Hallo zusammen,
Steffi, dass auch Dir das Hörspiel zu
Judith Schalanskys "Der Hals der Giraffe" so gut gefällt, und Du die Atmosphäre so toll getroffen findest, lässt meine Vorfreude auf das Hörspiel noch mehr steigen. Ich bin sehr gespannt, wie dieses tolle und eigenwillige Buch umgesetzt ist.
NatiFine, das ist ja toll, dass Du die nächste Zeit mit
"Anna Karenina" frühstückst.
Ich stimme Dir absolut zu, dass es eine runde Sache ist. Richtig, um das Buch, und vor allem den Menschen Tolstoi (in Lewin steckt sehr viel von ihm selbst, und seinen Gedanken über das
richtige Leben und den Tod) in seiner Gesamtheit zu verstehen, genügt dieses Hörspiel nicht. Wer sich aber mit dem Hauptthema des Romans (Ehe, Untreue) befassen möchte, findet hier eine sehr umfangreiche und stimmige Umsetzung des Romans. In Anna Karenina spiegelt sich das Thema in Hinblick auf eine untreue Ehefrau. In Stiwa spiegelt sich das Thema in Hinblick auf einen untreuen Ehemann. Während Anna gesellschaftlich geächtet wird, kräht kein Hahn danach, was Stiwa treibt. Und auch Wronski kann unbelligt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, obwohl er Anna zur Untreue verführt hat, und mit ihr in ungeordneten Verhältnissen lebt. Diese Fäden sind alle aufgegriffen. Und somit findet sich in dem Hörspiel das Hauptthema des Romans bestens wieder.
Freut mich, dass Du es auch so stimmig umgesetzt findest, NatiFine. Es beschwört dieselbe Atmosphäre herauf, wie der Roman. Finde ich ganz toll gelungen. Und die Rollen sind wirklich alle ausgezeichnet besetzt.
Zu Alexej Alexandrowitsch Karenin: Er ist eine komplexe Figur, die manchmal recht einseitig wiedergegeben wird. Ich kenne die Verfilmung mit Sophie Marceau, die mir sehr gut gefallen hat. Aber einer Figur wie des Alexej Alexandrowitsch Karenin kann der Film nicht gerecht werden. Karenin ist in seiner Überkorrektheit kleinlich, und emotionslos. Er flüchtet sich in Sachlichkeit und Nüchternheit, um kein Gefühl zuzulassen. Daran krankt auch seine Ehe. Seine Art macht Anna empfänglich für die Leidenschaftlichkeit, mit der Wronski sie begehrt. Zudem steckt in Karenins Überkorrektheit auch viel Scheinheiligkeit. Da er in seinen Augen immer ein überaus korrektes Verhalten an den Tag legt, macht er in seinen Augen alles richtig. Dabei ist er nur unmenschlich, gefühllos und bigott. Denn hinter Gottes Willen versteckt er sich feige. Belügt andere und sich selbst, dass er Anna gegenüber gern großmütig wäre, dies aber vor Gott nicht kann. Seine eigenen hohen moralischen Ansprüche rechtfertigt er durch Gottes hohe moralische Ansprüche an die Menschen. Hierbei vergisst er aber, dass er nicht Gott ist, sondern Mensch. Und ihm das Menschliche abhanden kommt. Dann wiederum, als der Leser schon denkt, er habe Karenin zur Gänze durchschaut, wird er auf einmal doch menschlich. Als Anna nach der Geburt beinahe stirbt und ihn um Verzeihung bittet. Zunächst führt er nur aus, was er als guter Christ muss. Doch dann zeigt er wahre Menschlichkeit. Da wird er für einen Moment sympathisch. Anschließend verhärtet er sich wieder, und lässt sich durch Intriganten beeinflussen. Das zeigt sich, als Anna ihren Sohn besuchen möchte, und er es ihr schon fast gewähren will, sich aber von bösen Zungen beeinflussen lässt, dass das unmoralisch wäre. So fällt er in seine früheren Überzeugungen zurück. Wieder ist es nicht er selbst, der das entscheidet, sondern er lässt sich beeinflussen. Diesmal versteckt er sich nicht hinter Gott, sondern einer anderen verlogenen Moralistin. Er hat kein Rückrat, und braucht immerzu Rechtfertigungen für sein Verhalten, um bloß nicht sehen zu müssen, dass er eine Wahl hat, und um bloß nicht selbst entscheiden zu müssen.
Diese Komplexität wird im Film sicher aus Zeitgründen gern vernachlässigt. Das ist natürlich schade, denn Karenin war für mich sehr interessant zu beobachten, während ich den Roman las.
Du siehst: Mich fasziniert der Roman „Anna Karenina“ in all seinen Facetten, und ich bin froh, das Buch gelesen zu haben.