschichte rund um Drood.
Sehr positiv empfinde ich auch die unsichtbare, aber doch klar spürbare Trennlinie zwischen Fakten und Fiktion. Nach einer Weile habe ich eine gewisse Sicherheit erlangt, dass alles rund um Charles Dickens und Wilkie Collins Leben auf Fakten beruht. Und alles was die Geschichte um Drood betrifft erfunden ist. Und welch ein Quell an Informationen über diese beiden großen Schriftsteller sich hier auftut, das ist wirklich beeindruckend. Toll auch, wie andere Zeitgenossen hier und da eingebunden werden. Thackeray z. B., durch eine wahre Begegnung mit ihm und Dickens.
Und trotz dass Dan Simmons hier Fiktion mit Fakten vermischt, und die Trennlinie klar gezogen ist, wirkt die Erzählung nahtlos. Simmons verbindet die Stellen aufs feinste, und lässt sich einiges einfallen, um Fakten in die fiktive Geschichte einzubauen, so dass der Leser/Hörer möglichst viel über das Leben der beiden Schriftsteller erfährt. Und es wirkt überhaupt gar nicht aufgesetzt oder erzwungen. Ganz großes Kompliment!
Ein wunderbares – zum Glück ungekürztes – Hörvergnügen! Gewiss eines meiner Hör-Highlights 2011!
@Sandra: Ja wirklich, „Drood“ ist ein reines Hörvergnügen – wie oben noch mal näher beschrieben. Ich kann das Hörbuch wirklich jedem empfehlen, der sich für diese Zeit und die beiden Schriftsteller interessiert. Aber auch jedem, der eine tolle Geschichte mit einer dichten Atmosphäre mag. Besonders zu dieser Jahreszeit, da kann man sich so richtig einfühlen, und spürt beinahe den Atem der unheimlichen Gestalten. Aber auch die freundlichen Figuren sind ausgesprochen lebendig ausgefallen.
Sehr richtig, man soll den Menschen hinter seinen Büchern nicht mit seinen Romanfiguren gleichsetzen. Dickens ist dafür gewiss ein gutes Beispiel. Denn so selbstlos, gut- und warmherzig wie seine Hauptfiguren, war er selbst wohl nicht. Und Somerset Maugham in seinem eigenen Leben anscheinend auch nicht der Menschenversteher, der aus seinen Romanen spricht. Interessant! Aber auch sehr richtig: Den durch und durch guten Menschen gibt es auch gar nicht. Warum sollte das bei den Autoren so wundervoller Romane anders sein?
Das Hörspiel zu "Die Pickwickier" müsste ich auch zu Hause haben. So kann ich mich ja freuen, dass ich es hören kann, sobald ich den Roman gelesen habe. Zu „David Copperfield“, den ich ja gerade lese, habe ich auch noch ein – sehr umfassendes (fast 7 Stunden) – Hörspiel aus dem Jahr 1957 (WDR). Darauf freue ich mich schon, wenn ich den Roman beendet habe.
@Peter: Wow – Du hörst "In Zeiten des abnehmenden Lichts" von Eugen Ruge. Ich habe mich für das Buch entschieden, obwohl mich auch das Hörbuch reizte. Sowohl von der Sprecherwahl her, als auch weil es ungekürzt ist. Ich verspreche mir von dem Roman wirklich viel, und bin sehr gespannt auf Deine Eindrücke!
Deinen Buchtipp „Game“ von Anders de la Motte habe ich nun auch vermerkt, zumal Steffi schrieb, dass es das auch als Kindle-Ausgabe gibt. Ich lasse mir gleich mal eine Leseprobe schicken. Danke für den spannenden Tipp!
Was Du über Dein Hörerlebnis mit Preston & Child schreibst, klingt wirklich grottig. Alles Dinge, die für mich unerträglich geworden sind. Ich zitiere Dich: Einfachste Sprache, logische Fehler, Holzschnittartige Figuren und eine absolut nicht überzeugende Story…
Schade, dass Autoren und Verlage unsere Zeit (und unser Geld) mit so etwas verschwenden. Aber leider kommt das öfter vor, als man meint. Dein guter Glaube an die Menschen (auch Autoren und Verleger ) ist manchmal leider, leider nicht gerechtfertigt, wie dieses Negativ-Hörerlebnis zeigt.
@NatiFine: Du hattest sehr interessante Hörerlebnisse, auf die ich noch mal näher eingehen möchte. Erst einmal aber vielen Dank für Deine ausführlichen Berichte dazu, die ich sehr genossen habe!
Zu „Ladylike“ von Ingrid Noll: Ich war damals als ich es hörte sehr begeistert davon. Aber ich kenne auch schon einige Bücher von Ingrid Noll, und weiß ihren Humor einzuschätzen. Absurde Szenen, überspitzte Handlungen übertriebener Figuren. So überraschte mich das an „Ladylike“ nicht, verstehe aber, dass jemandem, der sich das Thema etwas bodenständiger gewünscht hätte, etwas suspekt ist.
Die Sprecherin empfand ich als erstklassige Wahl. Aber da sieht man mal wieder, wie subjektiv solch eine Einschätzung ist. Hier mal meine Rezension von damals.
Auf „Allmen und die Libellen“ machst Du mich nun neugierig. Ich hatte es schon mal begonnen zu hören, aber da keinen guten Zeitpunkt für erwischt. Mir war die Figurenzeichnung in dem Moment zu überzeichnet. Aber generell mag ich so was schon mal ganz gern. So werde ich einen besseren Zeitpunkt abwarten, und es noch mal versuchen. Zumal ich Martin Suter eigentlich recht gern mag. Mir hatte damals auch sein „Small World“ sehr gut gefallen, als ich es las. Gibt es übrigens inzwischen auch als Hörbuch, und sogar als Film.
Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ habe ich vor Jahren mal gelesen. Aber so richtig gezündet hatte es bei mir nicht. Das mag aber gut und gern auch daran liegen, dass ich noch sehr jung war. Diesen Roman noch mal in Form des Hörbuchs an mich zu lassen, könnte ich mir für irgendwann mal vorstellen. Zumal Du von dem Hörbuch so begeistert bist. Und auch Deine eigenen Erinnerungen an das große Schweigen in den 50ern haben mich angesprochen. Denn mir ist das nicht so bewusst, da ich erst Anfang der 70er geboren wurde.
Schön auch, dass Dir Hans Korte so gut gefallen hat. Ich hatte befürchtet, dass seine Stimme zu alt klingen würde, für die Figuren, von der die Geschichte erzählt.
Abermals ganz lieben Dank für Deine ausführlichen Berichte! Ich genieße sie sehr, und kann damit viel anfangen.
Es freut mich andersherum auch, dass ich Dich ebenfalls meine Beiträgen zu „Drood“ so sehr interessieren. Für Dich wäre das Hörbuch gewiss auch eine Bereicherung, aufgrund der vielen eingebauten Informationen über Charles Dickens. Und das ist wirklich toll gemacht. Deine Portion Dickens hast Du aber wirklich erstmal gut abgedeckt. Oliver Twist habe ich letztes Jahr gelesen. Falls Du ihn diesen Winter noch einschiebst, so wünsche ich Dir viel Vergnügen damit! Stimmt, je winterlicher das Wetter wird, umso größer wird die Lust auf Dickens!
Die Länge der Lesung von „Drood“ hatte mich bislang auch immer abgehalten. Aber ich wusste: Irgendwann bin ich in der Stimmung, und habe die Geduld für das lange Hörbuch. Und bisher verspüre ich auch überhaupt keine Längen. Einfach toll die Lesung.
Wie ich sehe, hörst Du gerade „Das Labyrinth der träumenden Bücher“. Damit wünsche ich Dir viel Spaß! Ich bin gespannt auf Deinen Bericht, und ich bekomme gerade Lust, noch mal „Die Stadt der träumenden Bücher“ zu hören. Ich kenne es bereits, aber das könnte ich mir gewiss noch mal anhören. Zu schön die Stelle mit den 100 Seiten Lanzen-Pflege… Hier zu dem Hörbuch mal meine Rezension. Auf Deinen Bericht zum Labyrinth bin ich sehr gespannt. Denn Andreas Fröhlich höre ich doch so gern! Und Sandra lobte ihn doch kürzlich auch für seine Leistung bei den Walter Moers-Lesungen, nicht wahr?
@Steffi: „Die Einsamkeit der Primzahlen“ interessiert mich auch immer wieder. Das Hörbuch anstatt des Buches wäre da eine denkbare Alternative. Vor allem, nachdem Du von Daniel Brühl sagst, dass seine Lesung einfühlsam ist. Und dass anscheinend die Kürzungen nicht ausschlaggebend sind für die Brüche in den Erklärungen. Da die Konzentration anscheinend aber auf dem Innenleben der Figuren liegt, kann man das sicher hinnehmen, und es scheint auch gewollt zu sein. Du interessierst mich erneut für das Buch, allerdings in Form des Hörbuchs. Allerdings soll auch die Verfilmung richtig gut sein. Aber gerade wenn es ums Seelenleben geht, kann ein (Hör-)Buch doch tiefer gehen. Danke fürs Laune machen auf das Hörbuch!
Oh ja, ich finde die – wie Du so schön sagst – egozentrischen Charakterzeichnungen in „Drood“ auch ausgesprochen gelungen. Das wirkt so authentisch, obwohl man die Authentizität ja eigentlich anzweifeln müsste. Dazu haben die Figuren viel zu viel von Dickens Romanfiguren. Und trotzdem: Es wirkt so überzeugend und stimmig. Man kann sich voll und ganz in der Geschichte verlieren. Dass die Atmosphäre durch den tollen Sprecher noch mal gewinnt, glaube ich auch.