Tolstoi, Leo: "Auferstehung"

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Re: Tolstoi, Leo: "Auferstehung"

Beitragvon Barbara » Mo 24. Jan 2011, 07:23

Liebe Maria,

am Wochenende kam ich endlich mal wieder zum Lesen und habe ebenfalls den 2. Teil beendet. Mir ging es ähnlich wie Dir, aber nicht nur mit Nechliudows Gedanken, sondern mit der gesamten gesellschaftlichen und politischen Darstellungsweise. Aber nachvollziehen kann ich schon Vieles. Denn Tolstoi beschreibt im Grunde nichts Anderes, als den Moment im Leben, in dem man Verlogenheit, Doppelmoral und wahre politische Machenschaften und Zusammenhänge zu erkennen beginnt. In solchen Momenten ist ein Mensch sehr einsam und weiß nicht mehr, was er denken und tun soll. Man steht quasi vor dem existentiellen Nichts. Das ist nicht einfach. Erkennt man einen Bereich zieht es meist einen anderen Bereich nach, sodass es, wie hier zu einem Art moralischen Rundumschlag kommt.
Allerdings hat mich dieses ewige Hin und Her, was sicherlich sehr realsitisch dargestellt wurde, "genervt", bis es dann endlich zum Abtransport kam.
Gut finde ich auch die sehr ausfühlrichen und intensiven Charakterdarstellungen und Beweggründe der einzelnen Personen.
:lesen_und_nachdenken:
Liebe Grüße
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Re: Tolstoi, Leo: "Auferstehung"

Beitragvon JMaria » Do 27. Jan 2011, 10:07

Hallo Barbara


Barbara hat geschrieben: Denn Tolstoi beschreibt im Grunde nichts Anderes, als den Moment im Leben, in dem man Verlogenheit, Doppelmoral und wahre politische Machenschaften und Zusammenhänge zu erkennen beginnt. In solchen Momenten ist ein Mensch sehr einsam und weiß nicht mehr, was er denken und tun soll. Man steht quasi vor dem existentiellen Nichts. Das ist nicht einfach. Erkennt man einen Bereich zieht es meist einen anderen Bereich nach, sodass es, wie hier zu einem Art moralischen Rundumschlag kommt.



das hast du schön beschrieben !
Mit dieser Hilfslosigkeit sind wir ja auch gegenwärtig konfrontiert. Somit bin ich am Schluß der Geschichte angelangt und fühle mich allein gelassen, wie auch Nechliudow allein zurückbleibt.

Er resümiert über die Bergpredigt und im Grunde hat er recht; wenn alle Menschen, gleich welchen Standes, sich an diese Regeln halten würden, dann gäbe es diese Mißstände nicht.

Doch wie schwer es im Großen ist, sehen wir ja an den Zuständen, die weltweit herrschen.

"Auferstehung" empfinde ich als ein großes Werk mit erzählerischer Kraft, aber das Ende finde ich jetzt nicht gelungen. Ich glaube, Tolstoi wußte selbst nicht weiter.

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Re: Tolstoi, Leo: "Auferstehung"

Beitragvon Barbara » Do 27. Jan 2011, 14:41

Liebe Maria,

Du bist schon fertig. Bei mir dauert es noch ein bisschen. Ich komme erst abends oder am Wochenende zum Lesen. Leider. Das Buch hätte es verdient schneller gelesen zu werden. Aber ich brauche ja auch nicht mehr sehr viel. Ich werde dann auch Stellung zu Deinen abschließenden Gedanken nehmen.
:lesen_und_nachdenken:
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Re: Tolstoi, Leo: "Auferstehung"

Beitragvon JMaria » Fr 28. Jan 2011, 10:07

Hallo Barbara,

eilt überhaupt nicht. :-)

Grüße von
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Re: Tolstoi, Leo: "Auferstehung"

Beitragvon Barbara » Fr 28. Jan 2011, 17:07

Liebe Maria,

nun bin ich auch fertig und ich finde das Ende sogar gelungen und im Grunde kaum anders möglich. Passt es doch zu der Geschichte und damit auch zum realen Leben und dessen, was Tolstoi uns in seinen Werken sagen will – zumindest, wie ich seine Gedanken verstanden habe.

So wie ich das Ende verstehe, hat Nechliudow zum jetzigen Zeitpunkt seinen Seelenfrieden gefunden.
Tolstoi sieht aber, aus seiner eigenen schicksalhaften Erfahrung heraus, dass diese Zufriedenheit und das Bewusstsein der Wissenden zu sein, nicht von Dauer sein kann.
Wie heißt es in der Soziologie: Alles ist im Fluss! So auch unsere eigene Entwicklung, unser Denken, unser Fühlen und somit auch unsere Einstellungen.
Das ist auch wichtig und richtig. Es kann nicht sein (und wenn ist es nur partiell möglich), dass man eine getroffene Einstellung und Lebenshaltung ein Leben lang beibehält. Man muss auch für Entwicklungen offen bleiben, was nun nicht bedeuten soll, dass man sein Fähnchen nach dem Wind hängen soll.
Ich sehe es eher so, dass wir angehalten sind, ein Leben lang allem kritisch gegenüberzustehen, allem, was uns so angetragen wird, was wir erleben und was wir an Politischem und Religiösem erfahren. Nur, wenn wir kritisch überdenken und uns auch selbst kritisch gegenüberstehen, sind wir authentisch.

Daher wird es zwangsläufig so sein, dass Nechliudow, in einer neuen Phase seines Lebens wieder von vorne, allerdings auf einer höheren Ebene, zu denken beginnen und alles erneut in Frage stellen wird. Mag sein, dass er dann zu einem völlig neuen Schluss kommt – mag sein, dass er erkennt, dass sein eingeschlagener Weg noch immer der richtige ist – der richtige Weg für ihn selbst. Das wird und kann letztlich wirklich nur die Zukunft zeigen, da auch Vieles von seinen neuen Erlebnissen und Erfahrungen abhängen wird.

So deute ich den Schluss und, wie gesagt, ich finde ihn gelungen und sehr treffend.

Auch ich empfinde „Auferstehung“ als wichtiges Buch. Ein Freund von uns sagte zu mir, als er sah, dass ich das Buch gerade lese: „Da hast Du eine gehaltvolle Kost vor Dir. Ich habe damals, als ich es las, selbst meine Grundfeste in Frage gestellt und mein Leben völlig neu überdacht.“

Und genau das ist es, was Tolstoi bei uns Lesern erreichen möchte. Auch mich hat er in gewisser Weise, in bestimmten Lebensbereichen damit angesteckt und auch ich überdenke gerade in diesen Bereichen mein Leben völlig neu! Mag sein, dass ich erkenne, dass ich richtig liege. Mag sein, dass ich alles neu strukturiere. Auch das wird nur die Zukunft – meine persönliche Zukunft zeigen.
:lesen_und_nachdenken:
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Re: Tolstoi, Leo: "Auferstehung"

Beitragvon JMaria » Sa 29. Jan 2011, 12:12

Hallo Barbara,

ich finde es gelungen, wie Tolstoi die Protagonisten denken und handeln lässt. Weniger gelungen finde sein Resümieren über eine Art neue Ordnung. Du sprichst von Soziologie, das trifft es eigentlich auf den Punkt. Kurz und einfach zusammengefasst: das soziale Zusammenleben von Menschen in Gemeinschaften. Hier greift Tolstoi am Schluß auf die Bergpredigt zurück; gut und recht, denn sie ist eine bemerkenswerte Lehrrede, die ein großer Teil der Menschheit veränderte.

In "Auferstehung" spürt der Leser die Vorboten der Revolution; Tolstoi lässt seine Figuren auch von Revolution sprechen. Bleibt aber im Detail doch unkonkret. Diese Unsicherheit, vielleicht auch Ratlosigkeit, meine ich gegen Ende zu spüren, wenn er auf die Bergpredigt zurückgreift.

Aber vielleicht muß man das Zusammenleben ja nicht neu definieren! Vielleicht will Tolstoi das zum Ausdruck bringen.

Du hast mir auf jedenfall neue Gedanken gegeben, Barbara, und mich den Schluß nochmals überdenken lassen.

und ich kann dir nur zustimmen, dass wir Menschen uns weiterentwickeln und nicht stillstehen sollten.

Nechliudow und Seelenfrieden:
das habe ich auch so empfunden. Sein Bedürfnis zu lieben und eine Familie zu haben, hat mich doch berührt. Er hat eingesehen, dass er seine Bedürfnisse nicht vergessen darf, auch wenn er in der Vergangenheit Fehler gemacht hat. Sehr schön dazu die Schicksalssinfonie von Beethoven, die die Frau des Lagerkommandanten spielte.

hat mir viel bedeutet, dass ich mich mit dir austauschen konnte. :-)

Schöne Grüße
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Re: Tolstoi, Leo: "Auferstehung"

Beitragvon Barbara » Sa 29. Jan 2011, 12:57

Liebe Maria,

auch mir hat es viel Freude gemacht, mich mit Dir auszutauschen. Eventuell lesen wir ja bald wieder etwas gemeinsam!

Deine Gedanken über die Ratlosigkeit Tolstois kann ich ebenfalls unterschreiben. Diese gedankliche, schon fast seelische Ra(s)tlosigkeit durchzieht sein ganzes Leben. Dies wird vor allem in der Biographie Sofjas deutlich. Tolstoi ist ein Mensch, der scheinbar nie "Nichtdenken" kann. Da ich ebenfalls ein Mensch bin, dessen Gehirn nie schläft, kann ich diese "Ra(s)tlosigkeit gut nachempfinden - auch wenn sie sich bei mir in anderen gedanklichen Bereichen zeigt.

Es war wirklich schön, gemeinsam mit Dir gelesen zu haben. :P
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