Peter Wawerzinek: Rabenliebe

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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon steffi » Do 6. Jan 2011, 11:42

JMaria, wie schön, dass du Rabenliebe erkundest :D Ich dachte mir schon, dass dein Forschergeist am Anfang geweckt wird - die Bilder sind auch sehr poetisch.

Romantik - ja, ich kopiere hier mal einen Satz aus wikipedia:
Grundthemen der Romantik sind Gefühl, Leidenschaft, Individualität und individuelles Erleben sowie Seele, vor allem die gequälte Seele.

Wawerzinek ist auf der Suche nach Individualität, die ihm die Mutter geraubt hat und auch die "gequälte Seele" passt dazu. Das unterstreicht er ganz gut mit den Liedern und Gedichten. Auch ihm ist diese Welt verlorengegangen und er versucht sie mit diesem Mitteln wieder zu erwecken, nicht umsonst waren bei den Romantikern auch die Kunstmärchen und Volkslieder beliebt.

Als Gegensatz zur Romantik steht ja auch immer die Vernunft, das Rationale. Das bricht ja später über ihn herein, im zweiten Teil. Im Nachhinein denke ich, dass für ihn diese Kluft nicht zu überbrücken war, dass er auch gerne in dem romantischen, verklärten Teil verharrt.
Gruss von Steffi

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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon JMaria » Do 6. Jan 2011, 12:43

Hallo Steffi,

gequälte Seele - das trifft den Kern des Romans.

steffi hat geschrieben:
Als Gegensatz zur Romantik steht ja auch immer die Vernunft, das Rationale. Das bricht ja später über ihn herein, im zweiten Teil. Im Nachhinein denke ich, dass für ihn diese Kluft nicht zu überbrücken war, dass er auch gerne in dem romantischen, verklärten Teil verharrt.



ja, das würde ich bereits so sagen, obwohl ich erst 40 Seiten gelesen habe. Er verharrt im romantischen, es gibt ihm vielleicht den nötigen Halt.

neben der Romantik und dem Rationalen trifft man auch auf erschreckenden Expressionismus.....

Zitat:
Blut ist die Bühne in glänzenden Stoff gehüllt. Als blickte ich in den aufgerissenen Mutterbauch, die Mutterhöhle.


Der kleine Junge spricht mit 4 Jahren noch nicht. Ein innere Ablehnung zur "Mutter"sprache? Er spricht mit Vögeln; sein Lieblingsobjekt die blaue Meise.

Wie der Autor mit Sprache und Sehnsucht spielt gefällt mir. Es gibt viel zu entdecken.

Gruß,
Maria
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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon Rachel » Fr 7. Jan 2011, 19:46

Hallo Maria,

was Du über "Rabenliebe" scheibst, macht sehr neugierig, vielen Dank für deine tollen Eindrücke. Lesen möchte ich das Buch auf jeden Fall, ich bin mir nur noch unschlüssig, ob ich mir das HC gönne, oder brav auf das Taschenbuch warte. :)
Liebe Grüße,
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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon steffi » Sa 8. Jan 2011, 17:33

JMaria hat geschrieben:Zitat:
Blut ist die Bühne in glänzenden Stoff gehüllt. Als blickte ich in den aufgerissenen Mutterbauch, die Mutterhöhle.

Der kleine Junge spricht mit 4 Jahren noch nicht. Ein innere Ablehnung zur "Mutter"sprache? Er spricht mit Vögeln; sein Lieblingsobjekt die blaue Meise.


Zwei gute Zitate - hier werden auch meine Vorbehalte deutlich, mir war das stellenweise einfach zu viel, zu deutlich, aber natürlich geht der Autor mit sich selbst und seinen Erinnerungen und Erwartungen auch nicht gerade zimperlich um ;)
Gruss von Steffi

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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon JMaria » Di 11. Jan 2011, 16:20

Hallo Steffi,

kennst du den Video-Clip des Autors?

http://www.wawerzinek.de/

er spricht u.a. davon dass "das Vergangene wie eine Märchengrotte" ist. So schreibt er auch. Sehr lyrisch-märchenhaft.

Interessant sind die Ohnmachtsanfälle des Kindes. In der Episode mit der Lehrerin die ihn aus der Klasse nimmt und ihn minutiös betrachtet, - eine unglaublich lange Szene für den Leser, - spricht das Kind von "Ankerung". Was mir bestätigt, dass der Erinnerung nur sehr vorsichtig genähert werden darf.

Ich trage einen dunklen See inmitten meiner Seele; der ist so tief und schwarz und unberührt. (S. 91)

Gruß,
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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon steffi » Mi 12. Jan 2011, 10:37

Danke, das Video kannte ich noch nicht, nur ein Videointerview mit ihm. Toll und sehr passend gemacht !

Mich haben ja ein paar Kleinigkeiten an dem Buch gestört, dieses für mich zuviel an Metaphern und auch ein bißchen, dass er sich weigert, seine Haltung anzupassen oder es nicht schafft, auch ein bißchen Gutes irgendwo zu sehen. Daher kam es nicht auf meine Top-Liste. Aber wenn ich es, sozusagen mit dir, noch einmal erlebe, stehen mehr die großartigen Dinge im Vordergrund !
Gruss von Steffi

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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon JMaria » Do 13. Jan 2011, 17:11

steffi hat geschrieben: Mich haben ja ein paar Kleinigkeiten an dem Buch gestört, dieses für mich zuviel an Metaphern und auch ein bißchen, dass er sich weigert, seine Haltung anzupassen oder es nicht schafft, auch ein bißchen Gutes irgendwo zu sehen. Daher kam es nicht auf meine Top-Liste. Aber wenn ich es, sozusagen mit dir, noch einmal erlebe, stehen mehr die großartigen Dinge im Vordergrund !


Hallo Steffi,

ich habe nun ca. die Hälfte des Buches gelesen und ich bin schon gespannt, wie der Autor an das Ende der Geschichte rangeht.

Denn wie du es bereits erwähnst, hängt er den Erinnerungen nach und verklärt schon mal gerne die Heimzeit des Knaben, obwohl sie ja nicht nur schön und gut war... (Ich war das Heimkind. Ich war so frei im Heim, unendliche Wochen, Monate, Jahre in kindliche Seligkeit... (S. 208), verteufelt seinen Aufenthalt bei den "Adoptionseltern" (sein Begriff) ... Ich möchte ausbrechen und sitze in ihrer Botschaft als alleinige Geisel... (S. 182)...... Ich gebe zu, wenn man über diese Adoptiveltern liest, stehen einem schon die Haare zu Berge (zuanfangs im elterlichen Bett untergebracht, kein Einfühlungsvermögen in eine Kinderseele usw...)

Probleme habe ich die Grenze zwischen Kindheitserinnerungen und den Erwachsenensuaden zu unterscheiden....

Er beschreibt die Großmutter und ihren Kartoffelbrei, die Kartoffel wird seine Weltanschauung ... Der Mensch ist eine Kartoffel.. (S. 204), in der Aufzählung der Kartoffelsorten mogelt sich auch die genmanipulierte Kartoffel darunter, und ich glaube nicht, dass das ein Thema der 60iger Jahre war. ... :?:

Der Autor überspitzt manche Metapher ... ...Die Erinnerung ist ein Bürgersteig..(S. 206)...... denen ich ehrlich gesagt skeptischer gegenüber stehe als den Reimmonologen, die er einflechtet.

Und manchmal muß ich schmunzeln wenn er übertreibt und schreibt... Die Zeit frisst ihre liebsten Kinder.. (S. 214).. , darin sehe ich den Gedanken abgewandelt von diesem bekannten Zitat "Die Revolution frisst ihre Kinder"... ;) Was für eine Übertreibung seitens des Autors.

Wenn der Knabe nicht mit seinen Erinnerungen abschließt und aussöhnt, dann bezweifle ich, ob er als Erwachsener mit dem Leben fertig wird.... und das Leben zu einem fortdauerndem Davonlaufen wird.... Ich nehme dem Jungen gleich, der ich gewesen bin, meine Beine in die Hand und laufe fort. Besser gesagt, ich laufe immer noch, das ganze Leben hindurch laufe ich ständig von mir fort, will raus aus diesem Bild.... (S. 219) .

mich würde interessieren ob hier der Autor autobiographisch schreibt oder nicht. :?: Für den Künstler könnte das beständige Fortlaufen und die leidvolle Erfahrung eines Heimkindes vielleicht wie eine Inspiration funktionieren. (Bei Schiller waren es faulende Äpfel ;) ) . Für den Menschen selbst wäre es heilsamer, irgendwann irgendwo anzukommen, am besten bei sich selbst.

na mal sehen, wie die Geschichte für den Knaben als Erwachsener endet.

Gruß,
Maria
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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon steffi » Fr 14. Jan 2011, 12:34

Ja, du hast Recht - es ist nicht immer herauszufinden, welche Perspektive gemeint ist bzw. vielleicht ist es auch absichtlich so. Die überspitzten Metaphern fand ich auch manchmal gewöhnungsbedürftig, aber ich denke im nachhinein, es liegt vielleicht daran, dass er die Zeit und die Begebenheiten so komprimiert, er hält sich doch an einzelnen Erlebnissen lange auf.

Ich bin gespannt, was du zu dem zweitenTeil sagst - mir hat er das Buch ein bißchen vermiest, weil die eigene Nabelschau mir zu gründlich war. Aber mit etwas Abstand kann ich es dann doch nachvollziehen.

Ach, die Kartoffel ist mir gar nicht aufgefallen - du liest einfach aufmerksamer als ich !
Gruss von Steffi

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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon JMaria » Di 18. Jan 2011, 10:50

Hallo Steffi,

ich bin mit "Rabenliebe" durch.
Es hinterlässt mich ratlos. Den 2. Teil habe ich nicht so gerne gelesen wie den Teil zuvor. Wenn die lyrische Sprache nicht gewesen wäre, hätte ich vermutlich aufgehört. Das hielt mich dann doch zurück aufzuhören.

Die Figur im Buch kippt wirklich im 2. Teil sein Innerstes nach Außen. Es geht hauptsächlich um seinen Körper (Leberflecken, Muttermale, Krokodil in seinem Bauchraum usw.)

Was mich ungemein störte, waren seine kindlichen Äußerungen als Erwachsener, so z.B. ist die Heimleiterin Schuld, dass seine Erinnerungen korrigiert wurden . Nach 40 Jahren zerstörte die Heimleiterin seine "Sonne".

anderes Beispiel... Zitat:....Der Westen ist an mir schuldig geworden.

Schuld haben auch die "Adoptioneltern".

S. 313 Das irrtümliche Stück Erinnerung gehört rausgeschnitten, entfernt und verworfen.

Erinnerung gleich mit 3 negativen Adjektiven behandelt. Das ist mir alles zu plakativ. (Am Ende hat er seine Mutter aus der Danksagung verworfen, rausgeschnitten, entfernt. Sieht mir eher nach Bestrafung aus.)

Seiner Mutter sieht er das Böse im Gesicht an !
Das ist wie in einem Grimmschen Märchen. Klischee !

Er kann seine Erinnerungen rausschneiden, doch sie werden wie Phantomschmerzen dennoch da sein.

Selbstmitleid?
ein vom "aussterben bedrohtes Heimkind". !!! (War mir einfach zuviel)

"Ich meide die Psychotherapie. Es gibt keine besseren Verhaltensweisen und Therapien für mich. Ich bin die Waise gegen all die Bemühungen nicht reparabel".

oder frei nach Annett Louisan... " geh' mir weg mit deiner Lösung sie wär' der Tod für mein Problem ..." ;-)

also mir gefiel der 2. Teil nicht, weil ich der Figur nicht glauben kann, dass das Mutter"problem" überwunden ist.

Dennoch hat mich das Buch beeindruckt und eine Traurigkeit für das Kind im Buch hinterlassen.

Was mich u.a. noch störte, war, dass sein Schwester kaum Thema im Roman ist. Da findet er seine leibliche Schwester, doch man erfährt nichts über seine Gefühle, nur darüber, dass er seine Adoptionsmutter hinters Licht geführt hat.

Warum hält er sich hier zurück? Er - der sich nach eigener Familie sehnte?

Grüße von
Maria
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Re: Peter Wawerzinek: Rabenliebe

Beitragvon steffi » Di 18. Jan 2011, 11:20

Hallo JMaria,

du sprichst genau die Dinge an, die mich auch störten. Dass seine Schwester so gar nicht vorkommt ... dass er irgendwie seine Familie nur benutzen will, um das Buch fertig zu schreiben ... um als der Leidgeprüfte auftreten zu können ... seine Haltung zu den Adoptiveltern ...

Natürlich ist es ein Schock, wenn die Mutter so gar nicht seinen Erwartungen und Hoffnungen enspricht, aber er wertet das so schrecklich ab ... der gekaufte Kuchen z.B.

Die kindliche Perspektive, die er einsetzt und auch die ganzen körperlichen Gefühle passten irgendwie nicht zusammen. Ich fand es sehr schade, denn der zweite Teil hat eine negative Auswirkung auf den ersten Teil. Ich finde, man nimmt ihm auch die Ehrlichkeit nicht mehr ab.

Trotzdem ein intensives Leseerlebnis.
Gruss von Steffi

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