von Petra » Mo 15. Dez 2008, 16:47
Hallo Maria, Hallo zusammen,
Deine Passagen aus Isabel Boltons „Mary und Grace“ sind schön. Und ich kann mir schon gut vorstellen, wie die Autorin auch hier durch die Art wie sie Gedanken fließen lässt, das Kindliche heraufbeschwört: Jetzt mit diesem befassend, gleich mit dem nächsten.
Und ich denke auch, dass es in „Der Weihnachtsbaum“ anders ist. Ich habe jetzt auch mal ein paar Beispiel-Passagen herausgeschrieben, damit besser verständlich wird, was ich meine.
1. Beispiel: Eine dieser endlosen Aufzählungen, die dann das Gegenteil bei mir von dem auslösen, als Aufzählungen eigentlich sollten. Aufzählungen sollten doch etwas noch genauer machen. Für mich verlor sich die Genauigkeit und zerbröselte sich ab und zu so sehr, dass ich Mühe hatte, mir das heraufbeschworene überhaupt noch vorzustellen:
Die in weite Fernen führenden Gleise, die endlosen und verschlungenen Bewegungen der Züge auf den Schienen, die lange Reihe der Güterwaggons, aufeinander zulaufend, rückwärts rangierend, leere Plätze einnehmend, auf Nebengleise setzend, die Rauch- und Dampfwolken der Lokomotiven, das stoßeweise Flammenspeien der Hochöfen, Feuerstreifen auf dem Moor, Newark und Jersey City, ihr Industriegelände, Brücken, Gitter, Gastanks, Kraftwerke, Müllverbrennungsanlagen, ihre abrupten, bedeutungslosen Türme, die aus dem flachen Höllenland aufragten – furchteinflößend, drohend, wie Dantes Unterwelt.
2. Beispiel: Einer der vielen Sätze in denen sie Gedankenstriche genutzt um einen Satz (oder auch eine ganze Welt, wie mir manchmal scheint *g*) dazwischen zu schieben. Mir machte das so manche Passage sehr unübersichtlich. Und auch hier stellte sich die Wirkung ein, dass sich das Bild verlor. Dieses Beispiel ist allerdings eines der harmloseren, wo man den Sinn beider Satzteile noch recht einfach erfassen kann:
Larry besuchte noch das Lyzeum – man hätte ihn einen zwischen den Welten Lebenden nennen können, denn er sprach Französisch derartig leicht und fließend, während er in seinem Auftreten und seiner äußeren Erscheinung dennoch etwas unmissverständlich Amerikanisches hatte, merkwürdig linkisch trug er die vorgeschrieben Tracht des französischen Schlujungen, die, genau wie die Jungen, für die sie entworfen war, so eigenartig erwachsen und gleichzeitig so außergewöhnlich kindlich war – die kurzen Hosen, die nackten Knie, die kleinen Baretts, die akkurat geschneiderten Mäntel.
3. Beispiel: Und hier einer der Horrorsätze, die mich teils fast zum aufgeben brachten, da ich halt sehr genau lese und jeden Satz bis in seine letzten Bestandteile verstehen will. Diesen Ehrgeiz musste ich hier ein wenig lockern, denn sonst hätte ich wohl aufgeben müssen. Sooooo wichtig erschien mir der Inhalt eines solchen Satzes dann nicht, als dass ich mir hätte die Zeit und vor allen Dingen Ruhe nehmen wollen. Zumal diese Horror-Sätze eigentlich immer in den unwichtigeren Teilen der Geschichte eingesetzt sind… in den fließenden Erinnerungen, die Bilder heraufbeschwören sollen:
Sie hatte ihre Welt gefunden – vielbesuchte Orte, Hotels, amerikanische Kolonien; da gab es die vielen anderen expariates, auch die Verwandten, aber niemand von denen hatte ihr je beigebracht, dass harte Arbeit an dem, was man so unbedingt haben wollte, eine Methode war, um Werte zu erwerben – alles war so leicht und schön – sie hatte dem armen Jungen Europa einfach präsentiert, hatte zugelassen, dass er mit allen Sinnen auf das Land reagierte, von dessen Charme sie so hingerissen war, hatte ihm Sprachen gegeben, Muße und Untätigkeit, aus ihm einen natürlichen Fremden gemacht, einen Amerikaner, und doch keinen Amerikaner, einen Europäer, aber niemals, niemals einen richtigen Europäer, sondern einen jungen Mann mit einem äußerst nervösen und scharf ausgebildeten, überentwickelten ästhetischen Geschmack; mit wieviel Kunst und Landschaft war er gefüttert worden, was hatte er nicht alles gesehen und empfunden, und dabei war es ihr irgendwie gelungen, dass der eigene überschäumende Enthusiasmus – immer hielt sie ihn in ihrer Nähe, machte ihre schnellen Begeisterungsstrüme so bewusst zu seiner Nahrung – auf ihn übergegangen und mit ihrer leidenschaftlichen Reaktion auf die vielen Schätze und antiken Kunstwerke und all der Schönheit verschmolzen war.
Vielleicht gibt das einen kleinen Einblick von dem, was mir an dem Buch zu schaffen macht. Dennoch: Es gibt auch andere Stellen, in denen Gedanken glasklar werden und Szenen, Räume, Stimmungen und Gefühle sehr intensiv transportiert werden.
Wie wirken diese Passagen auf Dich, Maria? Und auf andere, die hier mitlesen? Ich würde das gerne wissen. Mich überfordern sie zur Zeit wie gesagt ein wenig. Sie machen mich unruhig. Weil zu viel drin steht und ich es nicht mit einem Blick erfassen kann (oder auch nicht mit fünf Blicken).