Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Plattform zum Austausch über Bücher und Themen rund ums Buch.
Forumsregeln
Kommerzielle Einträge werden ohne Kommentar gelöscht!

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon steffi » Mi 10. Dez 2008, 10:19

Hallo Petra,

schön, dass du dich auf dem campus eingefunden hast. Ich mag Peter auch wirklich sehr gerne und hab erst einen Band geschenkt bekommen *freu* Ich hab mir die Bände bisher immer in der Bücherei ausgeliehen, so noble Vielfach-Bände, wie du sie hast, hab ich leider nicht. Wenn ich an Balaclava denke, kommt immer ein dickes Grinsen auf mein Gesicht ;)
Gruss von Steffi

:lesen:
Wolfgang Reinhard - Die Unterwerfung der Welt ( Langzeitprojekt)
Benutzeravatar
steffi
 
Beiträge: 5262
Registriert: Mi 2. Apr 2008, 12:56

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon Petra » Mi 10. Dez 2008, 15:36

Hallo Steffi,

ja, ich freue mich auch in jeder Lese-Minute, dass ich auf dem Campus zu Gast sein darf! Der Humor ist ganz speziell und zaubert auch mir ständig ein breites Grinsen aufs Gesicht! Sowas von durchtrieben, was da manchmal steht... herrlich! ;-)

Auf jeden Fall genau das richtige Buch zur Vorweihnachtszeit! So richtig beschaulich, skurril, amüsant... und auch stellenweise weihnachtlich durch die Lichterwoche dort! :-)

PS (Spoiler): Ich habe inzwischen einen Verdacht, wer der Mörder sein könnte. Ich tippe auf Dysart. Er hat gerade - nach Ben Cadwalls Dahinscheiden - von der Kaffee-Story in der Mensa am frühen Morgen erzählt. Und ich frage mich, warum er annimmt, dass Cadwall vergiftet wurde. Denn Shandy hat nichts genaues gesagt. Und das würde mir auch Shandys derzeitige Fragen erklären, warum man erst Dysart den Kaffee gebracht hat, dann aber nicht verhindert hat, dass Cadwall ihn trinkt. Hätte man Cadwall ermorden wollen, hätte man zudem doch wohl nicht zunächst Dysart den vergifteten Kaffee gebracht. Und ist der Kaffee erst mit Gift versehen worden, als er von Dysart zu Cadwall gewandert ist, fände ich das ein bisschen auffällig, da das verschütten von Cadwalls Kaffee ja zuviel Aufmerksamkeit erregt hat. Dann eben mal auf dem Weg den Kaffee vergiften... nein. Ich tippe darauf, dass Dysart Cadwall vergiften wollte und der Zusammenstoß ihm das ganz leicht gemacht hat. Er hat dann seinen eigenen Kaffee vergiftet und ihn an Cadwall weitergereicht. Und kann jetzt noch den Verdacht von sich weglenken, indem er die Geschichte erzählt und alle denken, man hätte ihn selbst anstatt Cadwall ermorden wollen.
Liebe Grüße,
Petra


Ich lese gerade: :lesen:
Christian Kracht - Air (HC)
Ruth Rendell - Alles Liebe vom Tod (ebook)

Ich höre gerade: :kopfhoerer:
Andreas Eschbach - Die Auferstehung (ungekürzte Lesung)

Buecher4um
Hoerbuecher4um
Seifen4um
Petras SeifenKUNST
Benutzeravatar
Petra
Administrator
 
Beiträge: 14479
Registriert: Do 27. Mär 2008, 13:34

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon Petra » Mo 15. Dez 2008, 11:37

Guten Morgen zusammen,

am Samstag habe ich Charlotte MacLeods „Schlaf in himmlischer Ruh’“ (war meine Vermutung, wer der Täter ist, doch richtig! Dennoch: clever ausgedacht und einfach so was von schrullig und nett geschrieben - ich habe das sehr, sehr genossen und werde die Geschichte zwischen den Tagen beim aufräumen auch noch mal als Hörbuch hören) beendet und direkt mit dem – am Samstag glücklicher Weise frisch gelieferten – „Der Weihnachtsbaum“ von Isabel Bolton angefangen. So kann ich das doch noch dies Jahr vor Weihnachten lesen.

Ich bin auch schon auf Seite 160 von 240. Ich berichte mal ein klein wenig. Aber besser nicht lesen, wenn man selbst das Buch noch vor sich hat. Sonst nehme ich wohl zu viel vorweg oder beeinflusse zu sehr.

Das Buch besteht ja aus zahlreichen Erinnerungen und aus vielen kleinen Szenen.

Die vielen kleinen Szenen liebe ich. Ich genieße sie. So z. B. jetzt wo Larry sich von Gerald trennt. Jerrys Gefühle dabei. Und auch seine Gedanken zum der Wohnung und den Arrangements, die er immer so liebevoll trifft (z. B. die Obstschale) und was gleichzeitig Larry so annervt.

Oder aber auch die kleinen Szenen mit Hilly und ihrem Enkel. Wie sie darüber nachsinnt, wie schwer er (und die Kinder überhaupt „heutzutage“) es hat. Dass er nie wissen kann, in welchem Bett er wohl morgen aufwacht. Weil seine Eltern sich getrennt haben und sich neuen Partner zuwenden…

Auch sehr anschaulich fand ich anfangs Hillys Gedanken über ihre Wohnung, ihre Einrichtung. Dieses Wohlfühlen an diesem Ort war fühlbar. Sehr schön beschrieben.

Oder eine Szene mit Anne und ihrem Captain. Diese genauen Beobachtungen, die Isabel Bolton da anstellt. Z. B. wo es um die Psychoanalyse geht. Meisterhaft beobachtet und eingefangen finde ich.

Die Stellen, an denen sich erinnert wird, sind auch sehr anschaulich. So z. B. die Szene wo Hillys Mutter sich zurecht macht. Und auch die nachträglichen Gedanken darüber, warum ihre Mutter das wohl tat. Diese Gedanken über die Doppelmoral: Einerseits so verklemmt und kalt und andererseits so verführend. Das wegräumen des Mieders und der Höschen, wenn ihr Mann anklopft…

Ebenfalls positiv fand ich die Gedanken zur Weihnachts, zum Weihnachtsgefühl. Düfte werden riechbar, Gefühle spürbar. Sehr eindringlich heraufbeschworen.

Man könnte jetzt meinen, genau das richtige für mich! In vielen Punkten stimmt das auch. Aber nicht in allen – zumindest nicht zur Zeit. Das liegt aber – muss ich direkt dazu sagen – viel auch an mir und meinem momentanen Innenleben, das halt noch nicht so 100%ig wiederhergestellt ist, wie ich das gerne hätte.

Die Stellen wo ich zu kämpfen hatte, waren die, wo Hilly sich an ihre Jugend erinnert. Genauer gesagt, wo ihre Erinnerungen dann ausschweifen oder abschweifen. Sie richtet z. B. ihren Blick auf die herausgeputzten Pärchen bei den Kutschfahrten. Das aber über 3 oder 4 Seiten mit Aufzählungen ohne Ende. Aufzählungen mag Isabel Bolton wie mir scheint sehr gern. Es ist auch gar kein dummes Stilmittel, denn Erinnerungen sind ja oft so ausufernd. Aber beim lesen hatte ich an diesen Stellen Mühe weiterzumachen. Obwohl es sich wirklich flüssig lesen lässt. Aber ich hatte Schwierigkeiten meine eigenen Gedanken dort im Text zu verankern und sie nicht eigene Wege gehen zu lassen. Ich konnte mich an den Stellen schlecht konzentrieren. Hier spielt sicher auch eine Rolle, dass Isabel Bolton gern lange Sätze mag. Das ist noch nicht so fatal, wie die Tatsache, dass sie in Gedankenstrichen gern einen weiteren Gedanken einschiebt, der aber eben so lang ist wie der eigentliche, in den dieser zweite Gedankenfaden eingefügt ist. Das macht es schon mal schwierig, den Gedanken zu folgen. Es weicht die Gedanken auf anstatt sie auf einen Punkt zu konzentrieren. Aber das macht Isabel Bolton eigentlich immer genau da, wo es passt. Denn Gedanken/Erinnerungen laufen oft genau so ab. Ich persönlich tat mich damit aber etwas schwer – was wie gesagt aber auch ein Stückweit an mir selbst liegt.

Generell liegt mir der zweite Teil des Buches (beginnt ja ab Seite 105) anscheinend mehr als der erste. Denn hier wechselt die Szenerie von Hilly und Henry zu Anne und dem Captain und dann zu Larry und Gerald. Hier finde ich jetzt das wieder, was man über das Buch schreibt: Man fühle sich an Bowlingkugeln erinnert, die unerbittlich auf die Kegel zurollen, um sie mit Wucht umzuhauen.

Ohne den ersten Teil würde das natürlich nicht funktionieren. Somit vermute ich am Ende ein sehr stimmiges Bild. Somit: Ein schon sehr interessanter Lesestoff! Und für mich wird hier mehr Weihnachtsstimmung transporitert als in so manchem Buch, das Friede, Freude, Eierkuchen vermittelt. Denn diese ruhigen Beschreibungen von Isabel Bolton finde ich ehrlicher und sie lösen in mir somit in meinen Sinnen mehr aus. Das Grün der Zweige, der Duft, der sich zu Weihnachtsglückseligkeit verwandelt, das Licht, das sich in Glas bricht und sich auf dem weißen Tischtuch reflektiert, der Schnee, der sich auf Geländer legt…
Liebe Grüße,
Petra


Ich lese gerade: :lesen:
Christian Kracht - Air (HC)
Ruth Rendell - Alles Liebe vom Tod (ebook)

Ich höre gerade: :kopfhoerer:
Andreas Eschbach - Die Auferstehung (ungekürzte Lesung)

Buecher4um
Hoerbuecher4um
Seifen4um
Petras SeifenKUNST
Benutzeravatar
Petra
Administrator
 
Beiträge: 14479
Registriert: Do 27. Mär 2008, 13:34

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon JMaria » Mo 15. Dez 2008, 11:58

Petra hat geschrieben: „Der Weihnachtsbaum“ von Isabel Bolton angefangen. So kann ich das doch noch dies Jahr vor Weihnachten lesen.

Ich bin auch schon auf Seite 160 von 240. Ich berichte mal ein klein wenig. Aber besser nicht lesen, wenn man selbst das Buch noch vor sich hat. Sonst nehme ich wohl zu viel vorweg oder beeinflusse zu sehr.
......

Generell liegt mir der zweite Teil des Buches (beginnt ja ab Seite 105) anscheinend mehr als der erste. Denn hier wechselt die Szenerie von Hilly und Henry zu Anne und dem Captain und dann zu Larry und Gerald. Hier finde ich jetzt das wieder, was man über das Buch schreibt: Man fühle sich an Bowlingkugeln erinnert, die unerbittlich auf die Kegel zurollen, um sie mit Wucht umzuhauen.



Hallo Petra

es klingt sehr intensiv, dein neuer Lesestoff. Doris hat uns ja auch schon darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht der übliche Weihnachtsroman ist. Was ich an und für sich gut finde.

Da du Isabel Bolton nun erwähnst, möchte ich auch mitteilen, dass ich am Wochenende "Mary und Grace" begonnen habe. Hier erzählt Mary, ein kleines Mädchen, das eine Zwillingsschwester hat (Grace), über ihre Erlebnisse, als ihre Eltern starben und sie zur Großmutter kamen bis zu deren Tod und dann den Verwandten übergeben wurden ... Insgesamt sind sie 5 Geschwister. Mary und Grace sind die jüngsten. Sie beschreibt ihre Geschwister, die letzten Erinnerungen an den Vater und an die Mutter....

Ich habe noch nicht nachgeforscht, doch mir scheint, dass dieser Roman eine autobiographische Grundlage hat. Auch Isabel Bolton hatte eine Zwillingsschwester, die sie, wie die Eltern, früh verlor. Im wirklichen Leben hieß die Autorin nämlich Mary Britton Miller. Miller - wie die Familie im Buch.

Man spürt Lebensweisheit und eine natürliche Traurigkeit in dem Buch.

Liebe Grüße
Maria
Schöne Grüße, Maria
Aktuell:

150 Jahre Thomas Mann
100 Jahre Mrs Dalloway
500 Jahre Bauernkrieg


Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden ( Tacitus )
Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen (Johann Wolfgang v. Goethe)
Das Leben und dazu eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe (Rainer Maria Rilke)
JMaria
Moderator
 
Beiträge: 16833
Registriert: Mo 31. Mär 2008, 11:07

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon Petra » Mo 15. Dez 2008, 12:16

Hallo Maria,

das ist ja interessant, dass Du auch am Wochenende was von Isabel Bolton begonnen hast! Ja richtig, in ihrem vollständigen Namen ist auch Miller enthalten. Das ist ja interessant, dass "Mary und Grace" wohl autobiographische Züge hat. Das macht es für mich noch interessanter!

Achtest Du bitte mal drauf, ob Dir auch Endlossätze und sehr lange Aufzählungen beim Lesen auffallen? Würde mich interessieren, ob sie das in ihren Büchern generell gern macht. Und es wäre für mich auch wichtig, um mich auf den Lesestoff innerlich vorzubereiten, wenn ich mal zu "Mary und Grace" greife. Überhaupt bin ich natürlich sehr an Deinen Lese-Eindrücken dazu interessiert!

JMaria hat geschrieben:Man spürt Lebensweisheit und eine natürliche Traurigkeit in dem Buch.


Ja, ihre Bücher sind ja auch alle entstanden, als sie über 60 war. Ich finde das merkt man. Aber im positiven Sinne. Es klingt auch aus "Der Weihnachtsbaum" viel Lebensweisheit heraus (passt auch schön, da die Geschichte ja aus der Sicht von Hilly erzählt wird, die selbst schon einen Enkel hat). Und viele Dinge entlarvt sie einfach. Traurig werden kann man bei dem Blick auf die nackten Tatsachen auch. Denn solch ein Blick nimmt auch immer ein Stück Illusion und Hoffnung.
Liebe Grüße,
Petra


Ich lese gerade: :lesen:
Christian Kracht - Air (HC)
Ruth Rendell - Alles Liebe vom Tod (ebook)

Ich höre gerade: :kopfhoerer:
Andreas Eschbach - Die Auferstehung (ungekürzte Lesung)

Buecher4um
Hoerbuecher4um
Seifen4um
Petras SeifenKUNST
Benutzeravatar
Petra
Administrator
 
Beiträge: 14479
Registriert: Do 27. Mär 2008, 13:34

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon JMaria » Mo 15. Dez 2008, 14:05

Hallo Petra,

Petra hat geschrieben:Hallo Maria,

Achtest Du bitte mal drauf, ob Dir auch Endlossätze und sehr lange Aufzählungen beim Lesen auffallen? Würde mich interessieren, ob sie das in ihren Büchern generell gern macht. Und es wäre für mich auch wichtig, um mich auf den Lesestoff innerlich vorzubereiten, wenn ich mal zu "Mary und Grace" greife. Überhaupt bin ich natürlich sehr an Deinen Lese-Eindrücken dazu interessiert!


Mary und Grace von Isabel Bolton:
bis jetzt ist es aus der Sicht eines Kindes beschrieben und eher sprunghaft. Wie Kinder beim Spielen und Entdecken so sind; im Moment sind sie mit jenem, dann plötzlich mit anderem beschäftigt.
und die vielen Fragen, die im Buch auftauchen, sind dementsprechend auch aus der Sicht eines Kindes; Was - wer - Wo ...

Beispiel:
Wer hatte hier gelebt? Hatte Großmutter einen Gärtner gehabt? Wo war er jetzt? Während wir diesen bizarren, diesen vergnüglichen Empfindungen nachgingen, verloren wir uns in der Zeit, versanken wir in Fragen, die wir miteinander teilten. Ein Hauch von Flieder, der duch die zerbrochenen Fensterscheiben hereingeweht kam, ließ uns aufspringen. Wir kletterten über den Fenstersims und waren wieder draußen an der frischen Luft.

Die Autorin setzt gerne die Natur und das Wetter ein um Empfindungen auszudrücken.

z.B.
...., standen wir am Fenster des Eßzimmers und sahen dem Treiben des großen Sturms zu. ... Wir liefen voller Aufregung von einem Zimmer ins andere. "Oh, mach, daß er nie aufhört! laß den Schneesturm immer wilder werden!"... In der Bibliothek fanden wir Großmutter am offenen Feuer sitzen... Wir umarmten sie erfreut und fühlten uns geborgen inmitten neuer erregender Gefahren.

Dann kam das Tauwetter und die Großmutter starb. Das passiert alles bereits auf den ersten 40 Seiten. Somit verrate ich jetzt nichts, was nicht schon im Klappentext vorkommt.

Der Stil des "Weihnachtsbaumes" scheint etwas anders zu sein.

Liebe Grüße
Maria
Schöne Grüße, Maria
Aktuell:

150 Jahre Thomas Mann
100 Jahre Mrs Dalloway
500 Jahre Bauernkrieg


Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden ( Tacitus )
Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen (Johann Wolfgang v. Goethe)
Das Leben und dazu eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe (Rainer Maria Rilke)
JMaria
Moderator
 
Beiträge: 16833
Registriert: Mo 31. Mär 2008, 11:07

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon Petra » Mo 15. Dez 2008, 16:47

Hallo Maria, Hallo zusammen,

Deine Passagen aus Isabel Boltons „Mary und Grace“ sind schön. Und ich kann mir schon gut vorstellen, wie die Autorin auch hier durch die Art wie sie Gedanken fließen lässt, das Kindliche heraufbeschwört: Jetzt mit diesem befassend, gleich mit dem nächsten.

Und ich denke auch, dass es in „Der Weihnachtsbaum“ anders ist. Ich habe jetzt auch mal ein paar Beispiel-Passagen herausgeschrieben, damit besser verständlich wird, was ich meine.

1. Beispiel: Eine dieser endlosen Aufzählungen, die dann das Gegenteil bei mir von dem auslösen, als Aufzählungen eigentlich sollten. Aufzählungen sollten doch etwas noch genauer machen. Für mich verlor sich die Genauigkeit und zerbröselte sich ab und zu so sehr, dass ich Mühe hatte, mir das heraufbeschworene überhaupt noch vorzustellen:

Die in weite Fernen führenden Gleise, die endlosen und verschlungenen Bewegungen der Züge auf den Schienen, die lange Reihe der Güterwaggons, aufeinander zulaufend, rückwärts rangierend, leere Plätze einnehmend, auf Nebengleise setzend, die Rauch- und Dampfwolken der Lokomotiven, das stoßeweise Flammenspeien der Hochöfen, Feuerstreifen auf dem Moor, Newark und Jersey City, ihr Industriegelände, Brücken, Gitter, Gastanks, Kraftwerke, Müllverbrennungsanlagen, ihre abrupten, bedeutungslosen Türme, die aus dem flachen Höllenland aufragten – furchteinflößend, drohend, wie Dantes Unterwelt.

2. Beispiel: Einer der vielen Sätze in denen sie Gedankenstriche genutzt um einen Satz (oder auch eine ganze Welt, wie mir manchmal scheint *g*) dazwischen zu schieben. Mir machte das so manche Passage sehr unübersichtlich. Und auch hier stellte sich die Wirkung ein, dass sich das Bild verlor. Dieses Beispiel ist allerdings eines der harmloseren, wo man den Sinn beider Satzteile noch recht einfach erfassen kann:

Larry besuchte noch das Lyzeum – man hätte ihn einen zwischen den Welten Lebenden nennen können, denn er sprach Französisch derartig leicht und fließend, während er in seinem Auftreten und seiner äußeren Erscheinung dennoch etwas unmissverständlich Amerikanisches hatte, merkwürdig linkisch trug er die vorgeschrieben Tracht des französischen Schlujungen, die, genau wie die Jungen, für die sie entworfen war, so eigenartig erwachsen und gleichzeitig so außergewöhnlich kindlich war – die kurzen Hosen, die nackten Knie, die kleinen Baretts, die akkurat geschneiderten Mäntel.

3. Beispiel: Und hier einer der Horrorsätze, die mich teils fast zum aufgeben brachten, da ich halt sehr genau lese und jeden Satz bis in seine letzten Bestandteile verstehen will. Diesen Ehrgeiz musste ich hier ein wenig lockern, denn sonst hätte ich wohl aufgeben müssen. Sooooo wichtig erschien mir der Inhalt eines solchen Satzes dann nicht, als dass ich mir hätte die Zeit und vor allen Dingen Ruhe nehmen wollen. Zumal diese Horror-Sätze eigentlich immer in den unwichtigeren Teilen der Geschichte eingesetzt sind… in den fließenden Erinnerungen, die Bilder heraufbeschwören sollen:

Sie hatte ihre Welt gefunden – vielbesuchte Orte, Hotels, amerikanische Kolonien; da gab es die vielen anderen expariates, auch die Verwandten, aber niemand von denen hatte ihr je beigebracht, dass harte Arbeit an dem, was man so unbedingt haben wollte, eine Methode war, um Werte zu erwerben – alles war so leicht und schön – sie hatte dem armen Jungen Europa einfach präsentiert, hatte zugelassen, dass er mit allen Sinnen auf das Land reagierte, von dessen Charme sie so hingerissen war, hatte ihm Sprachen gegeben, Muße und Untätigkeit, aus ihm einen natürlichen Fremden gemacht, einen Amerikaner, und doch keinen Amerikaner, einen Europäer, aber niemals, niemals einen richtigen Europäer, sondern einen jungen Mann mit einem äußerst nervösen und scharf ausgebildeten, überentwickelten ästhetischen Geschmack; mit wieviel Kunst und Landschaft war er gefüttert worden, was hatte er nicht alles gesehen und empfunden, und dabei war es ihr irgendwie gelungen, dass der eigene überschäumende Enthusiasmus – immer hielt sie ihn in ihrer Nähe, machte ihre schnellen Begeisterungsstrüme so bewusst zu seiner Nahrung – auf ihn übergegangen und mit ihrer leidenschaftlichen Reaktion auf die vielen Schätze und antiken Kunstwerke und all der Schönheit verschmolzen war.

Vielleicht gibt das einen kleinen Einblick von dem, was mir an dem Buch zu schaffen macht. Dennoch: Es gibt auch andere Stellen, in denen Gedanken glasklar werden und Szenen, Räume, Stimmungen und Gefühle sehr intensiv transportiert werden.

Wie wirken diese Passagen auf Dich, Maria? Und auf andere, die hier mitlesen? Ich würde das gerne wissen. Mich überfordern sie zur Zeit wie gesagt ein wenig. Sie machen mich unruhig. Weil zu viel drin steht und ich es nicht mit einem Blick erfassen kann (oder auch nicht mit fünf Blicken).
Liebe Grüße,
Petra


Ich lese gerade: :lesen:
Christian Kracht - Air (HC)
Ruth Rendell - Alles Liebe vom Tod (ebook)

Ich höre gerade: :kopfhoerer:
Andreas Eschbach - Die Auferstehung (ungekürzte Lesung)

Buecher4um
Hoerbuecher4um
Seifen4um
Petras SeifenKUNST
Benutzeravatar
Petra
Administrator
 
Beiträge: 14479
Registriert: Do 27. Mär 2008, 13:34

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon Doris » Mo 15. Dez 2008, 17:17

Hallo an alle, liebe Petra,

mir haben die langen Sätze nichts ausgemacht. Ich fand sie auch nicht ausgenommen anstrengend zu lesen.
Ich mag wie sie die Dinge beschreibt; ich meinte manchmal die Menschen zu kennen, bzw. sie bildhaft vor mir zu haben mit all ihren Befindlichkeiten.

Was mich an dem Buch noch sehr positiv überrascht hat, ist die Tatsache wie sie mit Homosexualität umgeht.
Das Buch ist 1952 veröffentlicht; bestimmt nicht die Zeit in der man offen über dieses Thema gesprochen hat und wahrscheinlich schon garnicht in Amerika.
Das macht es für mich zeitlos und mutig.

herzlichst, Doris

P.S. Wie du schon schreibst, Petra - der erste Teil geht ohne den zweiten nicht, bzw. umgekehrt.
Der erste Teil ist für mich ein Einstimmen und wenn man den Klappentext liest, weiß man - hohoho ....da kommt noch was
"Das richtige ist das intensive Buch. Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt und nicht mehr los läßt - bis zum Ende nicht, lies oder stirb! Dann liest man lieber." Kurt Tucholsky
Doris
 
Beiträge: 1277
Registriert: Fr 10. Okt 2008, 14:38

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon Petra » Mo 15. Dez 2008, 17:47

Hallo Doris,

ich muss auch wirklich dazu sagen (habe es deshalb auch ausdrücklich in meinem Posting geschrieben), dass es auch viel an mir selbst liegt. Denn ich finde gerade erst wieder zu innerer Ruhe und somit auch zu Leselust zurück. Und da kommen die langen Sätze und die ausschweifenden Gedanken für mich nicht zur 100% rechten Zeit. Ich weiß, dass das auf jeden Fall mit dazu kommt! Zu einer anderen Zeit hätte ich mehr Freude daran die Sätze zu sezieren. Oder sie würden sich mehr von selbst vor mir entfalten. Ich weiß, dass ich beim Lesen zur Zeit noch Grenzen habe, die ich vor 2 Jahren nicht hatte. Aber es ist gut, wenn man das wenigstens eingeschätzt bekommt und nicht denkt: Solche Bücher sind generell nichts für mich.

Davon abgesehen hat sie ja auch nicht nur die sinnierenden Passagen, sondern ja auch Szenen, die so richtig schön ausgeleuchtet sind. Und die Figuren kann ich mir auch gut vorstellen. Und auch ihre Motive. Das sind die Stellen, die für mich das Buch sehr reizvoll machen. Trotz dass mich ihre langen Sätze und die endlosen Aufzählungen manchmal nervös machen und mich (zur Zeit noch) überfordern.

Eines ist gut: Ich bin auf dem Weg der Besserung und hoffe, dass das Leben mir keine neuen Steine in den Weg legt. Und so werden mir auch schwierigere Sätze wieder leichter zugänglich. Und beginnen mich erneut zu faszinieren. Denn das gelang ihnen vor 2 Jahren noch! :)

Edit: Ich bin froh, dass ich inzwischen überhaupt wieder lesen kann! Ich konnte mich ewig lang auf GAR NICHTS mehr einlassen. Ist das nicht furchtbar? Welcher Schatz mir in der Zeit verloren ging, weiß sicher jeder hier einzuschätzen, da wir diese Freude am Lesen ja alle teilen. Wie furchtbar, wenn man auf einmal keinen Zugang mehr zu Büchern bekommt, weil man zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist und den Aufgaben, die das Leben einem hinwirft.
Liebe Grüße,
Petra


Ich lese gerade: :lesen:
Christian Kracht - Air (HC)
Ruth Rendell - Alles Liebe vom Tod (ebook)

Ich höre gerade: :kopfhoerer:
Andreas Eschbach - Die Auferstehung (ungekürzte Lesung)

Buecher4um
Hoerbuecher4um
Seifen4um
Petras SeifenKUNST
Benutzeravatar
Petra
Administrator
 
Beiträge: 14479
Registriert: Do 27. Mär 2008, 13:34

Re: Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade

Beitragvon JMaria » Mo 15. Dez 2008, 18:45

Hallo Petra,

deine Beispielsätze sind faszinierend.

Petra hat geschrieben: 1. Beispiel: Eine dieser endlosen Aufzählungen, die dann das Gegenteil bei mir von dem auslösen, als Aufzählungen eigentlich sollten. Aufzählungen sollten doch etwas noch genauer machen. Für mich verlor sich die Genauigkeit und zerbröselte sich ab und zu so sehr, dass ich Mühe hatte, mir das heraufbeschworene überhaupt noch vorzustellen:

Die in weite Fernen führenden Gleise, die endlosen und verschlungenen Bewegungen der Züge auf den Schienen, die lange Reihe der Güterwaggons, aufeinander zulaufend, rückwärts rangierend, leere Plätze einnehmend, auf Nebengleise setzend, die Rauch- und Dampfwolken der Lokomotiven, das stoßeweise Flammenspeien der Hochöfen, Feuerstreifen auf dem Moor, Newark und Jersey City, ihr Industriegelände, Brücken, Gitter, Gastanks, Kraftwerke, Müllverbrennungsanlagen, ihre abrupten, bedeutungslosen Türme, die aus dem flachen Höllenland aufragten – furchteinflößend, drohend, wie Dantes Unterwelt.


Hier sehe ich die Gleise, zulaufend, wegführend, direkt vor mir. Das bedrohliche Industriegebiet! Der Vergleich mit Dantes Unterwelt. Es zieht einen immer tiefer und quälender... (auch in die Geschichte?)

Vielleicht hat die Autorin dieses Empfinden beabsichtigt. Solche Sätze als Stilmittel steigern die Wahrnehmnung des Lesers. Flammenspeiend, Dantes Unterwelt und schon entsteht ein Bild und eine Empfindung.

Petra hat geschrieben:2. Beispiel: Einer der vielen Sätze in denen sie Gedankenstriche genutzt um einen Satz (oder auch eine ganze Welt, wie mir manchmal scheint *g*) dazwischen zu schieben. Mir machte das so manche Passage sehr unübersichtlich. Und auch hier stellte sich die Wirkung ein, dass sich das Bild verlor. Dieses Beispiel ist allerdings eines der harmloseren, wo man den Sinn beider Satzteile noch recht einfach erfassen kann:

Larry besuchte noch das Lyzeum – man hätte ihn einen zwischen den Welten Lebenden nennen können, denn er sprach Französisch derartig leicht und fließend, während er in seinem Auftreten und seiner äußeren Erscheinung dennoch etwas unmissverständlich Amerikanisches hatte, merkwürdig linkisch trug er die vorgeschrieben Tracht des französischen Schlujungen, die, genau wie die Jungen, für die sie entworfen war, so eigenartig erwachsen und gleichzeitig so außergewöhnlich kindlich war – die kurzen Hosen, die nackten Knie, die kleinen Baretts, die akkurat geschneiderten Mäntel.

3. Beispiel: Und hier einer der Horrorsätze, die mich teils fast zum aufgeben brachten, da ich halt sehr genau lese und jeden Satz bis in seine letzten Bestandteile verstehen will. Diesen Ehrgeiz musste ich hier ein wenig lockern, denn sonst hätte ich wohl aufgeben müssen. Sooooo wichtig erschien mir der Inhalt eines solchen Satzes dann nicht, als dass ich mir hätte die Zeit und vor allen Dingen Ruhe nehmen wollen. Zumal diese Horror-Sätze eigentlich immer in den unwichtigeren Teilen der Geschichte eingesetzt sind… in den fließenden Erinnerungen, die Bilder heraufbeschwören sollen:

Sie hatte ihre Welt gefunden – vielbesuchte Orte, Hotels, amerikanische Kolonien; da gab es die vielen anderen expariates, auch die Verwandten, aber niemand von denen hatte ihr je beigebracht, dass harte Arbeit an dem, was man so unbedingt haben wollte, eine Methode war, um Werte zu erwerben – alles war so leicht und schön – sie hatte dem armen Jungen Europa einfach präsentiert, hatte zugelassen, dass er mit allen Sinnen auf das Land reagierte, von dessen Charme sie so hingerissen war, hatte ihm Sprachen gegeben, Muße und Untätigkeit, aus ihm einen natürlichen Fremden gemacht, einen Amerikaner, und doch keinen Amerikaner, einen Europäer, aber niemals, niemals einen richtigen Europäer, sondern einen jungen Mann mit einem äußerst nervösen und scharf ausgebildeten, überentwickelten ästhetischen Geschmack; mit wieviel Kunst und Landschaft war er gefüttert worden, was hatte er nicht alles gesehen und empfunden, und dabei war es ihr irgendwie gelungen, dass der eigene überschäumende Enthusiasmus – immer hielt sie ihn in ihrer Nähe, machte ihre schnellen Begeisterungsstrüme so bewusst zu seiner Nahrung – auf ihn übergegangen und mit ihrer leidenschaftlichen Reaktion auf die vielen Schätze und antiken Kunstwerke und all der Schönheit verschmolzen war.


Gedankenstriche sind oft ein textliches Merkmal für den Bewußtseinsstroms, dem Stream of consciousness. Isabel Bolton ist jetzt vielleicht nicht so avantgardistisch wie Virginia Woolf oder James Joyce, doch erinnert mich diese detailreiche Schilderung an Henry James, der ein Vorreiter darin war.

Auch wenn dich der Erzählstil im Moment verwirrt, seh es als eine weitere Erfahrung, was Bücher einen geben können.

Vielleicht bereitet dich dieser Roman von Isabel Bolton auf einen experimentellen Roman von Virginia Woolf vor. Du hast ja mal erwähnt, dass du irgendwann mal etwas von ihr lesen möchtest. Dazwischen würde ich dir Henry James empfehlen. Dann die "Dubliners" von James Joyce. Muß ja nicht von heut auf morgen passieren.

Vielleicht liest sich das Buch für dich leichter, wenn du die Sätze lockerer auf dich wirken lässt, dich nicht verbeissen, mehr auf das Gefühl achten, als auf die Worte.

wie auch immer, geh es langsam an,
liebe Grüße
Maria
Schöne Grüße, Maria
Aktuell:

150 Jahre Thomas Mann
100 Jahre Mrs Dalloway
500 Jahre Bauernkrieg


Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden ( Tacitus )
Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen (Johann Wolfgang v. Goethe)
Das Leben und dazu eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe (Rainer Maria Rilke)
JMaria
Moderator
 
Beiträge: 16833
Registriert: Mo 31. Mär 2008, 11:07

VorherigeNächste

Zurück zu Diskussionsforum

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 25 Gäste

cron