Joe und Clarissa führen eine glückliche
Ehe. An einem Tag jedoch gerät die Idylle gehörig ins Wanken,
als Joe zufällig ein Ballonunglück beobachtet und beherzt
eingreift. Ebenso wie ein paar andere Helfer, unter ihnen Jed
Parry, ein junger Mann, der seither Joe nicht in Ruhe lässt. Er
terrorisiert ihn mit Telefonanrufen, Briefen und stellt ihm nach,
weicht ihm nicht von der Seite. Er liebt Parry seit er ihn das
erste Mal gesehen hat und glaubt fest daran, dass Joe ihn genauso
liebt. Parry leidet an Liebeswahn. In kürzester Zeit reißt diese
Situation eine Kluft zwischen Joe und Clarissa und Parry droht
ihre Ehe zu zerstören oder gar ihr ganzes Leben...
Meine Meinung:
Ian McEwans Erzählweise, hat mich von der
ersten Sekunde an mit Beschlag belegt. Mehr noch: sie hat mich
fasziniert. Niemanden sonst kenne ich, der derart schreibt. Es
fehlt mir völlig an einem Vergleich; vielleicht nicht
verwunderlich, denn McEwan setzt selbst Maßstäbe.
Das Besondere an seinem Stil zu
beschreiben, ist schwer. Schon auf den ersten Seiten nimmt er sich
künstlerische Freiheiten heraus. So zelebriert er beispielsweise
die Ausgangsszene. Also den Moment, an dem für Joe -
Ich-Erzähler und somit Hauptfigur - alles anders wird. Der
Wendepunkt in seinem Leben. Hier hält der Autor für einen kurzen
Augenblick das Geschehen an. Standbild sozusagen. Als Leser kann
man nun die Möglichkeit nutzen sich in der Handlung umzuschauen.
Die Szene aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und mit Joe
ein wenig darüber lamentieren, was dort geschieht, warum es
geschieht und welche Folgen es haben wird oder haben könnte. Ein
eigentümliches Gefühl als Leser derart in eine Handlung
integriert zu werden. So fühlte es sich zumindest für mich im
Moment des Lesens an.
Eine weitere Extravaganz liegt sicher
darin, dass McEwan zahlreiche naturwissenschaftliche Aspekte
einfließen lässt, die nicht dringend für die Handlung benötigt
werden. Diese flicht er dennoch mit Fug und Recht ein, denn Joe
ist Naturwissenschaftler. Vollkommen verständlich also, dass er
sich vieles auf die ihm gegebene Art versucht zu erklären oder
sich ganz einfach in seinem alltäglichen Leben damit
beschäftigt. Die Kunst des Autors besteht hier viel mehr darin,
diese sachlichen, trockenen, wissenschaftlichen Erkenntnisse so
einzubinden, dass sie sich mit Joes persönlichem Desaster
verbinden. Denn zunächst einmal hat das, was Joe hier durchlebt,
keinen Bezug zu den erörterten wissenschaftlichen Thesen. Nahezu
elegant wirkt das Ganze im Hinblick auf Joe als Person: er ist
Rationalist durch und durch. Das, was er hier erlebt, erschüttert
seinen rationalen Geist aufs Äußerste. Und hier schließt sich
dann der Kreis. Ein Geniestreich, die naturwissenschaftlichen
Vergleiche und Sinnbilder einzubauen, um Joes rationale
Persönlichkeit, gemessen an der hier durchlebten Situation, auf
den Prüfstand zu stellen.
Ein weiteres Kunststück McEwans besteht
darin, die physikalischen, chemischen und biologischen
Erläuterungen so zu schildern, dass sie den Leser nicht
langweilen. Im Gegenteil, trotz dass die Geschichte so spannend
ist, wartet man schon ungeduldig und wissbegierig auf den
nächsten Ausflug in die Welt der Naturwissenschaften.
So verbindet der Autor Spannung mit
lehrreichem Material und packt das Ganze in eine wunderschöne
Sprache, bei der man ins Träumen geraten kann. Dass man dieses
komplexe Buch nicht einfach so in einem Rutsch weglesen kann - das
erging zumindest mir so -, da das Gelesene viel Aufmerksamkeit
erfordert, stört nicht. Umso länger hat man etwas von diesem
schieren Lesegenuss und umso intensiver wird er.
Welch akribische Recherche dem Roman
vorausgegangen sein muss, lässt das zum Schluss angefügte
Literatur- und Quellenverzeichnis erahnen. Joe würde solch eine
präzise Arbeit sicher zu schätzen wissen. Er hätte sich keinen
besseren „Schöpfer“ als Ian McEwan wünschen können.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass
auch das Ende eine Überraschung verbirgt, die McEwan gelungen
ist! Das Buch wird mir unvergesslich bleiben und ich bin schon
unglaublich neugierig auf alle anderen Romane dieses Autors, von
denen es glücklicher Weise einige gibt, deren Inhaltsangaben sich
eine interessanter liest als die andere! (Petra)