Zurück zu neuere Bücher Zurück zu Buchbesprechungen Juni 2002
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Johansen, Hanna
Lena:
Inhaltsangabe:
Die Geschichte selbst ist schnell erzählt, Lena - 79 Jahre alt - ist die einzige ihrer Schwestern, die noch übrig ist. Nur sie kann Ihrer Nichte Phia noch das letzte Familiengeheimnis mitteilen. Schon früh ist klar, worum es sich dabei handelt. Aufgerollt werden die Lebensumstände, die Beziehungen, die schönen und weniger schönen Begebenheiten aus Lenas Leben - und wie sie sich damit arrangiert hat.
Meine Meinung:
Wie bei der Kurnovelle, muss ich auch hier differenzieren zwischen Inhalt und Sprache.
Der Inhalt entspricht dem Bild, dass mir meine Mutter und Tante ( 72/79) vermitteln. Lena
ist eine eigenständige Person. Sie hat sich 'Ihr' Leben zurechtgezimmert, sie ist sich
selbst genug, sie macht nichts, weil man es so macht, sondern so, wie sie es für richtig
hält. Für mich eine starke
Persönlichkeit, die sich im Leben zurecht findet und damit arrangiert hat, daß das Leben
zu der Zeit halt so war.
Der Stil - wieder sind immer nur Bruchstücke zu erfahren - hier ein Erzählstrang - darin
wieder ein neuer - und danach der Verweis auf das eigentliche Thema - und wieder zurück,
springen zwischen Vergangenheit und näherer Vergangenheit und Gegenwart. Ob man so denkt,
wenn man älter wird? Ich könnte es nachvollziehen, das Bild rundet sich ab. Hier wird
diese Art der Sprache nicht so fremd, wie bei der Kurnovelle - sie paßt für mich, weil
Lena alt ist. Sie denkt zurück - sie bezieht sich auf die Gegenwart - so wie ich es mir
für dieses Alter vorstellen kann, bei der jungen Frau aus der Kurnovelle ist mir das
nicht so klar.
Und doch - hatte ich mir natürlich wieder ein 'echtes' Ende versprochen. Eine Antwort auf
die Frage: Wie geht Phia mit den Neuigkeiten um ? Aber das Buch mit offenem Ende - wird
Phia die Neuigkeiten wirklich einmal erfahren? - paßt. Wahrscheinlich will wieder 'mal
nur ich, in meiner Naivheit, eine Lösung, die es nicht geben kann. Das Denken wird mir
nicht abgenommen.
Hier ein amazon-Auszug aus dem Buch, damit die Art der Sprache klar wird: Um vier will sie
hiersein. Mit dem Zug, sagt sie. Nicht daß sie kein Auto hätte. Autos sind zum Fahren
da, sage ich. Ach, Lena, sagt sie. Sie weiß, daß ich alles über die Klimaveränderung
weiß, und ist so lieb, mich nicht daran zu erinnern. Wie spät? Noch nicht mal eins, Zeit
genug, den Tisch zu decken. Hier vorne in der Veranda, wo sie so gern sitzt und auf die
Straße sieht. Zwetschgenkuchen hat sie sich wieder gewünscht, wenn's geht, hat sie
gesagt, und Zwetschgenkuchen geht heutzutage sogar im November. Daß sie ausgerechnet am
zwölften kommen will, wundert mich. Ich glaube, sie weiß gar nicht, daß das Ludwigs
Geburtstag ist. Ich habe es ihr jedenfalls nie gesagt. Nicht mal fünfundneunzig, als sie
bei mir gewohnt hat. Ein ganzes Jahr mit Phia, das habe ich mir oft gewünscht. Und es ist
so schön gewesen. In dem Jahr habe ich mir überlegt, ob ich sie mitnehmen sollte auf den
Friedhof, weil es sein Sechzigster war. Mein kleiner Bruder, mit achtundvierzig. Er ist
immerhin ihr Onkel. Aber wir hätten damit rechnen müssen, seiner Witwe in die Arme zu
laufen, und das wollte ich ihr ersparen. Schließlich weiß sie nichts über all die
Vorwürfe, die in der Luft liegen, und was soll ich sie damit belasten. Habe ich gedacht.
Vielleicht war das falsch. Wir müssen darüber reden, wenn sie kommt. Kalt war es heute,
so früh am Morgen. Aber ich friere nicht nur morgens, und der Friedhof ist immer windig,
im November erst recht, wenn das ganze Laub schon unten ist. Früher hat mir diese
Jahreszeit gefallen, aber jetzt wird es glatt mit all den nassen Blättern. Ich gehe
trotzdem zu Fuß. Lächerlich käme ich mir vor, in einem Taxi. So viele Krähen wie heute
morgen sind sonst nie dagewesen. Krähen wie früher, wenn ich den langen Weg auf der
Heerstraße in die Schule gegangen bin. Und genauso laut. Oben in den Eichen hatten sie
ihre Nester. Erst in der vierten Klasse habe ich keine Angst mehr gehabt vor ihnen. Da ist
Lotte auch in die Schule gekommen. Die hat von Anfang an keine Angst gehabt, weil ich
dabei war. Immer muß ich mit Lena gehen, hat sie gejammert, hier, in dieser Küche. Die
hat neunundzwanzig natürlich noch ganz anders. (Sabine Daumer)
Bewertung: * * *
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)
Infos: Hanser Belletristik, HC, 14,95Euro ca 150 Seiten