Hallo zusammen,
ich habe gestern noch einiges gelesen. Nun mal zu meinen Eindrücken. Allgemein kann und möchte ich sagen, dass ich mich sehr gut unterhalten fühle und in Faithful Place gut eintauche. Ein Ranking kann ich weiterhin nicht erstellen. Für mich haben zur Zeit noch alle 3 Bände ihren ganz eigenen Reiz. Mal sehen, wie das abschließend sein wird, oder ob es sich zwischendurch mal abzeichnet.
Kapitel 3:Eine Mischung aus Rückblende - der Tag vor Rosies Verschwinden. Franks letzte Szene mit ihr. Und der Besuch bei den Dalys, um ihnen von dem Fund des Koffers zu erzählen.
Die Rückblende ist, wie man es aus Tana Frenchs Prologen kennt, blumig und üppig erzählt. Sie mag Figuren, die etwas jugendliches oder kindliches haben. Das schmückt sie gern aus. Das kann sie. Sie erzeugt immer so einen Hauch von Unwirklichkeit, so dass man merkt, dass das Szenen aus der Vergangenheit sind.
Sie greift das Thema Kindheit und kindlich sein auch in der Gegenwart auf. Wenn die erwachsenen Mackey-Kinder auf der Treppe hocken und sich in ihre Jugend zurück versetzt fühlen (in Kapitel 2). Tana French spielt mit diesen Dingen gern - auch schon in den vorherigen Bänden. Das macht sie auch immer sehr treffend. Und es ist etwas für ihre Bücher typisches.
Für mich mischt sich in die Authentizität an den Stellen aber auch immer was leicht märchenhaftes. Das stört mich nicht - überhaupt nicht. Zumal es auch so bildhaft beschrieben ist und etwas im Leser auslöst. Aber da Du, liebes Binchen schriebst, dass Dir ihre Szenen immer so glaubhaft erscheinen, wollte ich meine Sichtweise darauf hier schildern.
Sie kann einfach diese Bilder sehr stark zeichnen und heraufbeschwören. Sie spielt mit Elementen unserer Kindheiten, und lässt uns sagen: Ja, so ist es! Aber beim näheren Hinsehen finde ich die Szenen auch verklärt. Nicht in dem Sinne, das in den Kindheiten dort alles rosig wäre. Ist es ja nicht. Aber im Sinne der Erinnerungsbilder. Die Frische, das drum herum. Aber genau das macht es bei ihr aus, finde ich. Denn dadurch ist es intensiv. Und bei mir eine Mischung zwischen authentisch und märchenhaft verklärt. Wir Erinnerungen halt oft sind.
Was Frank und die harte Schale und Männer im Allgemeinen angeht, so verstehe ich was Du meinst, liebes Binchen. Männer tragen ja gern diese raue Schale zur Schau. Und man könnte vermuten, da ist kein weicher Kern drunter. Keine so starken Emotionen. Da die Männer das oft verstecken. Aber das ist glaube ich ein Trugschluss. Die Männer sind emotional wohl oft einfach
undercover!

Ich selbst habe Männer schon erlebt, deren harte Schale aufgeplatzt ist. Und die vollen Emotionen herausbrachen. Emotionen, zu denen wir Frauen auch in der Lage sind. Nur zeigen wir es öfter. Somit ist Frank sowieso mit seinen starken Gefühlen für Rosie glaubhaft. Ich verstehe aber auch, dass es für Dich nicht so selbstverständlich ist, ihm das abzunehmen. Und dass Du umso überraschter bist, warum Du es Tana French glaubst, wenn sie von Franks Innenleben erzähltst.
Binchen hat geschrieben:Bisher habe ich oftmals Männern diese heftigen Gefühle abgesprochen, ihnen diese nicht zugetraut - Frank, der mit der harten Schale und den Sprüchen, dem glaube ich sie - wie macht Tana French es, dass es mir nicht so unglaubwürdig vorkommt, wie z.B. in der Landkarte der Zeit?
Zwischen diesen beiden Büchern würde ich nie versuchen Parallelen zu ziehen. Denn Felix J. Palma hat in "Die Landkarte der Zeit" alles übertrieben. Für mich war seine Geschichte an keiner Stelle ernst zu nehmen. Dass somit die überbordenden Gefühle des Protagonisten nicht so glaubhaft erscheinen, gehört für mich zum Bild. Palma überspitzt seine Szenen absichtlich und diese Brise
zu viel macht für mich genau den Charme darin aus. Ein Heidenspaß - den hingegen Tana French gar nicht liefern möchte. Ein sattes Bild - ja. Aber schon möchte sie ihre Geschichte auch ernstgenommen sehen. Auch sie überzeichnet gern mal - siehe meine Ausführungen zu den Rückblenden oder dem inneren Kind in Erwachsenen. Aber nicht um etwas ad absurdum zu führen, sondern um die Atmosphäre zu verdichten. Deshalb ergibt sich für mich von allein, dass die Szenen und Figuren glaubhafter sind. Wie gesagt: versuchen sie zu vergleichen würde ich gar nicht.
Also streiche ich aus meiner Antwort auf Deine Frage "Die Landkarte der Zeit" und hoffe, dass ich meine Eindrücke, warum Tana French immer so intensive, und doch irgendwie glaubhafte Bilder zeichnet, sich aus meinen Ausführungen zu ihren Stilmitteln und Eigenheiten gut zum Ausdruck habe bringen können.
Zu der Szene bei den Dalys: Franks Trick mit Fifi fand ich einfach genail! Und auch wieder so glaubhaft geschildert. Toll!
Kapitel 4:Das Wiedersehen mit Mandy. Das war auch wieder sehr gut getroffen. Und was mit Imelda los ist, frage ich mich auch. Irgendwas muss die beiden ja voneinander entfernt haben. Ob es was mit Rosie zu tun hat? Es deutet nichts darauf hin. Aber als geübte Krimi-Leser vermuten wir das natürlich trotzdem, nicht wahr, Binchen?

PS: Ich spreche extra nur Binchen an, da sie ja die Beiträge zu den einzelnen Kapiteln eröffnet und jeweils was dazu geschrieben hat. Falls jemand anderes einhaken möchte, so freue ich mich natürlich! Fühlt Euch also bitte alle angesprochen!
Kapitel 5:Ja, die Szenen mit Kevin fand ich auch gut geschildert. Und für einen Krimi-Leser auch ein bisschen amüsant, wie er ihn insgeheim (natürlich nur im Scherz) als Team-Mitglied betrachtet.

Und die Szenen in Haus Nr. 16 sind schaurig. Das zerfallene Haus ist sehr gut geschildert. Auch dass es in Franks Jugend Umschlagplatz für alles möglich war: Alkohol, Drogen, Sex. Und wie er sich über diesen Reiz mit Kevin streitet, der darin nur Langeweile sieht.
Da sind wir wieder bei dem Thema Kindheit. Darin kennt Tana French sich aus. Somit kann man sich auch diese Szenen wieder sehr gut vorstellen und ausmalen - ja, sogar spüren. Das ist ihre Stärke.
Dein Frank McCourt-Feeling kann ich hier natürlich nicht beurteilen. Aber ich kann mir schon gut vorstellen, dass viele der hier gezeichneten Bilder auch in Frank McCourts Roman so ähnlich sind. Zum einen glaube ich, dass es einfach typisch Irland ist. Allein schon, weil "Die Asche meiner Mutter" ja autobiografisch ist. Andererseits wird man auch das Gefühl manchmal nicht los, Klischees aufgezeigt zu bekommen, wenn Tana French diese Bilder hier benutzt. Aber ich finde klischeehafte Schilderungen oft nicht so negativ wie andere. Denn für mich liegt in jedem Klischee auch viel Wahrheit. Und oft ist es einfach realistischer das Klischee zu bedienen, als unbedingt eine konträre Schilderung anzustreben. Zumal das manchmal gestellter und bemühter wirkt, als das Klischee selbst. Das ist ein bisschen ähnlich wie die Bekannten, die damals (in meiner Jugend und meinem beginnenden Erwachsenenleben) unbedingt nicht spießig sein wollten. Sie waren so bemüht anders, dass es viel weniger mit dem eigenen Willen zu tun hatte, als das, was der vermeidliche Spießer tat. Ein vermeidlicher Spießer hat sich vielleicht einfach ein normales Leben gewünscht. Die Rebellen haben möglichst alles anders gemacht, ohne zu hinterfragen, ob dieses Andere unbedingt das ist, was sie wirklich wollen. Hauptsache es ist anders. Und wenn ich heute schaue, leben diese Menschen meist am allerspießigsten.

Deshalb habe ich manchmal lieber das ein oder andere Klischee.
Für mich zeigt Tana French immer, dass sie nicht einfach gedankenlos schreibt, wie sie meint, wie die Welt aussieht. Sondern manchmal blitzt auf, wie wachsam sie ist. In Details. Z. B. dass sie nie vergisst, dass Frank von der Undercover-Abteilung ist. Dass ein Kollege (auch aus einem anderen Dezernat) ihn absichtlich nicht erkennt, weil man ja nie wissen kann, ob er gerade im Einsatz ist. Für solche wachen Details mag ich sie ungemein. Das gibt dem Leser das Vertrauen, hier was Echtes zu bekommen und somit das Klischee auch viel Wahrheit ist. Denn das, was bei Dir das Frank McCourt-Feeling ist, ist bei mir der gelegentliche Gedanke: Na, ist das nicht etwas klischeehaft? Denn man erkennt in der Schilderung das, was man vom Leben in Irland allzu oft erzählt bekommt. Vielleicht bekommt man es aber genau deshalb so oft erzählt, weil es einfach so ist. Wissen kann ich das natürlich nicht. Aber wie gesagt, Frank McCourt traue ich da schon eine ziemlich realistische Schilderung zu. Er erzählt schließlich von dem, was er selbst erlebt hat, was er selbst um sich herum gesehen hat.
Kapitel 6:Hier tritt also Rocky auf. Ich hatte schon in einem anderen Thread gelesen, dass Du, Binchen, ihn als nächsten Protagonisten bei Tana French vermutest. Das könnte auf den ersten Blick definitiv so sein. Das würde passen: Vom Charakter her. Und von seinem Tätigkeitsfeld her. Und Morddezernat fände ich persönlich auch mal reizvoll. Wieder etwas normaler als Undercover oder Familiengeheimnis. Gut dass Tana French sich selbst nie abnutzt. So sehr man ihre Figuren auch später vermisst. Es ist gut, dass sie sie nicht wieder und wieder auftreten lässt. Sie verhindert, dass sie sich abnutzen. Und sie gibt dem Leser somit immer was Neues und was Gewohntes (ihren unverkennbaren Erzählstil).
Die Schilderung von Franks und Rockys gemeinsame Ausbildung und das gegenseitige Übertrumpfen ist amüsant. Man hat bei Tana French oft so ein verschmitztes Lächeln im Gesicht.
Und nun mal sehen, was Kapitel 6 noch so bringt.