Leserunde: AS Byatt - Besessen

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Re: Leserunde: AS Byatt - Besessen

Beitragvon JMaria » Fr 27. Jul 2012, 15:50

steffi hat geschrieben: - und ich finde, der Übermut und die Leidenschaft der PRB kommt sehr gut rüber, auch die etwas verknöcherten "alte" Welt, ....!



ja, es war wohl eine Zeit wo es Künstler wagten selbstbewußt neue Wege zu gehen. Ein paar Jahrzehnte später gabs nochmals so einen "Bruch" mit der herkömmlichen Kunst, das war zur Zeit Virginia Woolfs und Bloomsbury !


Ist dir die Ähnlichkeit zwischen Maud und Christabel aufgefallen - nicht nur äußerlich sondern beide möchten unabhängig von Männern sein und haben Freundinnen (Leonora und Blanche), die ihnen nicht unbedingt weiterhelfen können. Auch Ash und Roland ähneln sich, denn erst als sie von etwas besessen werden, schaffen sie es, ihr Leben zu ändern und zu sich selbst zu finden. Val und Ellen sind beide sehr passive Figuren, die sich für ihre Partner aufopfern. Diese Parallelen gefielen mir sehr gut, auch wenn die Charaktere darunter etwas leiden, finde ich.



ein interessanter Gedanke. Ich werde darauf achten !

Christabel schreibt in ihren Briefen, dass sie unbedingt einen Versepos schreiben möchte. Hier erkennt man durchaus eine Parallele zu Elizabeth Barrett Browning, die mit Aurora Leigh ihr bekanntestes Versepos schrieb. Leider überdauert die Zeit nicht das Interesse an Versepen, die meisten sind in Vergessenheit geraten, oder haben nur noch historischen Wert, der Prosaroman hat das Versroman längst abgelöst. In einer Zeit wo Jane Eyre, Vanity Fair, David Copperfield und Richard Feverel zwischen den Jahren 1847 und 1860 herauskam, warf EBB ihr "Aurora Leigh", wie ein Fehdehandschuh ihnen vor die Füße. [Virginia Woolf : Frauen und Literatur].


Die Namenskombinationen fallen auch auf. Christabel LaMotte hat etwas ausländisches, EBBs Familie hütete ein Abstammungsgeheimnis (Mischling, Sklaven), in Aurora Leigh ist die Heldin halb englischer, halb italienischer Abstammung, das gleiche gilt für Christina Rossetti. Vom Schriftsteller Friedrich de la Motte Fouqué gibt es den Roman "Undine" (Melusinen-Motiv !) Übrigens ein sehr schöner Roman, gibt es auch als Hörbuch, sehr schön gelesen von Eva Mattes.

http://www.amazon.de/Undine-ebook/dp/B0 ... 250&sr=8-2


das lesen der Briefe zieht sich wirklich etwas hin, da muß ich dir zustimmen. Doch ich muß zugeben, dass mich die realen Bezüge (EBB, Emily Dickinson, Alfred Tennyson, Robert Browning, PRB uvm.) dahinter mehr interessiert als den Roman, den ich vermutlich nur als Leitfaden hernehme, wenn ich es mir so recht bedenke. Doch uninteressant finde ich "Besessen" deswegen nicht. Ich geh halt manchmal seltsame Wege beim Lesen eines Buches.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: AS Byatt - Besessen

Beitragvon steffi » Fr 27. Jul 2012, 17:18

JMaria hat geschrieben:
das lesen der Briefe zieht sich wirklich etwas hin, da muß ich dir zustimmen. Doch ich muß zugeben, dass mich die realen Bezüge (EBB, Emily Dickinson, Alfred Tennyson, Robert Browning, PRB uvm.) dahinter mehr interessiert als den Roman, den ich vermutlich nur als Leitfaden hernehme, wenn ich es mir so recht bedenke. Doch uninteressant finde ich "Besessen" deswegen nicht. Ich geh halt manchmal seltsame Wege beim Lesen eines Buches.


Seltsam finde ich das gar nicht. Du verstehst einfach die Hinweise viel besser !

Ich bin ja weder der Lyriktyp noch der Romantiktyp - auf beides spielt Byatt immer wieder an. Trotzdem fand ich es nicht langweilig, denn ich denke, dass sie neben den Personen auch Literaturstile kopiert. Der Wechsel zwischen den Briefen, den Versen und der heutigen Handlung ist prägnant, auch wenn ich es nicht genau festhalten kann.

Auf jeden Fall kann ich nach dem Lesen sagen, dass mir diese Zeit doch sehr viel näher kam und ich auch die damalige englische Literatur besser einordnen kann.

Bloomsbury: du hast Recht, es gibt sehr viele Parallelen zu den PRB, z.b. auch, dass William Morris Tapeten (manche kann man sogar noch heute kaufen) und Teppichmuster entwarf, erinnert mich an
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Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: AS Byatt - Besessen

Beitragvon JMaria » Sa 28. Jul 2012, 09:36

steffi hat geschrieben: Ich bin ja weder der Lyriktyp noch der Romantiktyp - auf beides spielt Byatt immer wieder an. Trotzdem fand ich es nicht langweilig, denn ich denke, dass sie neben den Personen auch Literaturstile kopiert. Der Wechsel zwischen den Briefen, den Versen und der heutigen Handlung ist prägnant, auch wenn ich es nicht genau festhalten kann.



und so typisch für die Romantik, die sich nicht in einer Form pressen lässt. Im Wikipedia kann man lesen (Romantik), dass Lieder, Gedichte, Märchen, Erzählungen und auch Wissenschaft und Philosophie miteinander vermischt werden.



Bloomsbury: du hast Recht, es gibt sehr viele Parallelen zu den PRB, z.b. auch, dass William Morris Tapeten (manche kann man sogar noch heute kaufen) und Teppichmuster entwarf, erinnert mich an
Omega Workshops.



genau ! Ich denke auch an Roger Fry, der sogar den Begriff Post-Impressionismus geprägt hat und schockierte London mit seiner Ausstellung 1910 "Manet and the Post-Impressionists".
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Re: Leserunde: AS Byatt - Besessen

Beitragvon JMaria » Mo 30. Jul 2012, 09:27

ein paar zeitliche Daten zu den realen Dichterinnen:

Christina Rossetti wurde am 05.12.1830 geboren, da war Elizabeth Barrett 24 Jahre und bereits eine Dichterin. Emily Bronte war 12 Jahre und war bereits in ihrer Phantasiewelt Gondal versunken.

Nur fünf Tage nach Christina Rossettis Geburt kam die amerikanische Dichterin Emily Dickinson zur Welt.

noch ein Bonbon:
bei der Geburt von Christina Rossetti half der Arzt Dr. William Locock, der später auch Königin Victorias Geburtshelfer wurde. Patentante der Kleinen wurde Prinzessin Christina Bonaparte, eine Nichte Napoleons, die einen Engländer geheiratet hatte und in London lebte.

Der Bruder ihrer Mutter, John Polidori, begleitete Byron als Reisearzt, und der "The Vampyre" schrieb, die erste Vampir-Erzählung.

was für eine interessante Familie und überhaupt eine Generation in der große Frauen sich hervor taten.

Übrigens wollte Dante Gabriel Rossetti, dass Christina doch mehr die Natur in ihrer Lyrik beschreiben sollte, das war viel fraulicher ;-)

Doch Christina hat sich für innere 'Landschaften' interessiert.


Es ist ein ödes Leben, sagt sie,
Zweimal, wenn man das Los der Frauen teilt.
Ich wünsche mir, ein Mann zu sein,
Oder besser noch, gar nicht zu sein.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: AS Byatt - Besessen

Beitragvon Barbara » Mo 30. Jul 2012, 10:15

Liebe Maria,
JMaria hat geschrieben:was für eine interessante Familie und überhaupt eine Generation in der große Frauen sich hervor taten.

Da hast Du recht.
Überhaupt hat die damalige Zeit, wie ich finde, im Vergleich zu heute sehr viel mehr bedeutsame und "langlebige" Literaten hervorgebracht.

Ist doch Wahnsinn, wie viel Wissenswertes sich aus einem "einfachen Buch" immer wieder herauslösen lässt.
Und umgekehrt, wie viel Mühe und Arbeit von seiten der Autorin darin steckt, dieses herauslösbare Wissen hineinzulegen.

Euch weiterhin viel Spaß mit der Lektüre und danke an Euch für die, für mich leider nur im Nachhinein, auch neuen Informationen.
"Das Lesen eines Buches ist die Zwiesprache mit der eigenen Seele!"
B.H.

Liebe Grüße
Barbara
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Re: Leserunde: AS Byatt - Besessen

Beitragvon Didonia » Mo 30. Jul 2012, 11:01

Barbara hat geschrieben:Überhaupt hat die damalige Zeit, wie ich finde, im Vergleich zu heute sehr viel mehr bedeutsame und "langlebige" Literaten hervorgebracht.


Moin, ihr Lieben,

ich lese ja hier auch interessiert mit, obwohl das Buch noch ungelesen in meinem Regal steht.

Barbara, ich denke mir, dass die Literaten damals noch was zu sagen hatten, besonders die Frauen wollten wohl auch etwas bewirken.
Heute läuft es zu 99 % doch nur noch auf Unterhaltung heraus. Die Perlen muss man akribisch suchen.

Auch von mir noch viel Spaß mit eurer kleinen Runde :)
Lesende Grüße, Anne

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Re: Leserunde: AS Byatt - Besessen

Beitragvon JMaria » Di 31. Jul 2012, 09:59

Hallo zusammen,

man muß sich nur mal vor Augen führen, welche Romane, von Frauen geschrieben, im 19. Jahrhundert erschienen sind:

Mary Shelley: Frankenstein
Emily Bronte: Sturmhöhe
Ann Radcliffe: The Mysteries of Udolpho (ende 18. Jht. 1797)
Christina Rossettis düsteres zweideutiges Gedicht "Goblin Market".

Schauergestalten voller Wut und Leidenschaft !

In einem Jahrhundert, das Ärzte auch "Jahrhundert der Neurasthenie" nannten ( Dr. E. Heinrich Kisch in der Gartenlaube 1887 Heft 1, S. 10–12) , in dem Frauen oft in dieser Diagnose gefesselt waren, sich nicht befreien konnten (Hysterie, Nervenschwäche und die daraus begleitenden Krankheiten, oft durch Beigabe von Laudanum kam noch eine Sucht hinzu). Wenige Künstlerinnen konnten sich befreien, manche durch die Literatur (siehe oben), oder wie Elizabeth Barrett, die mit Robert Browning nach Italien ging, sich aus dem Krankenbett erhob und aus dem Vaterland und vorm Vater floh. Andere schafften es nicht, wie Elizabeth Siddal (Malerin und Lyrikerin), die Muse, Geliebte und Gattin von Dante Gabriel Rossetti, die wegen ihren Depressionen und Krankheiten Laudanum süchtig war und eine Todgeburt hatte und sich wohl davon nicht mehr erholte und sich das Leben nahm (eine Überdosis).

Elizabeth Barrett Browning hatte das Glück, dass sie von ihrem Mann liebevoll während der Schwangerschaft dem Laudanum entzogen wurde und ihr Kind zur Welt brachte. Das war E. Siddal nicht vergönnt. Dante Gabriel Rossetti litt deswegen unter Gewissensbissen und hat sein Manuskript in einer Verzweiflungstat in den Sarg beigelegt, zwischen ihrem rotgoldenen Haar. Jahre später hat er das Manuskript exhumieren lassen.

Oder auch Florence Nightingale. Ihre Familie lehnte ihre Idee nach Reformen im Sanitätswesens und der Gesundheitsfürsorge strikt ab, wegen ihrer anfälligen Gesundheit, doch sie ließ sich nicht aufhalten.
Übrigens, als Florence Nightingale Oktober 1854 mit einem Teil der Pflegerinnen nach Scutari aufbrach, war auch eine Tante von Christina Rossetti darunter. Auch Christina Rossetti hatte sich beworben, aber sie wurde als zu jung eingestuft.

http://de.wikisource.org/wiki/Die_Nerve ... urasthenie)
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: AS Byatt - Besessen

Beitragvon steffi » Mi 1. Aug 2012, 08:43

Sehr interessant !

Wobei Florence Nightingale ja die damals der Frau zugestandenen Bereiche Nächstenliebe, Fürsorge auf diesem Umweg in die Öffentlichkeit getragen hat. Das Problem war ja, dass die Bürgerlichkeit des späten 19. Jahrhunderts die Frauen total aus der Öffentlichkeit gedrängt hat. Vorher gab es z.B. für intellektuell interessierte Frauen die Salons, im späten 19. Jh sollten sie zu Hause bleiben und sich nur um den Haushalt kümmern und sich ihrer biologischen Funktion erinnern. Damit einher ging die Unterdrückung der weiblichen Sexualität, die obigen Beispiele der Leiteratur sind für mich ein Ausdruck, dass sich diese eben nicht so einfach unterdrücken ließ !

Verblüffend ist z.B. dass es in Preussen, nachdem die Frauen sich aktiv an der Revolution beteiligten, 1848 ein Versammlungsgesetz erlassen wurde, das Frauen, Schülern und Lehrern verbat, politische Organisationen beizutreten. Kein Wunder, dass die Neurasthenie oder auch Hysterie eine reine Frauenkrankheit war.
Gruss von Steffi

:lesen:
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Re: Leserunde: AS Byatt - Besessen

Beitragvon JMaria » Do 2. Aug 2012, 10:05

Hallo Steffi,

hier auf BBC Radio kann man sich ein Interview mit AS Byatt von 1991 über Possession anhören:

http://www.bbc.co.uk/radio4/features/de ... y/b9c50927
Schöne Grüße, Maria
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