Zurück zu neuere Bücher Zurück zu Buchbesprechungen August 2001
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Mahrendorff, C. S.
Und sie rührten an den Schlaf der Welt:
Inhalt / Meine Meinung:
Ungewöhnliche Spannung, dichte Atmosphäre und überzeugendes Zeitkolorit, eine Fülle
von historischen Personen, eine Liebesgeschichte und eine hochbrisante Kriminalaffäre -
all das vereinigt der junge deutsche Autor C.S. Mahrendorff in seinem Debütroman.
Sein Buch ist das vielschichtige Epos des Fin de Siècle, das Europa in seinen letzten
Walzertaumel versetzt. Literatur, bildende Kunst und Musik erleben neue Höhepunkte,
Psychoanalyse, Traumdeutung und okkulte Strömungen bewegen die Gemüter. Sigmund Freud
etabliert sich in Wien, Gustav Mahler feiert in Hamburg Triumphe. Gleichzeitig beginnt die
k.u.k. Monarchie zu zerfallen, und die ersten antisemitischen Ausschreitungen werfen einen
dunklen Schatten auf die Kaffeehausidylle der Donaumetropole.
In dieser Zeit des Umbruchs begegnet der Wiener Internist und Nervenarzt Dr. Leonhard
Heydinger anlässlich eines Sommerurlaubs auf der Insel Elba einem mysteriösen
Engländer, der in Begleitung einer schillernden jungen Frau ist. Heydinger, der in den
Literatenkreisen »Jung-Wiens« verkehrt und im gastfreundlichen Salon der aufstrebenden
Sopranistin Lena von Rother und ihres Vaters ein- und ausgeht, gerät zusehends in den
Bann des Fremden, den er in Wien wiedertrifft.
Als der Mann eines Tages plötzlich in seiner Sprechstunde erscheint, entpuppt er sich als
kokainsüchtiger Amateurdetektiv, den neben einer unglücklichen Liebe vor allem eines an
Wien bindet: die finsteren Machenschaften der Geheimgesellschaft »Die Schwarze Hand«.
Deren Erpressungen, die vornehmlich jüdischen Musikern gelten, ziehen in der
Donaumetropole ihre unheilvollen Kreise. Als sie sich auch auf Deutschland auszuweiten
beginnen und sogar Gustav Mahler, den Ersten Kapellmeister des Hamburger Stadttheaters,
bedrohen, kommt man den Drahtziehern des Verbrechens allmählich auf die Spur...
Dieser furiose, sprachlich herausragende Roman ist ein faszinierendes
gesellschaftskritisches Kulturpanorama der Jahrhundertwende im Gewande eines großen
Spannungs- und Kriminalromans. Darüber hinaus zeigt der Autor Persönlichkeit und Wirken
Gustav Mahlers in neuem Licht und entwirft ein packendes Porträt jener Legende des
Viktorianismus, die den modernen Detektivmythos begründet hat. Vor allem aber erfährt
der Leser in kaum einem anderen Werk der heutigen Belletristik derart viel über die
Voraussetzungen für den Lauf der Geschichte in unserem Jahrhundert. Er kann sich dem Sog
der Erzählung nicht entziehen und ahnt gleichzeitig, wie es zu jener Entwicklung kommen
konnte, die Europa schließlich in den Abgrund stürzte... (Urs Heinz Aerni)
Der Verfasser dieser Rezension betreibt auch im Internet mehrere eigene Projekte. Schaut doch mal hier rein!
Bewertung: * * * *
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)
Info: Roman. 495 S. Fischer-Taschenbuch